Ich habe mir ein Theaterstück angesehen, über das ich hervorragende Kritiken gelesen hatte, die möglicherweise etwas übertrieben waren, denen ich aber gern Glauben schenkte. Ich kaufte mir online ein Ticket, duschte und kleidete mich an, und schon war ich parat, meinen von den Nachrichten gepeinigten Intellekt zu füttern. Das Stück war grauenvoll. Bühnenbild, Beleuchtung, Schauspieler, Text – ein einziger Horror. Ich schaute auf die Uhr, zehn Minuten waren vergangen, die mir vorkamen wie eine halbe Stunde. Im Kino wäre ich gegangen, aber im Theater ist es unangenehm, die Leute während der Vorstellung dazu zu bringen aufzustehen. Zudem könnten einige denken, dass ich Teil der Inszenierung sei und mein Auftritt schließlich etwas in Gang setzen würde. Es erschien mir grausam, ihnen falsche Hoffnungen zu machen.

90 Minuten wie 90 Jahrhunderte

Es waren 90 Minuten, die mir wie 90 Jahrhunderte vorkamen. Am Ende der Vorstellung schließlich fingen wir höflich an zu klatschen. Als die Darsteller zum dritten Mal auf die Bühne kamen, hörte ich auf, weil ich den Eindruck hatte, dass ich bereits mehr gegeben als bekommen hatte, doch das Publikum applaudierte weiter. Als der Autor herauskam, stand jemand wie bei großen Premieren auf, und der Beifall steigerte sich ins Unermessliche. Ich konnte das nicht verstehen, denn ich hatte mit eigenen Augen gesehen, wie diejenigen, die jetzt frenetisch klatschten, während der gesamten Vorstellung gegähnt hatten.

Ich verließ das Theater und traf auf dem Heimweg einen befreundeten Soziologen, dem ich erzählte, was geschehen war. Das hat er mir gesagt: „Sie applaudierten nicht den Schauspielern oder dem Autor des Stücks. Sie applaudierten sich selbst dafür, dass sie eine Vorstellung ertragen hatten, die von den Kritikern, aus welchen Gründen auch immer, gut bewertet worden war.“

„Ach, deshalb!“, rief ich erstaunt aus.