Mallorca Zeitung

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"Mentalitätsproblem": Warum ist Alkohol am Steuer auf Mallorca so weit verbreitet?

Alkohol trinken und trotzdem Auto fahren – auf Mallorca ist das weitverbreitet. Was fehlt, ist ein gesamtgesellschaftliches Umdenken

Alkohol am Steuer steigert die Unfallwahrscheinlichkeit. Doch viele Insulaner überschätzen ihre Fahrtüchtigkeit. Revista DGT

Paula war sofort tot. Zu heftig war der Zusammenstoß mit dem Auto, das von hinten angerast kam, zu hart der Aufprall mit dem Kopf auf dem Bordstein. Paula war in jener Johannisnacht 2018 im Küstenort Sa Ràpita auf Mallorca gerade einmal 15 Jahre alt. Junges Leben ausgelöscht, durch eine betrunkene Fahrerin, die zunächst sogar Fahrerflucht beging.

Sechs Jahre sind seit Paulas Unfalltod vergangen. Sechs Jahre, in denen viele weitere Menschen auf Mallorca durch Trunkenheit im Verkehr ums Leben gekommen sind. Noch immer kämpfen Paulas Angehörige. Für härtere Maßnahmen gegen Alkohol am Steuer. „Aber wir haben das Gefühl, dass die Politik das Thema nicht ernst genug nimmt. Es ist wie bei Krebs oder anderen schlimmen Krankheiten: Wer nicht selbst betroffen ist, kümmert sich nicht darum“, sagt José Fernández.

Angehörige von Paula Fornés vor dem Beginn des Gerichtsprozesses gegen die Unfallfahrerin. DM

Als Paulas Patenonkel machte er es sich nach ihrem Tod gemeinsam mit anderen Angehörigen zur Aufgabe, etwas zu tun, um weitere Opfer zu verhindern. Mit Unterschriftensammlungen zog er nach Madrid und sogar nach Brüssel ins EU-Parlament, um die Gesetzgebung zu verschärfen. „Tatsächlich wurde seitdem das Strafmaß für Alkohol am Steuer mit Unfallfolgen hochgesetzt, und das Verlassen eines Unfallorts und unterlassene Hilfeleistung sind nun strafbar“, sagt Fernández.

Doch die Hauptforderung, die seine Familie gemeinsam mit anderen Opferangehörigen im Land stellt, wird bisher nicht erhört. „Wir wollen, dass eingebaute Alkoholmessgeräte in allen Autos Pflicht werden. Damit die Fahrzeuge nur anspringen, wenn man nüchtern ist.“ Aktuell ist dies nur bei einigen Transportfahrzeugen obligatorisch, nicht aber bei Privat-Pkw. „Genau die sind aber das Problem. Wenn man sie lässt, trinken die Leute munter weiter. Man muss sich nur einmal im Bekanntenkreis umschauen. Das ist in Spanien ein Mentalitätsproblem“, findet José Fernández.

Alkohol am Steuer: Das sind die Strafen auf Mallorca

Wer beim „Pusten“auf Mallorca mehr als 0,5 Promille Alkohol vorweist, muss 500 Euro Strafe zahlen und bekommt vier Punkte im spanischen Bußgeldkatalog abgezogen. Bei mehr als 1,0 Promille im Atemtest sind es 1.000 Euro und sechs abgezogene Punkte. Ab 1,2 Promille drohen auch strafrechtliche Konsequenzen: So ist ein Freiheitsentzug von drei bis sechs Monaten möglich, ebenso der Verlust der Fahrerlaubnis.

Diesen Eindruck kann wohl jeder bestätigen, der auf der Insel lebt. Dass Einheimische das Auto konsequent stehen lassen, nachdem sie sich beim Abendessen mit Freunden oder in der Bar ein, zwei oder mehr Gläser cerveza oder vino tinto genehmigt haben, ist eher die Ausnahme. Auch der Wein zum menú del día in der Mittagspause oder das Wochenendbier für die Eltern auf nachmittäglichen Kindergeburtstagen wird von vielen nicht verschmäht – egal, ob sie danach noch fahren oder nicht.

Leichtsinnigkeit und Selbstüberschätzung

Diese subjektiven Eindrücke decken sich mit den Statistiken: Allein im Jahr 2023 hat die spanische Verkehrsbehörde (DGT) auf den Balearen 3.468 Anzeigen wegen positiver Alkoholtests im Straßenverkehr registriert. Im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es sogar knapp 5.200 Anzeigen. Es sind beunruhigende Zahlen. Die dem Verkehrsministerium unterstellte Behörde nimmt sie zum Anlass, immer wieder Kampagnen zu starten, die die Gesellschaft für das Thema sensibilisieren sollen.

Doch noch ist ein Umdenken in weiter Ferne. Tatsächlich geht man in der Behörde davon aus, dass es weniger Unwissenheit ist, die Menschen in Spanien dazu bringt, sich trotz Alkoholkonsums noch selbst hinters Steuer zu setzen, als vielmehr an Ignoranz grenzende Leichtsinnigkeit sowie gefährliche Selbstüberschätzung. „Praktisch jeder weiß, dass Alkohol unsere Fahrweise beeinträchtigt. Aber wenn es darum geht, selbst zu fahren, unterschätzen wir die Auswirkungen. Man denkt, dass es nur andere betrifft und nicht uns selbst“, so ein DGT-Sprecher.

Unfallwagen einer betrunkenen Autofahrerin auf Mallorca. DM

Ein Irrtum, der fatale Folgen haben kann. Zwar hat die Verkehrsbehörde keine Daten darüber, wie oft Alkohol ein entscheidender auslösender Faktor für Unfälle ist. Denn Alkoholtests unmittelbar vor Ort können nur bei leichteren Unfällen mit Sachschäden ohne schwerere Verletzungen durchgeführt werden. „Schwerverletzte dürfen dagegen erst getestet werden, wenn der ermittelnde Richter dem Krankenhaus, in dem sie sich befinden, dies gestattet. Die Informationen gehen dann direkt ans Gericht.“

Bei Todesopfern könne erst durch die Autopsie festgestellt werden, ob die Person Alkohol im Blut hatte oder nicht. „Was wir jedoch anhand von Analysen sicher sagen können, ist, dass Alkohol in vielen Fällen Einfluss auf die Schwere des Unfallausgangs hat“, so der Behördensprecher. Denn Alkohol verlangsame eben die Reaktionszeit der Konsumenten und lasse sie gleichzeitig waghalsiger werden – auch in geringen Mengen.

Sicher ist nur 0,0-Promille

Die Regelung ist daher in Spanien streng: Wer fährt, darf maximal 0,5 Promille im Blut und 0,25 Promille beim Atemtest aufweisen, Fahranfänger gar keinen Alkohol. „Je nach Tagesform und klimatischen Bedingungen wird der Alkohol mehr oder weniger schnell abgebaut. Die einzige sichere Variante ist daher die 0,0-Promille-Grenze“, heißt es bei der DGT. Und die Bußgelder bei Verstößen sind hoch (siehe unten).

Letztlich sei es an jedem Einzelnen, die kollektive Wahrnehmung zu verändern, sagt der DGT-Sprecher. Sprich: sich einmischen, Kontra geben. „Wer sieht, wie jemand, der getrunken hat, fahren will, sollte versuchen, ihn irgendmöglich davon abzuhalten“, rät er.

Im Fall von Paula hätte das vielleicht geholfen. „Die Frau, die sie betrunken überfuhr, kam nach zwei Jahren und wenigen Monaten vorzeitig aus dem Gefängnis“, so Paulas Onkel José Fernández. „Sie ist jetzt frei. Aber was sie getan hat, ist unumkehrbar.“

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