Migration, Terrorismus, russische Interessen - Wie ein deutscher NATO-Admiral mit Haus auf Mallorca die Sicherheitslage einschätzt

Der deutsche Admiral Stefan D. Pauly befehligt die Kriegsschiffe der NATO. Dieser Tage sah er seinen Einheiten von seinem Haus in Cala Pi aus bei einer Übung zu. Was sagt er zu der Sicherheitslage und der Gefahr einer Eskalation im Mittelmeer?

Stefan D. Pauly ist Admiral der Bundeswehr und Befehlshaber der NATO-Kriegsschiffe

Stefan D. Pauly ist Admiral der Bundeswehr und Befehlshaber der NATO-Kriegsschiffe / Nele Bendgens

Ciro Krauthausen

Ciro Krauthausen

Seine Frau Kirsten sah die Schiffe zuerst. Admiral Stefan D. Pauly wusste, dass einer „seiner“ vier NATO-Einsatzverbände vor der Südküste von Mallorca eine Übung zur Räumung von Seeminen abhalten würde. Dass sie direkt vor seinem Haus in Cala Pi stattfinden würde, wusste der 61-Jährige nicht. Der in Mainz geborene ehemalige U-Boot-Kommandeur hat in seiner Laufbahn als militärischer Befehlshaber, Geheimdienstoffizier und sicherheitspolitischer Berater unter anderem im Verteidigungsministerium in Berlin sowie in den NATO-Hauptquartieren in Norfolk (Virginia, USA) und Neapel gearbeitet. Er spricht so besonnen wie präzise.

Ist es kein Sicherheitsrisiko, wenn wir veröffentlichen, dass Sie hier ein Haus haben?

Nein, das glaube ich nicht, denn so hoch in der Rangfolge der Militärs oder der NATO bin ich nun auch wieder nicht. Sowohl in Spanien als auch in Großbritannien, wo wir aktuell wohnen, können die örtlichen Behörden die Sicherheit definitiv garantieren. Auch für den Normalbürger – und ich erachte mich hier als Normalbürger.

Zunächst einmal sehe ich ein wunderschönes blaues Meer und eine noch sehr gesunde Unterwasserwelt.

Sie sind Kommandeur der NATO-Überwasserstreitkräfte. Was ist darunter zu verstehen?

Die NATO verfügt weder über eigene Soldaten noch über Flugzeuge oder Marineschiffe. Wir sind darauf angewiesen, dass die Nationen, die der NATO angehören, militärische Kräfte freiwillig für längere Zeiträume zur Verfügung stellen. Das NATO-Hauptquartier im belgischen Mons setzt sie dann ein, wie die Ziele es erfordern. Da es das nicht alleine tun kann, gibt es ein „Land-Command“ im türkischen Izmir für die Landstreitkräfte, ein „Air-Command“ im deutschen Uedem und ein „Maritime-Command“ in Northwood, in der Nähe von London, wo ich zurzeit arbeite. Der Kommandeur dort ist ein Drei-Sterne-Admiral der Royal Navy. Ihm werden die von den Nationen beigesteuerten Schiffe, Flugzeuge und U-Boote anvertraut. Mir ist die Verantwortung übertragen, als Befehlshaber die Überwasserstreitkräfte zu führen, das sind Fregatten, Zerstörer, Minensucheinheiten und Korvetten. Derzeit sind es 21 voll einsatzfähige Schiffe in vier Verbänden. Zwei davon stehen in der Nord- und Ostsee, die anderen beiden im Mittelmeer. Im nationalen Maßstab entspräche das einer Marinestärke zwischen der von Frankreich und den USA. In den Verbänden sind etwa 2.500 Soldaten eingesetzt.

Was sehen Sie, wenn Sie hier aufs Meer schauen? Gefahr im Verzug?

Zunächst einmal sehe ich ein wunderschönes blaues Meer und eine – das haben mir meine Kommandanten bestätigt – noch sehr gesunde Unterwasserwelt. Dann sehe ich hier im westlichen Mittelmeer weniger Gefahren, aber Druck durch Migration und Drogenhandel. Je weiter wir in das östliche Mittelmeer gehen, wird die Lage brisanter, allein aufgrund der Konflikte in der Region und der unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Staaten und deren Verbündeter. Und im Schwarzen Meer würde ich definitiv von Gefahren sprechen.

Fühlt sich auf Mallorca „zu Hause“: der Admiral Stefan D. Pauly auf der Dachterrasse seines Hauses in Cala Pi.  | FOTO: NELE BENDGENS

Fühlt sich auf Mallorca „zu Hause“: der Admiral Stefan D. Pauly auf der Dachterrasse seines Hauses in Cala Pi. / Nele Bendgens

Die Schiffe haben die Räumung von Seeminen geübt. Vor Mallorca ein mögliches Szenario?

Nein, denn dazu müssten ja erkennbare Minenlegekapazitäten in die spanischen Hoheitsgewässer einlaufen, und die werden von der Guardia Civil hervorragend überwacht. Hier läuft kein Schiff ein, das nicht sofort erfasst wird. Natürlich kann darüber spekuliert werden, ob irgendwelche Terroristen versuchen könnten, von Handelsschiffen oder Fischkuttern aus in geringer Zahl Minen zu verlegen, um die zivile Schifffahrt zu beeinträchtigen. Da müssten sie aber auch an die Minen herankommen und mit ihnen umzugehen wissen. Ich erkenne derzeit keine Intention von irgendeiner mir bekannten Gruppe, dies zu tun.

Auf allen Seewegen gibt es bestimmte Routen, die gefahren werden wie auf der Autobahn. Solange alle plus/minus mit der gleichen Geschwindigkeit unterwegs sind, ist dieses Muster in Ordnung. Wenn einer ausschert, wird genauer hingeschaut,

Wie sieht es mit den Gefahren für die auf dem Grund liegenden Leitungen aus? Haben Sie – Stichwort Nord Stream 2 – ein Auge darauf?

Definitiv. Gerade aus Nordafrika kommen nicht nur Telekommunikationsleitungen, sondern auch die Gaspipelines und im östlichen Mittelmeer dann die Ölpipelines. Genau wie in der Nord- und Ostsee sind hier aber zunächst die Betreiber für die Sicherheit und für die Überwachung zuständig. Die NATO hat bereits auf Anfragen reagiert und Teilbereiche abgesucht – zur Übung, nicht etwa, weil ein starker Verdacht bestand. Das muss von den Staaten angefordert werden.

Die Balearen liegen weit westlich im Mittelmeer. Welche strategische Rolle spielen sie für die NATO?

Sie sind genau wie die Kanaren für die NATO ein vorgeschobener Beobachtungsposten. Spanien sammelt und teilt hier Daten zum Schiffs- und Flugverkehr. Die werden dann ausgewertet, um herauszufinden, ob das sogenannte pattern of life gleich bleibt oder nicht. Auf allen Seewegen gibt es bestimmte Routen, die gefahren werden wie auf der Autobahn. Solange alle plus/minus mit der gleichen Geschwindigkeit unterwegs sind, ist dieses Muster in Ordnung. Wenn einer ausschert, wird genauer hingeschaut, weil er sich nicht so wie die Masse verhält. Das Schiff wird dann daraufhin untersucht, ob es bereits früher in einem anderen Seegebiet aufgefallen ist. Ist das der Fall, kann es durchaus sein, dass es kontrolliert wird. Um all das aus der Datenflut herauszufiltern, gibt es eine KI-Software.

Wir sind für euch hier. Sollte etwas ganz Schlimmes passieren, werden wir euch schützen.

Madrid bietet einen NATO-Stützpunkt in Maó auf Menorca an. Ist der in Ihrem Interesse?

Absolut, denn das ist dann ein zuverlässiger Stützpunkt, der auch den NATO-Anforderungen entspricht – das fängt etwa damit an, dass die Kupplungen der verschiedenen Kraftstoffschläuche einen Standard haben. Hinzu kommen Standards bei der Abrechnung von nachzukaufenden Schiffsgütern oder dass die Soldaten an Land gehen dürfen und dem Schutz des spanischen Staats unterliegen.

Die für Minex-24 verantwortlichen Nato-Offiziere am Freitagabend in Cala Pi.

Stefan D. Pauly lud die für Minex-24 verantwortlichen Nato-Offiziere in Cala Pi zu einem Abendessen ein. / Ciro Krauthausen

Können Sie den Argwohn und die Bedenken in der Bevölkerung nachvollziehen?

Den Argwohn nicht, aber die Sorge, dass sich etwas an den Lebensumständen ändert. Das ist in jedem Hafen so, in dem Streitkräfte einlaufen. Hier sollte es an den lokalen Behörden liegen, den Menschen die Angst zu nehmen und ihnen zu vermitteln, was wir auch als NATO-Einsatzverbände signalisieren wollen: Wir sind für euch hier. Sollte etwas ganz Schlimmes passieren, werden wir euch schützen.

Inwieweit sind Ihre Verbände in die Bekämpfung des Menschenhandels involviert?

Das ist nicht Auftrag der NATO-Streitkräfte. Dafür gibt es im Mittelmeer die EU-Operation Irini, die bereitsteht, in Not geratene Menschen aufzunehmen – allerdings schon mit einem gewissen abschreckenden Faktor. Wenn ein NATO-Schiff auf ein Flüchtlingsboot stößt, wird normalerweise das Schiff, das Unterstützung leistet, den NATO-Verband verlassen, wieder unter nationale Befehlsgebung gehen und so verfahren, wie es der Staat dem Kommandanten befiehlt. Das Seegesetz, Schiffbrüchigen zu helfen, ist in diesen Fällen absolut unstrittig. Wir eilen zur Hilfe!

Passiert das häufig?

Im Moment sind die Zahlen rückläufig. Ich denke, dass zurzeit mehr an den Küsten aufgegriffen wird als auf hoher See.

Haben Sie hier in Cala Pi schon einmal Flüchtlingsboote ankommen sehen?

Das habe ich nur in der Mallorca Zeitung oder im Diario de Mallorca gelesen.

Ihr griechischer Verbandskommandeur sagt, dass er zu verstehen versucht, was die Russen im Mittelmeer machen. Was machen sie?

Die russische Marine unterhält in Syrien, in Tartus, einen großen Stützpunkt, in dem Schiffe, Boote und U-Boote stationiert sind, die auch regelmäßig ausgetauscht werden. Eine der Hauptaufgaben ist der Schutz der eigenen Versorgungsfahrzeuge – sie werden bis Tartus begleitet, sobald sie das Schwarze Meer verlassen haben. Eine andere, zu zeigen, dass die Russische Föderation Interesse am Mittelmeer hat.

Wenn russische Streitkräfte Übungen durchführen, wägen wir wöchentlich ab, ob wir unsere Kräfte in diesem Gebiet belassen oder sie reduzieren, denn wir wollen keine Eskalation.

Reicht dieses Interesse bis hierhin?

Das hängt davon ab, welche NATO-Aktivitäten hier durchgeführt werden. Wenn eine französische, britische oder US-amerikanische Flugzeugträgergruppe im westlichen oder im zentralen Mittelmeer operiert, ist in der Regel ein russisches Aufklärungsschiff dabei, um sich eine Lagebild zu verschaffen. Sie fahren dann seemännisch korrekt in der Entfernung mit. Sie dürfen das, es ist internationaler Seeraum.

Wie sehr hat sich Ihre Arbeit seit dem russischen Angriff auf die Ukraine verändert?

In meinem Verantwortungsbereich gab und gibt es ein Programm für die Aktivitäten der maritimen Einsatzverbände im laufenden und nächsten Jahr, genehmigt durch den NATO-Rat, dem höchsten politischen Gremium. Eine Nation stellt der NATO kein Fahrzeug zur Verfügung, wenn sie nicht weiß, was damit vorgesehen ist. Bis zum Ausbruch des Russland-Ukraine-Krieges war das wie ein Fahren auf Schienen. Das ist vorbei: Das Programm ist inzwischen extrem flexibel geworden, weil nun mit Einverständnis aller Nationen ständig darauf reagiert wird, was die Lage erfordert. Sie erfordert zum Beispiel eine höhere Präsenz im östlichen Mittelmeer wegen der hohen Anzahl von russischen Einheiten, um a) den Partnernationen zu zeigen, wir sind da, wir werden euch verteidigen, und b) der Russischen Föderation zu zeigen, dass die NATO im Mittelmeer weiterhin präsent ist.

All das, dem wir teilweise ausgesetzt sind, stecken wir ein. Wir notieren es, geben es auf politischem Wege weiter, und wenn es schwerwiegender ist, gibt es Protestnoten, aber kein „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.

Wie hoch ist die Eskalationsgefahr?

Die Eskalationsgefahr besteht durch Fehlinterpretationen und Missverständnisse, wenn man relativ viele militärische Einheiten in einem Gebiet hat. Deswegen ist die NATO sehr bemüht, über die sozialen Medien und die Presse das aktuelle Lagebild zu präsentieren und genau darzustellen, was die Einheiten machen. Das soll Offenheit signalisieren, aber auch der Russischen Föderation vermitteln, was wir vorhaben und dass wir sie nicht als Gegner wahrnehmen, sondern als Herausforderung. Wir sind nicht darauf aus, die Lage zu eskalieren. Im Gegenteil. Wenn russische Streitkräfte Übungen durchführen, wägen wir wöchentlich ab, ob wir unsere Kräfte in diesem Gebiet belassen oder sie reduzieren, denn wir wollen keine Eskalation.

Eines der bei der Minenräum-Übung Minex-24 eingesetzten Schiffe vor der Kathedrale von Palma.

Eines der bei der Minenräum-Übung Minex-24 eingesetzten Schiffe vor der Kathedrale von Palma. / Manuel R. Aguilera

Das klingt sehr defensiv.

Ja, das ist defensiv. Wir haben keinen Grund, aggressiv zu sein. Proaktiv eigene Kräfte vorauszustellen, um zu zeigen, wir sind da, wir haben euch im Auge, ist etwas anderes. Das ist keine Aggression. Wir schalten keine Feuerleitradare ein, um andere Einheiten zu beleuchten. All das, dem wir teilweise ausgesetzt sind, stecken wir ein. Wir notieren es, geben es auf politischem Wege weiter, und wenn es schwerwiegender ist, gibt es Protestnoten, aber kein „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.

Die Welt ist nicht himmelblau (...) aktuell ist es durch das aggressive Vorgehen gerade der Russischen Föderation an der Zeit, der Bevölkerung vor Augen zu führen: Ja, es kann passieren, und wir müssen uns gegen jegliche Aggression verteidigen können.

Russland ist für Sie kein „Gegner“?

Sie sehen uns als Gegner, wir sehen sie als deutlichste Herausforderung für die NATO. Ein Gegner wäre so etwas wie ein Feind, und da sind wir noch nicht. Aber wir müssen der Russischen Föderation zu verstehen geben, dass unverändert Angriffe nicht hingenommen werden, und zwar durch Üben und durch klare Signale, dass wir stark sind und zusammenstehen.

Halten Sie es für falsch, wenn Politiker der Bevölkerung vermitteln: Ihr müsst euch darauf einstellen, dass es Krieg geben könnte?

Wir im Westen haben in einigen Nationen dieses Verständnis verlernt. Die Welt ist nicht himmelblau. Die Warner gab es schon immer, aber aktuell ist es durch das aggressive Vorgehen gerade der Russischen Föderation an der Zeit, der Bevölkerung vor Augen zu führen: Ja, es kann passieren, und wir müssen uns gegen jegliche Aggression verteidigen können.

Wie stark geschwächt ist die russische Marine?

Sie hat definitiv viele Schläge hingenommen, und auch die Sanktionen wirken. Aber es ist dennoch immer noch eine fähige Marine, die eine Bedrohung darstellen kann. Gerade im Bereich der U-Boote.

Wir fühlen uns hier zu Hause.

In der Bundeswehr gibt es große Defizite im Heer. Gilt das auch für die Marine?

Das würde ich gerne unbeantwortet lassen, weil ich durch meine lange Auslandstätigkeit nicht mehr direkt darüber im Bilde bin. Ich weiß aber, dass es, wenn es darauf ankommt, funktioniert. Das haben wir an der Fregatte „Hessen“ gesehen, die ins Rote Meer gefahren ist, um dort den Seeweg zu sichern, und auch beim Nachfolgeschiff.

Was hat Sie nach Mallorca geführt?

In den 90er-Jahren haben wir mit unserer kleinen Tochter mehrfach Familienurlaub auf Mallorca gemacht. Die Abwechslung zwischen dem grünen, gebirgigen Westen, dem abfallenden Land und dem im Sommer fast Savanne-ähnlichen Südosten gefiel uns sehr gut. Wir sind in kleineren Dörfern abgestiegen. Das hat sich dann durchgezogen. 2015 haben wir damit begonnen, herauszufinden, ob uns auch der Winter gefällt, und das war der Fall. 2017 kauften wird dann dieses Haus. Seither verbringen wir jeden Urlaub hier und haben auch vor, uns hier etwas dauerhafter niederzulassen, wenn ich irgendwann in den Ruhestand gehe. Wir fühlen uns hier zu Hause.

Haben Sie hier auch ein eigenes Boot liegen?

Nein, so weit sind wir noch nicht, wir leihen uns gelegentlich eines aus. Meine Frau wollte früher gerne auf Kreuzfahrt gehen, aber ich weiß nicht so recht, nach den 15 Jahren, die ich zur See gefahren bin …

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