Etwas mehr als 2.000 Russinnen und Russen sind auf den Balearen derzeit offiziell gemeldet, wobei die Dunkelziffer hoch sein dürfte. Viele von ihnen macht der Angriff Russlands auf die Ukraine ebenso perplex wie den Rest der Welt. Zugleich werden auch sie nun unter Druck gesetzt. Neben der Sorge um den Krieg wächst bei ihnen die Sorge um das friedliche Zusammenleben auf Mallorca, wie Gespräche mit russischen Residenten zeigen.

Spanier hätten sie zwar bisher noch nicht schief angeredet, berichtet die Russin Emilia Doga (Name geändert). Sie leitet eine Gestoría und kümmert sich um Behördengänge, unter anderem für ihre Landsleute. „Ich habe viele ukrainische Freundinnen und Bekannte. Viele halten mir weiterhin die Treue und unterstützen mich, aber ein paar haben mich in den vergangenen Tagen auch verbal attackiert.“

Nicht deutlich genug vom Angriff distanziert

Unter anderem warfen sie Doga vor, dass sie sich nicht deutlich genug vom russischen Angriff distanziere oder versuche, „mit Putin zu sprechen“. „Dabei habe ich doch überhaupt keinen Einfluss, wie soll ich denn diesen Mann stoppen?“, ruft Doga aus. Die ukrainischen Freundinnen glaubten, dass Doga aufgrund ihrer Kontakte zu reichen Russen, die auf Mallorca große Häuser gekauft haben, möglicherweise in die Nähe des russischen Präsidenten käme. „Aber das ist doch völlig unrealistisch“, argumentiert Doga. Ohnehin hätten viele ihrer wohlhabenden Kunden inzwischen Mallorca wieder den Rücken gekehrt.

Das Interesse reicher Russen an der Insel habe seit der Festnahme des Mafiabosses Gennadios Petrov 2008 nachgelassen, sagen auch Immobilienunternehmer. „60 Prozent der ausländischen Hausbesitzer auf Mallorca sind Deutsche, zehn Prozent sind Briten und drei bis vier Prozent sind Russen. Ich glaube nicht, dass aktuell die Zahl der Verkaufsgeschäfte mit Russen ein Prozent erreicht. Vor Jahren war das Interesse groß, aber nach der Verhaftung Petrovs hat es sich deutlich abgeschwächt“, sagt Hans Lenz, Geschäftsführer von Engel & Völkers Mallorca Southwest und Präsident des nationalen und internationalen Immobilienverbandes der Balearen (ABINI).

Oligarchen in der Costa del Sol

Russische Oligarchen zogen in den vergangenen Jahren eher andere spanische Regionen vor, etwa die Costa del Sol. Eine Rolle spielten dabei auch die seit 2013 von Spanien vergebenen sogenannten Goldenen Visa: Nicht-EU-Residenten, die mindestens 500.000 Euro etwa in Immobilien anlegen, bekommen damit eine Aufenthaltsgenehmigung inklusive Reisefreiheit in der Europäischen Union. Manche der Nutznießer dieser Visa haben angesichts der Sanktionen nun Probleme, an Bargeld zu kommen, weil sie nicht mehr an ihre russischen Konten herankommen. „Zwar haben viele Russen auch Konten in Spanien, aber das meiste Geld haben sie weiterhin in Russland liegen, weil sie es dort verdienen“, sagt Ricardo Bocanegra, Anwalt aus Marbella.

Mit Sorge auf ihr Heimatland und den Konflikt blickt auch die Künstlerin Icon Zar, die in der HMH Art Gallery in Port d’Andratx ihre Werke zeigt. Sie stellte vergangene Woche in einer spontanen Aktion eines ihrer Motive zur Verfügung, um damit Kleinformate zu drucken, die dann verkauft werden. Mit den Einnahmen sollte die Flucht von 60 Menschen aus der Ukraine ermöglicht werden.

Unter den Flüchtenden befindet sich eine enge Freundin von Icon Zar. 45 Erwachsene und 15 Kinder sind derzeit auf dem Weg von Charkow in Richtung Slowakei, mehrere Tausend Euro konnte die HMH Art Gallery bereits an die Gruppe überweisen. Persönliche Anfeindungen habe sie bisher nicht erlebt auf Mallorca, aber sie fürchtet, es sei lediglich eine Frage der Zeit, bis es so weit kommen werde.

Unterschied zwischen Russen und dem "irren Präsidenten"

Die Menschen auf der Insel wüssten sehr genau zu unterscheiden zwischen einem „irren Präsidenten“ und der russischen Bevölkerung, meint Sofia Vdovina, die seit fünf Jahren auf Mallorca lebt. „Ich habe bisher noch keine einzige schlechte Erfahrung gemacht, im Gegenteil: Mein Umfeld muntert mich eher auf und weiß das sehr genau zu trennen“, erzählt die Moskauerin, die mit ihrem elfjährigen Sohn auf der Insel ist.

Ihr Mann, ein Banker und Investor, wird seit Beginn der Krim-Krise 2014 vom russischen Regime gegängelt. „Unsere Konten in Russland sind seit acht Jahren blockiert“, erzählt Vdovina. Ihr Mann versucht derzeit in Deutschland, eine neue Geschäftstätigkeit aufzubauen. „Ich hoffe einfach nur, dass alles bald endet. Und ich hoffe, dass die Ukraine den Sieg davonträgt. Ich bin so unendlich stolz auf die ukrainischen Truppen“, so die Moskauerin. „Die beiden Länder sind wie Brüder und Schwestern, Russen und Ukrainer, wir sind eine Familie, die man nicht trennen kann“, unterstreicht auch die Künstlerin Icon Zar.

Baletttournee abgesagt

Das zeigt auch eine weitere, eher symbolische Folge des Krieges: Der spanische Veranstalter hat eine Tournee des Moskauer Balletts abgesagt. Auf Mallorca sollte das „Ballet de Moscú“ am 18. April im Auditorium von Palma „Dornröschen“ zum Besten geben. Das Paradoxe: In der Kompanie, die regelmäßig auf Mallorca gastiert und für den 18. April mit moldawischen, bulgarischen und italienischen Mitwirkenden eine Ersatzaufführung vorbereitet, sind seit jeher ukrainische Tänzerinnen und Tänzer beschäftigt. Einige von ihnen, so der Veranstalter, würden nun ihre „Tanzschuhe gegen Waffen tauschen und in den Krieg ziehen“.