Es braucht schon längere Pausen im Schatten, wenn bei dieser Hitze eine Tonne Kamille unter Dach und Fach muss. So berichtet es Guillem Febrer von der Gärtnerei Viver Bio Estel de Llevant bei Manacor. Dort werden geistig benachteiligte junge Menschen im Gärtnern und in der Herstellung der Kräutertee-Serie T’Estim unterrichtet. Weil das die 30 Auszubildenden und die vier Projektleiter nicht allein schaffen, sind zurzeit auch noch ehrenamtliche Helfer mit von der Partie. Sie schneiden mit Scheren die Stängel rund zehn Zentimeter unter den Kamillenblüten. In der Werkstatt zupft man dann die gelben Blüten ab – vier Tage dauert es, bis sie getrocknet sind.

Bei den Köpfen der Camamil·la fehlt der Kranz aus weißen Blütenblättern. | FOTO: BIO ESTEL

Die Vermehrung des Krauts begann, wie bei vielen anderen Wildpflanzen der Insel auch, auf dem öffentlichen Landgut Es Menut in der Gemeinde Escorca. Dort wurden die wild wachsenden Immergrünen mit Ablegern vermehrt. Seit zwei Jahren wurzeln sie nun in einen halben Hektar großen Feld bei Manacor. Dieses Jahr blühen sie zum ersten Mal.

Die Verwandtschaft

Bei dem Korbblütler, der im Deutschen Kamille und im Spanischen manzanilla genannt wird, handelt es sich um ein berühmtes Heilkraut mit dem botanischen Namen Matricaria chamomilla. Zu erkennen ist die Pflanze an dem weißen Blütenkranz, der das gelbe Körbchen umgibt und das Gewächs wie eine Vergrößerung des Gänseblümchens aussehen lässt. Die ätherischen Wirkstoffe der einjährigen Pflanze gelten als beruhigend, heilend, entzündungshemmend und sind Zutaten vieler Produkte der Naturkosmetik.

Der Inselkamille dagegen fehlt der weiße Blütenkranz, im Deutschen wird sie Graues Heiligenkraut (Santolina magonica bot., guardarropa span., camamil·la kat.), genannt. Das Gewächs ist eines der endemischen Pflanzen der Balearen, das also wild nur auf den Inseln vorkommt. Zu ihrem botanischen Namen kam die Inselkamille so: Santo steht für heilig und magonica geht auf die menorquinische Stadt Maó zurück. Beide Arten der Kamille gehören zur Korbblütler-Familie (Asteraceae) – es ist die artenreichste innerhalb der blühenden Pflanzen, von Botanikern werden sie Bedecktsamer genannt.

Das Inselkraut verströmt im Gegensatz zur milderen manzanilla ein bitteres Aroma. „Wie stark der Bittergeschmack ist, wird vom Standort der Pflanze bestimmt“, sagt Febrer. An der Küste, so zum Beispiel bei Cala Ratjada, wo die Pflanze als Polster auf felsigen Steilhängen häufig vorkommt, schmecke sie bitterer als die Kräuter, die in höheren Bergregionen wachsen. Wo immer sie auch vorkommt, bildet die Immergrüne dicke, etwa 20 Zentimeter hohe Polster, die wenig Erde und noch weniger Wasser brauchen, Blütezeit ist im Sommer. „Dieses Jahr bildet die camamil·la ihre Blüten viel früher als sonst“, berichtet Febrer.

Mittlerweile sind auch Gartenarchitekten auf den Geschmack gekommen. Sie planen die Polster bildende Santolina magonica als blühende Bodendecker gemeinsam mit anderen trockentoleranten Pflanzen im Inselgarten an Standorten ein, die ohne Bewässerung auskommen. Denn das Graue Heiligenkraut ist ein mediterraner Überlebenskünstler, dem die winterlichen Niederschläge zum Wachsen ausreichen. Sogar in einer Pflanzenschale beweist sich die bittere Kamille den ganzen Sommer als zuverlässiger Blüher.

Gesundes Kraut

In den Bergdörfern ist bekannt, an welchem Standort die beste camamil·la wächst. So beispielsweise steigen die Bewohner von Alaró jedes Jahr im Juni nächtens zum Puig de l’Ofre, um bei Sonnenaufgang das Heilkraut zu sammeln. Von seiner Großmutter weiß Febrer, dass immer eine ungerade Zahl von Köpfchen in den Tee kommt. Doch niemand wisse wirklich warum. Schon immer sei Sparsamkeit angesagt gewesen. Damit der heilende Tee nicht zu bitter schmeckt, wurden nur sieben oder neun getrocknete Blütenköpfe in einer Tasse mit heißem Wasser übergossen.

Großzügig ging es dagegen mit den Blüten beim Ansetzen des licor de camamil·la zu. Zwei bis drei Handvoll Blüten kamen auf einen Liter Alkohol. Das Gemisch musste ein paar Wochen ziehen, bevor Zucker zugegeben und die Flüssigkeit abgeseiht wurde. Empfohlen wurde der Trunk als Verdauungsschnäpschen nach den Mahlzeiten.

Wie alle bitter schmeckenden Heilkräuter, gilt die mallorquinische Kamille als Förderer des Verdauungstraktes. Doch das ist nicht alles. Sie wurde insbesondere Kindern gegen innerliche Parasiten verabreicht. In der Naturheilkunde des Mittelmeerraums diente das Kraut traditionell als entzündungshemmendes, schmerzlinderndes und krampflösendes Mittel, dem auch antiseptische und antimikrobielle Eigenschaften nachgesagt wurden. In der ayurvedischen Medizin kommt die camamil.la gegen Lebererkrankungen zum Einsatz. Weiterhin sind Anwendungen bei entzündlichen Hautkrankheiten bekannt. Die Blüten wirken außerdem in kleinen Kissen gegen Motten und andere gefräßige Insekten.

Wenn die Blüten bei Estel de Llevant getrocknet sind, kommen sie in kleine Verpackungskartons und ohne Teebeutel in die Tasse. Bald steht die Ernte des Rosmarins, der Pfefferminze und des Eisenkrauts auf dem Programm. Alle hoffen, dass es dann bei der Ernte auf dem Feld nicht mehr ganz so heiß ist.

Mehr Information: Tel.: 672-73 90 92