Es gibt weiß Gott geruhsamere Aufgaben, als sich beim krisengebeutelten Zweitliga-Club Real Mallorca zu engagieren. Das wusste Annette Claassen, eine von zwei neuen Club-Bevollmächtigten, natürlich vorher. Schließlich sitzt ihr Mann Utz Claassen, der deutsche Aktionär, an der Quelle. Am Samstag (1.11.) gegen Lugo war Annette Claassen zum ersten Mal in dieser Funktion in der Präsidenten-Loge - und wurde mit einem gellenden Pfeifkonzert und „Claassen raus"-Sprechchören empfangen. Ihr Mann hatte Tage zuvor einem Teil der 3.000 Fans, die gegen die Clubführung auf die Straße gegangen waren, vorgeworfen, sich manipulieren zu lassen.

Was sich wohl jeder fragt, der die Vorgänge im Club verfolgt: Warum tun Sie sich diesen Posten an?

Ich weiß wie jeder andere wohl auch, dass der Club seit längerer Zeit nach außen ein chaotisches Bild abgibt. Und ich weiß auch, dass die Aufgabe kein Zuckerschlecken sein wird. Aber als die Idee, mich als Bevollmächtigte vorzuschlagen, vor Kurzem spontan von meinem Mann kam, habe ich zu ihm gesagt: Wenn ich dem Club damit helfen kann, mache ich das gerne.

Sie waren am Montag zum ersten Mal bei einer Verwaltungsratssitzung dabei. Was ist Ihr erster Eindruck?

Ich war vor allen Dingen sehr überrascht vom Niveau einzelner Herren dort. Einer brüllte beinahe ausschließlich, benutzte zum Teil Fäkalsprache und war nur destruktiv. Offenbar sind einige Mitglieder des Verwaltungsrates auch nicht damit einverstanden, dass es nun wieder Bevollmächtigte gibt.

Wissen Sie schon, welche Aufgaben auf Sie zukommen?

Ich werde zusammen mit Juan Barrios die Entscheidungen des Verwaltungsrates professionell und präzise umsetzen und mich um eine Erhöhung der Effizienz der Abläufe zum Wohle aller Beteiligten bemühen. Wie das genau aussehen wird, wird sich in der gelebten Praxis zeigen.

Was befähigt Sie aus Ihrer Sicht zu dem Posten?

Über meine Qualifikation sollten Sie mit denen reden, die für meine Ernennung gestimmt haben. Was die professionelle Seite angeht, kann ich mich durch meine eigene Geschäftsführungs- und Aufsichtsratsverantwortung in verschiedenen Gesellschaften sowie durch die vielfältigen Tätigkeiten für meinen Mann in viele Aufgabenbereiche schnell und effizient einarbeiten. Seine gesamte Korrespondenz, die Real Mallorca, aber auch alle anderen Unternehmungen betrifft, geht über meinen Schreibtisch. Aus Fansicht bin ich dem Club schon seit der Zeit von Samuel Eto´o verbunden, als ich in früheren Urlauben mit meinem Mann häufig ins Sta­dion gegangen bin.

Am Samstag gegen Lugo sind Sie wieder ins Stadion zurückgekehrt und mit einem gellenden Pfeifkonzert empfangen worden. Wie haben Sie sich da gefühlt?

Ich habe volles Verständnis für die Fans. Natürlich hätte ich mich trotzdem gefreut, wenn diese

Missfallensbekundungen unterlassen worden wären. Ich habe schließlich nichts mit der desaströsen Clubführung der vergangenen Jahre zu tun. Nach dem Spiel haben mich zwei Fans angesprochen und mir ganz entrüstet erzählt: „Aber Ihr Mann hat doch gesagt, dass wir für die Demo bezahlt wurden." Ich konnte dann klarstellen, dass er das nie gesagt hat und auch nie unterstellen würde, und wir sind in Frieden auseinandergegangen.

Hatten Sie Angst angesichts der mehreren tausend Fans, die sich gegen Sie erhoben haben?

Nein, Angst hatte ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass Teile der Fans so aufgebracht waren, dass sie handgreiflich geworden wären.

Warum hat Sie Ihr Mann überhaupt alleine ins Stadion geschickt?

Die Idee war ja, dass mein Mann mitkommt. Aber er hatte noch einen sehr wichtigen Termin in Deutschland. Ich habe dann beschlossen, zusammen mit Juan Barrios hinzugehen, weil ich es auch für eine Gastgeberpflicht und für eine Frage des Respektes gegenüber den Fans halte, dass der Club im palco angemessen vertreten ist. Schließlich waren da auch der Präsident von Lugo und seine Gattin, und ich hielt es für ein Gebot der guten Erziehung, mit ihnen ins Stadion zu gehen.

Wie wollen Sie das Verhältnis zu den Fans wieder geradebiegen?

Das Verhältnis meines Mannes zu den Fans ist jahrelang sehr gut gewesen, und mein Verhältnis zu den Fans ist ohnehin unbelastet, zumal ich ganz neu im Club bin. Mein Mann arbeitet übrigens seit vier Jahren daran, die Fans besser zu integrieren. Deshalb hat er mit Pep Roig seinerzeit einen Vertreter der Fanclub-Vereinigung in den Verwaltungsrat geholt. Mein Mann wird auch weiter für die Interessen der Fans arbeiten: nämlich für den Aufstieg, für ein Höchstmaß an Ordnungsmäßigkeit im Club und für ein Projekt mit den Kompetenzträgern Miguel Angel Nadal und Juan Barrios.

Gab es inzwischen ein Gespräch mit Rosa Planas, der neuen Vorsitzenden der Fanclub-Vereinigung, die im MZ-Interview ihre Bereitschaft dazu angekündigt hatte?

Meines Wissens hat sich bisher noch kein Gespräch ergeben, da mein Mann auch viel auf Reisen war. Aber bisher hat er noch nie einen Gesprächswunsch oder ein Gesprächsangebot abgelehnt, das derart vernünftig an ihn herangetragen wurde.

Es scheint ja so, dass er da noch ein wenig Zeit hat. Denn nachdem nun an allen Schlüsselpositionen Vertraute Ihres Mannes sitzen, scheint sich anzudeuten, dass er nach der Kapitalerhöhung die Kontrolle im Club übernehmen könnte.

Zunächst einmal: Ich weiß natürlich nicht, was in der für den 24. November geplanten Aktionärshauptversammlung passieren wird. Cerdà, Serra Ferrer und Terrasa haben aber immer wieder betont, dass sie aus dem Club rauswollen. Es wäre zudem gut für den Verein, dass irgendjemand die Kraft hat, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, vernünftig arbeiten zu können.

Was müsste denn als Erstes gemacht werden, sollte sich der Besitzerwechsel bestätigen?

Unabhängig von etwaigen Veränderungen in der Aktionärsstruktur müssten dringend neue Sponsoren ins Boot geholt werden, um die finanzielle Lage zu verbessern. Es gibt ja von vielen Seiten die Bereitschaft mitzumachen, doch offensichtlich nicht unter den bisherigen Verhältnissen. Geldgeber sind generell nur dann bereit, sich zu engagieren, wenn vernünftige Perspektiven aufgezeigt werden. Mein Mann hat eine klare Vision für eine gute Zukunft des Clubs.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 6. November (Nummer 757) lesen Sie außerdem:

- Insulnerin Aina Colom holt Segel-Gold

- Mit dem Kart zurück ins Leben: Soldaten verarbeiten Traumata