In der Vorhalle eine mächtige Wandskulptur, dunkle Möbel, Fahnen in der Ecke: In Mallorcas Handelskammer schlägt das institutionelle Herz der Insel-Wirtschaft. Ihre Stimme ist seit Kurzem Eduardo Soriano. Der Chef des Zementvertriebs Ciments de Balears und Präsident der balearischen Kreditgarantiegemeinschaft ISBA war bislang Schatzmeister der Cámara de Comercio, es gab keinen Gegenkandidaten. Die 42 Mitglieder des Plenums werden von den Unternehmen gewählt (28), von den Arbeitgeberverbänden bestimmt (4) sowie von den Unternehmen mit den höchsten finanziellen Beiträgen ernannt (10). Zahlreicher als bisher vertreten ist die Hotelbranche.

Corona, Lieferprobleme, Inflation, Energiekriese – wie kann der Beginn Ihrer Amtszeit vor diesem Hintergrund gelingen?

Das ist eine spannende Herausforderung, wir wissen nicht so genau, was da auf uns zukommt. Aber auch früher schon waren die Prognosen manchmal chaotisch, und wir haben es irgendwie geschafft.

Wie ist die wirtschaftliche Lage nach Corona?

Von Ausnahmen abgesehen stehen die Unternehmen auf den Balearen nicht schlecht da. Es gab eine ganze Reihe von Hilfen während der Pandemie, in Form von Krediten oder Direkthilfen. Das hat enorm geholfen. Und die Tourismussaison läuft dieses Jahr alles andere als schlecht. Es gibt derzeit so wenig Zahlungsausfälle wie selten. Aber das allgemeine Szenario in Europa macht uns natürlich Sorgen.

Während Corona wurde darüber diskutiert, inwieweit die Pandemie auch Gelegenheit für die Insel ist, die Wirtschaft neu auszurichten. Eine verpasste Chance?

Solche Krisen lassen uns Dinge sehen, die wir sonst nicht mitbekommen. Wir hängen hinsichtlich des Konsums über Gebühr von Importen ab – wenn ich den Anteil mit 85 Prozent ansetze, dürfte das noch zu kurz gegriffen sein. Es gibt nicht nur Tourismus. Wir müssen wieder Produktionskapazitäten aufbauen, und dafür müssen unsere Betriebe mit den Importen konkurrieren können. Darüber hinaus brauchen wir eine durchdachte Logistik, schließlich können wir uns nicht zu hundert Prozent selbst versorgen.

In welchen Branchen sehen Sie das größte Potenzial, die inseleigene Produktion wieder hochzufahren? Oder sollte Mallorca auf ganz neue Branchen setzen?

Prinzipiell hat Mallorca mit seinem Klima und seiner Lebensqualität das Potenzial, Arbeitskräfte aller Art anzuziehen, etwa für Technologiebetriebe. Beim Anbau und der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte sind wir im Zuge der Globalisierung und Zentralisierung auf der Strecke geblieben. Die großen Ketten haben ihre eigenen Strategien und Vorstellungen, und der Preisdruck geht letztendlich immer zu Lasten der Erzeuger. Warum zahlen wir für eine halbe Flasche Wasser so viel wie für einen Liter Milch? Obwohl dafür eine Kuh gekauft, ernährt, gemelkt und die Milch verarbeitet werden muss. Das hat keinerlei Logik. Entweder ändern wir das System, oder es wird keine Milch mehr produziert.

Mit welcher Strategie?

Wir müssen diese benachteiligte Branche unterstützen. Als Handelskammer haben wir aber lediglich die Aufgabe, die Probleme der Unternehmer zu formulieren und mit den Institutionen zusammenzuarbeiten, um Lösungen zu suchen. Und für jedes Problem gibt es eine Lösung. Wenn wir die Produktionskosten auf Mallorca an die auf dem Festland angleichen könnten, würde das bereits ausreichen. Wir haben genügend Unternehmergeist auf der Insel, um das unter gleichen Voraussetzungen mindestens genauso gut hinzubekommen wie im Rest Spaniens.

Worin unterscheiden sich die Voraussetzungen gegenüber dem Festland?

Auf dem Festland gibt es größere Betriebe und mehr Ressourcen, und hier auf Mallorca haben wir höhere Transportkosten. Hinzu kommt etwas, das viele nicht sehen – die Mehrwertigkeit der Industrie: Die Betriebe auf der Insel sind nicht nur kleiner, sie müssen auch vielseitiger sein, weil sie sich weniger spezialisieren können. Das treibt die Produktionskosten in die Höhe.

Inwiefern können die internationalen Probleme mit den Lieferketten eine Chance für Mallorcas Wirtschaft sein?

Bei einigen Produkten könnte das durchaus so sein. Beim Marès-Stein etwa hat die Nachfrage zugelegt, sogar aus anderen Ländern. Zugleich müssen viele Rohstoffe aber auch angeliefert werden, beispielsweise Eisen. Auch der Zement kommt von großen, teuren Produktionsstätten.

Was ist mit der Landwirtschaft?

Sie erlebt den größten Niedergang. Dabei sind es die Bauern, die einen wichtigen Beitrag zur Landschaftspflege leisten.

Halten Sie die Ansätze, den Anteil lokaler Produktion zu erhöhen, für aussichtsreich?

Wir sind auf einem guten Weg, aber das geht nicht von einem Tag auf den anderen. Und wir müssen noch aktiver werden. Ich kenne die Probleme der Agrarbetriebe aus erster Hand. Die Handelskammer will dabei helfen, den Betrieben eine Stimme zu geben und zusammen mit den Institutionen eine Lösung zu finden.

Ist die Politik empfänglich dafür?

Durchaus. Aber in den öffentlichen Institutionen sind die Abläufe nun mal etwas komplizierter als in einem Unternehmen.

Zumal sich drei Parteien die Macht teilen.

Derzeit. Wenn es ein oder zwei Parteien sind, ist es auch nicht viel anders. Aber klar, jede Partei hat ihre eigenen Ansichten. Es kommt auf den Willen und das Ergebnis an.

Strittig ist derzeit innerhalb der Regierung, wie man mit dem Massentourismus umgeht. Ist die Insel überlaufen?

Wenn ich an einem bewölkten Tag im Hochsommer durch Palma gehe, würde ich sagen, es ist überlaufen. Das trifft aber nicht auf Mallorca als Ganzes zu, die Insel ist sehr groß. Der Tourismus macht sich auf den Straßen und an den Stränden bemerkbar. Es ist Aufgabe der Institutionen, die Touristenströme zu regulieren. Wir sollten pflegen, was wir haben. Es ist unsere wichtigste Einnahmequelle. Aber wir dürfen auch die anderen Wirtschaftsbereiche nicht aus den Augen verlieren.

Welche Impulse erwarten Sie sich von den Geldern aus dem Next-Generation-Fonds?

Vor allem hinsichtlich der Transformation des Produktionssektors, einschließlich des Tourismus. Hier gibt es Initiativen zum Aufbau einer Kreislaufwirtschaft, in Kürze soll das erste Zertifikat vergeben werden. Die Handelskammer steht der öffentlichen Verwaltung beim Thema EU-Fonds zur Seite. Wir haben eine eigene Abteilung, die Projekte vorbereitet.

Welche Projekte würden Sie als besonders förderungswürdig hervorheben?

Die Kreislaufwirtschaft, die Energiewirtschaft sowie die Wiederverwendung der Ressourcen, was bislang kaum passiert. Materialien, die bislang entsorgt werden und neue Probleme verursachen, müssen eine neue Verwendung finden, alle Ressourcen müssen genutzt werden. Es gibt aber immer auch Projekte, die eigens auf die EU-Fonds zugeschnitten sind. Ich finde, die Gelder sollten für Vorhaben beantragt werden, die eine echte, tragfähige Grundlage haben und die aussichtsreich sind.