Extremer können die Gegen­sätze wohl nicht sein: Den derzeit geruhsamen Praxisalltag in der Juaneda-Außenstelle in Santa Ponça tauscht Annika Klemm ab dem 2. Februar gegen einen Hilfseinsatz in Sierra Leone ein, wo das Ebola-Virus nach wie vor wütet. Die 29-jährige Allgemeinmedizinerin aus Dortmund arbeitete nach dem Abbruch der Facharztausbildung zunächst ein Jahr in Barcelona, wo sie beim ADAC für Transport­medizin zuständig war. Dann bekam sie ein Job­angebot auf Mallorca, das sie im Juli 2014 annahm. Nach ihrem Einsatz in der westafrikanischen Republik will sie ihre Assistenzzeit auf der Insel zu Ende bringen.

Was hat Sie zu diesem nicht ganz ungefährlichen Einsatz bewegt?

Ich hatte noch Resturlaub aus dem vergangenen Jahr, aber ich brauchte eigentlich gar keinen Urlaub, weil ich hier ein unheimlich ausgeglichenes Leben führe. Der Fall der mit Ebola infizierten Krankenschwester in Madrid hat mir zudem das Gefühl gegeben, dass wir hier auf den Ernstfall nicht richtig eingestellt sind.

Wie haben Sie sich vorbereitet?

Nachdem der spanische Ableger von Ärzte der Welt meine Bewerbung akzeptiert hatte, absolvierte ich im November zuerst einen zweitägigen Kurs hier auf der Insel. Im Januar folgte ein zweiter Kurs in Genf, der etwas mehr in die Tiefe ging. In beiden Kursen konnten wir mit Leuten sprechen, die schon dort unten waren. Denen konnte man konkrete Fragen stellen, zum Beispiel wie es mit der Ansteckungsgefahr aussieht.

Wie ist die aktuelle Situation in Sierra Leone?

Die Zahl der Neuerkrankungen ist rückläufig, gerade in den ländlichen Gebieten an der Grenze zu Guinea, wo die Epidemie ausgebrochen ist, sind teilweise ganze Bezirke frei von Ebola. Allerdings ist das in der Hauptstadt Freetown anders, dort kann sich das Virus viel schneller verbreiten, und die Zahl der Neuerkrankungen ist nach wie vor hoch. Ende vergangenen Jahres durften die Bürger Sierra Leones drei Tage lang ihre Häuser nicht verlassen - das ist ein Hinweis darauf, wie heftig das Land von der Krankheit betroffen ist. Nicht nur medizinisch, sondern auch ökonomisch: Märkte und Schulen wurden geschlossen, die Menschen konnten nicht zur Arbeit gehen, verdienten nichts und konnten sich so nichts zu essen kaufen.

Wo werden Sie im Einsatz sein?

In Moyamba, einer Stadt 400 Kilometer südöstlich von der Hauptstadt Freetown. Dort wurde im Dezember ein neues Ebola-Krankenhaus eröffnet, mit einer Kapazität von 100 Betten. Momentan sind aber nur 30 in Betrieb.

Wieso?

In Sierra Leone sind gerade zu Beginn der Ebola-Epidemie wegen fehlender Ausrüstung sehr viele Pflegekräfte und Ärzte an dem Virus gestorben - die Bettenzahl wird vor allem an die Kapazität der Helfer vor Ort angepasst. Häufig wurde die Erkrankung zu spät erkannt: Das Hauptsymptom ist Fieber, und das tritt auch beim im Land verbreiteten Lassa-Fieber und bei der Malaria auf.

Was hat man Ihnen in den Kursen beigebracht?

Grundlegendes wie das korrekte Anziehen der Schutzkleidung, aber auch viel Hintergrundinformationen. Man muss in vielem umdenken: Wenn wir zum Beispiel in die Dörfer gehen, um dort zu informieren und aufzuklären, und dort eine erkrankte Person am Boden liegt, darf man sich ihr nicht gleich nähern - man muss den Sicherheitsabstand einhalten oder sich erst entsprechend ankleiden. Eine Kollegin erzählte, dass in ihrem Krankenhaus ein infiziertes Kind aus dem ­Sicherheitsbereich entwischt ist: Das kann man sich dann nicht einfach schnappen, sondern man muss zunächst die Vorsichtsmaßnahmen einhalten.

Werden Sie auch selbst durch die Dörfer ziehen und die Menschen aufklären?

Vermutlich schon. Das ist dringend notwendig, weil dort viele Gerüchte kursieren. Wenn ein Erkrankter aus einem Dorf mitgenommen wird, dann wird sein ganzer Besitz verbrannt, und die Hütte zur Desinfektion mit Chlor besprüht - viele Einheimische glauben aber, dass die Weißen da nicht etwa Chlor sprühen, sondern den Virus ?

Was passiert, nachdem Sie einen Kranken aus einem Dorf mitgenommen haben?

Danach findet ein sogenanntes contact tracing statt: Geschulte Kollegen versuchen mit einheimischen Helfern, alle Personen auszumachen, die mit dem Infizierten Kontakt hatten, und diese 21 Tage zu beobachten.

Das ist sehr aufwendig.

Ja, pro Erkranktem sind das bestimmt 20 Kontaktpersonen. Und bei 20 Kranken sprechen wir dann schon von 400 Leuten, die man erst einmal finden und dann auch noch überwachen muss. Aber anders bekommt man die Krankheit nicht in den Griff.

Vermutlich haben Sie sich auch mit dem Worst-Case-Szenario beschäftigt: Was passiert, wenn Sie sich selbst anstecken?

In diesem Fall erhalten wir intensiv-medizinische Behandlung in einem richtigen Krankenhaus, also nicht in einem der Ebola-Zentren. Dass man uns ausfliegt, ist aber nicht gesichert - ich weiß aus meiner beruflichen Erfahrung, dass Krankentransporte je nach Zustand des Patienten medizinisch nicht immer sinnvoll sind.

Wie hat Ihr Umfeld auf Ihre Entscheidung reagiert?

Meine Mutter versteht, dass dort Ärzte benötigt werden - „aber doch nicht meine Tochter!". Das fand ich süß, es war ja auch eine Art Liebeserklärung. Wir haben viel darüber gesprochen, denn es ist wichtig, Ängste zu erörtern und ernst zu nehmen. Mein Vater sah das ein bisschen positiver, fand aber auch, dass man „solche Sachen" in meinem Alter nicht mehr macht. Meine Geschwister und engen Freunde haben alle sehr positiv reagiert und mich in meiner Entscheidung bestärkt.

In so ein Krisengebiet zu gehen ist ganz schön mutig.

Am Anfang hatte ich Zweifel: Ist das richtig, ist es gut für mich? Werde ich die psychische Belastung aushalten? Man muss wissen, dass in den Krankenhäuser 60 Prozent der Ebola-Patienten sterben, vor allem Frauen und Kinder. In den Dörfern ist der Prozentsatz noch viel höher, man sieht dort also sehr viel Leid. Und da man weiß, dass diese Menschen in Krankenhäusern europäischen Standards viel größere Chancen hätten, kann das schon zu Schuldgefühlen führen. Wir erhalten vor Ort, wie auch die ­Patienten und deren Familien, psychosoziale Unterstützung - ohne geht das wahrscheinlich gar nicht. Aber seit klar ist, dass ich das machen werde, fühlt es sich für mich einfach richtig an. Zudem gehe ich mit zwei spanischen Kollegen von der Insel, die Erfahrung bei Auslandsein­sätzen haben - das hilft.

Was nehmen Sie mit?

Neben Sonnencreme und Moskitonetz wurden uns extra Socken empfohlen: Wir arbeiten bei 30 Grad den ganzen Tag in Gummistiefeln, da schwitzt man wohl sehr. Außerdem ein Familienfoto, meinen Laptop und viele Bücher.

Meinen Sie, Sie haben Zeit zum Lesen?

Wir arbeiten pro Tag zweimal zwei Stunden in den Anzügen, mehr geht nicht. Zwar kommen noch Besprechungen hinzu, aber man hat viel freie Zeit - in der man nicht mal mit den Kollegen Schach spielen kann. Man darf keinerlei Gegenstände des anderen berühren, nicht einmal ein Feuerzeug weiterreichen. Im Prinzip sind es sechs Wochen ohne jeden körperlichen Kontakt - das wird schwierig, gerade wenn man aus spanischen Verhältnissen kommt! (lacht)

Wie lange werden Sie im Einsatz sein?

Ich bin sechs Wochen vor Ort, im Anschluss muss ich noch drei Wochen in „Quarantäne", was aber eher ein Urlaub wird: Ich muss zwar regelmäßig Fieber messen, darf aber ganz normal leben - nur der Kontakt zu Patienten ist in dieser Zeit verboten.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 29. Januar (Nummer 769) lesen Sie außerdem:

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