Sie haben eine Deutschland-Flagge gehisst. Weithin sichtbar weht sie auf der teilweise ausgebrannten Baracke direkt gegenüber von Palmas Friedhof. Vier Deutsche hausen hier. Wie lange dort die Fahne noch dem Wind trotzt, ist ungewiss. Denn nach dem Willen des mallorquinischen Inselrates, dem das Grundstück gehört, sollen die Bewohner dort bald verschwinden.

Fast idyllisch sieht es hier aus. Feigenkakteen, ein kleiner Bachlauf und viel Grün verharmlosen die Szenerie. Hinter der Beinahe-Ruine steht ein überdimensioniertes Wahlplakat der Volkspartei (PP): „El Mallorca que volem tots" lautet der Slogan. Das Mallorca, was alle wollen. Daniel (24) kommt das wie blanker Hohn vor. Er wolle eine ganz andere Insel als die, die er momentan erlebt, sagt er. Der junge Schwabe aus Böblingen lebt seit September 2010 in den dunklen, dreckigen Räumen und möchte nach eigener Aussage nur noch zurück in den Norden. Am liebsten nach Österreich.

Seine Geschichte geht so: Daniel wollte mit seinem Kumpel Jens eine Woche Spaß auf ­Mallorca haben. Sie hatten kurzfristig eine All-inclusive-Reise nach Can Picafort gebucht und kamen am 20. September 2010 auf der Insel an. Sie hatten die Reise schon angetreten, als der Betrag noch nicht vom Konto abgebucht war. Dann kam plötzlich eine unerwartete Abbuchung dazwischen, und der Reiseveranstalter konnte das Geld nicht mehr einziehen. Der Rückflug war auf einmal nicht mehr möglich. Sie saßen schon in der Abflughalle, da wurden sie per Lautsprecher herausgerufen. Von da an waren sie auf der Insel gestrandet.

Sie gingen zum Konsulat und erkundigten sich über Möglichkeiten zur Rückkehr. Sie seien mit fünf Euro und zwei Wasserflaschen abgespeist worden, sagt Daniel. „Wir sind dann in eine Obdachlosen­unterkunft gekommen. Dort waren die Zustände schrecklich", erzählt er weiter. „Wir waren in Zimmern mit vielen anderen zusammen untergebracht. Die Leute waren hauptsächlich Drogenabhängige und Alkoholiker. Nach zwei Wochen sind wir wieder ausgezogen."

Zunächst kamen sie dann im verfallenen Stadion Lluis Sitjar unter, wo sie mit etwa 30 anderen, zumeist rumänischen Obdachlosen hausten. Auch dort hatten sie „kein gutes Gefühl". Immer wieder gab es Auseinandersetzungen. Ende des vergangenen Jahres fanden sie dann die Baracke am Sturzbach Torrent de sa Riera. Die Tür war verriegelt, vorher hatten dort lärmende Punks gewohnt. Jens und Daniel brachen die Tür auf und hatten ab diesem Zeitpunkt ein neues Zuhause.

In den Wochen darauf zogen noch zwei weitere Deutsche, Norbert und Oliver, bei den beiden gestrandeten Urlaubern ein. Oliver ist laut eigener Aussage tiquetero in Magaluf und soll mit seinem Team von Bauernfängern die Discos mit Engländern füllen. Die Arbeit beginne allerdings erst in dieser Woche. Er sei auf eine junge, hübsche Mallorquinerin hereingefallen, die ihm sein Geld aus der Tasche gezogen habe.

Die vier halten sich als Straßenkünstler mit großen Seifenblasen über Wasser. „Wenn das Wetter besser wäre", sagt Daniel an diesem Donnerstagmittag, „wäre ich jetzt auch unten am Parc de la Mar." Nie habe er daran gedacht, einmal auf Matratzen in einem abbruchreifen und dreckigen Haus zu landen. „Okay, früher bin ich schon mal von zu Hause abgehauen und war mal eine Woche am Bodensee wild campen. Aber da wusste ich, dass ich daheim noch meine Wohnung hatte."

Sogar eine Hausnummer haben sie gefunden. Ein blaues Schildchen mit der Ziffer 8 prangt am Eingang.

Im Konsulat freilich hört sich die Geschichte ganz anders an. An die Öffentlichkeit darf diese Version nicht gelangen, aus Datenschutzgründen. Nur so viel sei gesagt: Die Beamten hegen Zweifel an der Version von Daniel und seinen Mitbewohnern.

Allgemein gilt: „Das Konsulat kann zu Einzelfällen leider keine Stellung nehmen", heißt es. „Grundsätzlich leisten wir vorrangig Hilfe zur Selbsthilfe." Könne dem Gestrandeten nicht am gleichen Tag geholfen werden, oder müsse erst eine innerdeutsche Stelle kontaktiert werden, so helfe das Konsulat, eine kostenfreie Unterkunft mit Verpflegung im Obdachlosenheim zu finden. „Die Hilfesuchenden werden gebeten, dann am nächsten Tag wieder vorzusprechen."

Mit gestrandeten Urlaubern haben die Beamten ihre Erfahrungen. In fast allen Fällen sei bewusst kein Rückflug gebucht worden. Wer wirklich zurück wolle, für den gebe es immer einen Weg. „Mit viel Kreativität und Überredungskunst haben wir immer noch jemanden gefunden, der einen Rückflug gezahlt hat", heißt es bei der Auslandsvertretung. Stehen gelassen werde niemand auf der Insel.

Wohl schon bald müssen sich Daniel und seine Mitbewohner eine andere Bleibe suchen. Der mallorquinische Inselrat möchte die Baracke lieber heute als morgen räumen. Sollte der Sturzbach einmal anschwellen, seien die Deutschen in Gefahr, heißt es. Und überhaupt ginge es nicht, dass dort Obdachlose hausten. Ein Polizist war schon da und hat den Deutschen die Räumung angedroht.

Daniel ist dann erst einmal fein raus. Er habe mit der Hilfe österreichischer Stiftungen Unterstützung für den Heimflug bekommen, sagt er. Am Donnerstagnachmittag (26.5.) soll seine Maschine in Richtung Innsbruck starten. Die anderen bleiben erst einmal auf der Insel. Wo sie nach der Räumung hingehen sollen, wissen die Bewohner noch nicht. Die deutsche Flagge wollen sie aber mitnehmen.

In der Printausgabe vom 26. Mai (Nummer 577) lesen Sie außerdem:

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