Die russischen Kunden und Freunde sind beunruhigt. Bei Irina Gräfin von Plettenberg, die sich mit ihrer Immobilien- und Urlaubs­agentur auf den russischen Markt spezialisiert hat, häufen sich die Anfragen. Es melden sich sowohl Urlauber, die bereits gebucht haben, als auch Immobilien-­Käufer, die eine Anzahlung geleistet haben. Werden jetzt wirklich die Visa-Bestimmungen für die Reise nach Spanien verschärft? „Ich hoffe, es ist nur ein Warnschuss", so die Halbrussin.

Der von Mallorcas Tourismusbranche so umworbene und beschworene Wachstumsmarkt steht vor einer Bewährungsprobe. Nach der Eskalation der Krise in der Ukraine und auf der Halbinsel Krim, wo der russische Ministerpräsident Wladimir Putin mit seiner Politik den Westen vor den Kopf stößt, droht die Europäische Union mit einer Verschärfung der Visa-Bestimmungen. Getrübt wird die Reise- und Investitionslust zudem durch den historischen Tiefstand des Rubels: Der Euro und damit Mallorca ist für die Russen sprunghaft teurer geworden.

Beide Entwicklungen bereiten Tom Peeters derzeit gleichermaßen Sorgen. Der Verkaufsleiter der im russischen Markt auf Mallorca führenden Agentur NT Incoming, zu dem der Reiseveranstalter Natalie Tours gehört, berichtet von einem plötzlichen Buchungsstopp. Allerdings hätten die Zahlen bis zum Ausbruch der diplomatischen Krise rund 20 Prozent über dem Vorjahr gelegen. Sollten die Visa-Beschränkungen aber tatsächlich verschärft werden, werde Mallorca als Reiseziel gänzlich unattraktiv.

Ähnlich urteilt Tatiana Sapunova, Besitzerin eines auf Russland spezialisierten Reisebüros in Santa Ponça. „Dann würde hier der russische Markt den Bach runtergehen." Es gebe genügend Länder, wo überhaupt kein Visum für ihre Landsleute verlangt werde - Thailand oder die Malediven seien ja auch schön. Von Plettenberg spricht von weltweit 120 Ländern, in die russische Urlauber ohne Visum einreisen können oder dieses unbürokratisch bei Ankunft erhalten. Dabei habe sich die Beantragung bei den spanischen Behörden gut eingespielt: Das Visa sei innerhalb einer Woche zu haben.

Zuletzt war die Zahl der russischen Urlauber 2013 deutlich gestiegen. Das balearische Statistik­amt zählte für die Inseln 98.000 Urlauber, 11.000 mehr als im Vorjahr. Die Flughafenverwaltung Aena registrierte 2013 an Palmas Airport 91.000 Passagiere, die von Flughäfen in der Russischen Föderation abgeflogen waren - knapp 9.000 mehr als im Vorjahr. Mehr als auf die Touristenzahl schaut die Branche aber auf die Ausgaben der Gäste. Von Plettenburg beziffert sie mit durchschnittlich 600 Euro pro Tag und Russe - im Gegensatz etwa zu den rund 180 Euro, die deutsche Touristen ausgeben.

Beim Hoteliersverband auf Mallorca übt man sich indes in Optimismus. Man habe die Versicherung von der Zentralregierung in Madrid, dass die Drohung einer Visa-Verschärfung nicht umgesetzt werde, so Geschäftsführerin Inmaculada Benito. Allerdings bleibe abzuwarten, welchen Kurs Brüssel vorgebe. Viel größere Sorgen bereite den Hoteliers der schwache Rubel-Kurs, so Benito.

Auch Peeters von NT Incoming gibt zu bedenken, dass die ­Mallorca-Ferien den russischen Urlauber wegen der Verteuerung des Euro und der Preissteigerungen im Schnitt rund 35 Prozent teurer kommen als im vergangenen Jahr. Diese Preisschraube könne sich vor dem Hintergrund der derzeit ungewissen Entwicklung weiter drehen. Peeters will nun mit den ­Hoteliers sprechen, um Nachlässe bei den Zimmerpreisen auszuhandeln.

Sollte der Russen-Boom auf Mallorca zum Stillstand kommen, würde das die Insel-Wirtschaft sehr unterschiedlich treffen. Am stärksten wären Anbieter betroffen, die sich auf die zahlungskräftigen Urlauber und Neu-Residenten konzentriert haben. Die meisten Hotels dagegen achten auf einen ausgewogenen Mix in ihren Häusern, so etwa das Hotel Nixe Palace in Palmas Viertel Cala Maior. Der Anteil der Russen liege bei rund 30 Prozent, heißt es in der Buchungsabteilung - das werde man nicht steigern. Zumindest die Frühbuchungen seien bislang auf Vorjahresniveau.

„Die Hoteliers werden ihre Hotels auch so vollbekommen", meint Peeters - schließlich sind Steigerungen in den meisten anderen Quellmärkten prognostiziert. Hotelierspräsident Aurelio Vázquez verwies auf der ITB etwa auf den sich erholenden spanischen Markt. Allerdings bleiben die Russen im Schnitt zwei bis drei Wochen - statt wie etwa die Deutschen nur fünf Tage, was sich in den Erträgen der Hotels niederschlägt. Und vor allem Geschäftsleute und Gastronomen dürften zu spüren bekommen, wenn weniger Russen kommen sollten.

Manche Immobilienmakler klammern sich unterdessen an die von Madrid beschlossene Regelung, wonach Ausländer automatisch eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn sie mehr als 500.000 Euro in eine Immobilie, etwa eine Villa auf Mallorca, investieren. „Das ist wichtiger als die Visumsfrage", meint der auf russischsprechende Kunden spezialisierte Immobilien-Kaufmann Andrej Rybak.

Noch ist alles in der Schwebe, und Politiker wie Touristiker werden ab Mittwoch (19.3.) vor Ort versuchen, den Boom am Leben zu halten: Dann beginnt in Moskau die Touristikmesse MITT, wo sich am Balearen-Stand alles um Visa und Rubel drehen dürfte. Peeters: „Wir werden alle gemeinsam nach einer Lösung suchen."

Charterflüge nach Kiew abgesagt

Während die Aussichten im russischen Markt ungewiss sind, geht in der Ukraine erstmal gar nichts: Man habe vor dem Hinter­grund der ungewissen Entwicklung drei wöchentliche Charterflüge von Kiew nach Palma für den Sommer abgesagt, so Peeters von NT Incoming.

Mit den Millionären aus Moskau können die ukrainischen Urlauber natürlich nicht mithalten. „Die Ukrainer kommen zum Arbeiten, die Russen zum Geld ausgeben", meint Reisebüro-­Betreiberin Sapunova. Doch auch wenn die Ukrainer mit knapp 9.400 Passagieren 2013 weit hinter anderen Zielgruppen zurückliegen, ist Osteuropa ein wichtiger Wachstumsmarkt für die Balearen. Die Zahl der Ukrainer stieg 2013 um 74 Prozent. Zwar suchten sie in der Regel nicht Fünf-Sterne-Hotels auf, so Peeters, doch auch ihre Ausgaben lägen noch deutlich über denen der Deutschen.

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