Mallorca Zeitung

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Pilot im Zweiten Weltkrieg, Wiederaufbau in Bremen, 100. Geburtstag auf Mallorca

Hans Ulrich Gaserow hat jetzt in der Seniorenresidenz Es Castellot runden Geburtstag gefeiert. Das ist seine Geschichte

Bügelt und kocht in Es Castellot noch selbst: Hans Ulrich Gaserow. | FOTO: NELE BENDGENS

Gut gehalten habe er sich für seine 80 Jahre, scherzt eine Betreuerin in der Seniorenresidenz Es Castellot in Santa Ponça mit Hans Ulrich Gaserow. Wenn man den Norddeutschen da so sitzen sieht im schattigen Hof seiner Unterkunft, könnte man tatsächlich glauben, dass er viel jünger sei. Am Montag (3.7.) feierte er schon seinen 100. Geburtstag.

Bei der Geburtstagsfeier in der Seniorenresidenz Es Castellot. | FOTO: REGINA MOLL

Beim Treffen mit der MZ vier Tage vor seinem Jubeltag erklärt Gaserow, er komme gerade vom Bügeln. Das mache er selbstverständlich noch selbst, genauso wie Wäschewaschen und Kochen. In Es Castellot lebt er seit 2016. Schuld daran sei seine Tochter, eine Zahnärztin, die gemeinsam mit ihrem Mann, ebenfalls Zahnarzt, eine Praxis in Santa Ponça führt. „Sie versorgt mich auch mit Lebensmitteln, damit ich mir hier mein Essen kochen kann“, sagt Gaserow.

Wegen der Hitze auf Mallorca habe er sich lange geweigert, aus seiner Heimat Bremen auf die Insel zu ziehen. Aber jetzt sei der 100-Jährige froh über seine Entscheidung und den geregelten Ablauf in der Seniorenresidenz, meint er. Denn Aufregung und Abwechslung hatte er im zurückliegenden Jahrhundert mehr als genug.

„Ich wollte Offizier werden“

Gaserow hat ein „turbulentes Leben“ hinter sich, wie er selbst sagt. 1923 wurde er in Wilhelmshaven geboren, mit seinem Bruder verbrachte er einen Teil seiner Kindheit auf der Nordseeinsel Wangerooge. An diese Zeit hat er mit die schönsten Erinnerungen. „Wir sind durch die Dünen gerannt und konnten tun und lassen, was wir wollten“, erzählt er. Auf Wangerooge kam der Teenager zum ersten Mal mit Kriegsgerät in Berührung. Auf der Insel gab es Ende der 1930er-Jahre erste Tests mit sogenannten Raketenflugzeugen. Das faszinierte Hans Ulrich Gaserow – genauso wie das Segelfliegen. „Ich wollte unbedingt Offizier bei der Luftwaffe werden.“

Er habe damals keine Bedenken gegen das NS-Regime gehabt, habe es sogar „toll“ gefunden, dass Deutschland wieder ein starkes Militär hatte. Gaserow durchlief die NS-Indoktrinierung, ging als Jugendlicher auf eine sogenannte Napola (Nationalpolitische Erziehungsanstalt), ein Elite-Internat der Nationalsozialisten, und dann 1941 zur Luftwaffe. Dass dies bedeutete, in den Krieg zu ziehen und womöglich zu sterben, habe ihn nicht davon abgehalten. „Wir hatten in dem Alter eine ganz andere Einstellung zum Leben.“

Ein Zufall rettete sein Bein

Gaserow wurde ins belgische Gent versetzt, dann ging es für ein Jahr nach Berlin, im Anschluss folgte der erste Einsatz an der Front: Der junge Kampfpilot sollte zunächst die Truppen in Stalingrad versorgen, doch dazu kam es angesichts der Kapitulation der 6. Armee nicht mehr. „Ich bin dann aber in Russland geblieben und wurde bei einem Kampfeinsatz schwer verletzt“, berichtet Gaserow.

Ein Propeller durchschlug sein rechtes Bein, fünf Monate verbrachte er in den verschiedensten Lazaretten. Das Bein sollte amputiert werden. „Da kam es zum größten Wunder in meinem Leben“, sagt Gaserow. Im Lazarett sei eine junge Frau, eine Krankenschwester, auf ihn zugekommen und habe gesagt: „Ich bin doch deine Cousine aus Hamburg.“ Sie schaffte es, den Chefarzt davon zu überzeugen, dass Gaserows Bein dranblieb.

Seine Vorgesetzten beorderten ihn am 20. Juni 1944 zu einem geheimen Projekt an die Westfront. Er flog Einsätze gegen die Häfen der Alliierten und auf die Stadt London, warf dort mit dem Bomber He 111 HSS die von der NS-Propaganda als Wunderwaffe gefeierten V1 ab. Mit dem Marschflugkörper sollte Vergeltung für die Bombenangriffe auf deutsche Städte geübt werden. Die Frage, ob Hans Ulrich Gaserow damals vor allem militärische oder auch zivile Ziele bombardierte, beantwortet er nicht eindeutig.

Schon mit 26 Jahren Chef

Die meisten Mitglieder der Kampfgeschwader kamen ums Leben. Er überlebte als einer von wenigen. Nach Kriegsende kam er 1945 in ein Internierungsgebiet in Schleswig-Holstein. „Da saß ich dann und wusste nicht so recht weiter“, sagt er heute. Südamerikanische Fluggesellschaften warben einige seiner ehemaligen Kollegen ab. Gaserow lernte zwar prophylaktisch etwas Spanisch, aber dann kam es doch nicht zum Neuanfang in Übersee. Ein Freund brachte ihn auf die Idee, Architekt zu werden. Gaserow begann eine Ausbildung zum Zimmermann und durfte nach einer kurzen Wartezeit ein Architekturstudium aufnehmen.

Wieder kam dem Norddeutschen der Zufall zu Hilfe. Kurz nachdem er bei seiner Arbeitsstelle, einer Wohnungsbaugesellschaft in Bremen, angefangen hatte, wurde sein Vorgesetzter entlassen. „Man fragte mich, ob ich mir das zutrauen würde, und ich sagte ja.“ Mit gerade mal 26 Jahren war er in einer Führungsposition. Kurz darauf baute er in Bremen das erste Wohnhochhaus mit 18 Etagen. Während seiner Anfangszeit in der Wohnungsbaugesellschaft lernte er auch seine spätere Frau kennen. Mit ihr bekam Gaserow zwei Töchter.

Mit über 60 Jahren auf Weltreise

Beruflich hatte er Anfang der 1960er-Jahre Lust auf eine Veränderung. Zum 1. Januar 1962 machte sich Gaserow selbstständig und eröffnete ein eigenes Architekturbüro. Es waren goldene Zeiten, in Deutschland wurde ohne Unterlass gebaut. Gaserow spezialisierte sich auf die Planung von Einfamilienhäusern, die in Bremen oberhalb des Weserufers damals besonders gefragt waren. „Ich habe in meinem Leben über 4.000 Wohnungen und Häuser gebaut.“ Aber auch Banken und Hotels plante er. Bis er 62 Jahre alt war und von heute auf morgen beschloss, mit dem Arbeiten aufzuhören. „Es war gerade eine flaue Zeit, ich habe mir meine Lebensversicherung auszahlen lassen."

Fortan war Gaserow mit seiner Frau vor allem auf Kreuzfahrtschiffen in Europa und Nordamerika unterwegs – etwa 14 Jahre lang reisten beide um die Welt. Bis seine Frau im Alter von 80 Jahren starb. „Die Luft wurde dünner für mich, um mich herum starben die meisten Freunde weg, und ich habe mich ernsthaft mit dem Gedanken befasst, nach Mallorca zu ziehen.“ Dann ging alles ganz schnell: Gaserow verkaufte sein Haus in Bremen und stand mit einem Möbeltransporter in Es Castellot.

Neues Glück auf Mallorca

Angesichts der „Übermacht weiblicher Wesen“ in der Residenz habe er anfangs Bedenken gehabt. Doch die seien völlig unbegründet gewesen, es gehe ihm hier bestens. Wobei er sich ja auch die meiste Zeit noch um sich selbst kümmern kann. Den Kochlöffel lässt er allerdings in der nächsten Zeit vermutlich eher ruhen. „Ich hatte mir vorgenommen, häufiger im Restaurant essen zu gehen, wenn ich erst einmal 100 bin“, sagt Gaserow. Nach einer Stunde findet er, dass er genug erzählt hat und beendet das Interview mit dem Satz: „Ende der Durchsage.“

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