Jürgen Drews ist der selbst ernannte „König von Mallorca“, Àngel Aguiló hat sich zum „President“ der Insel ausgerufen. Aguiló ist ein Mallorquiner, wie er im Buche steht. Sagt zur Begrüßung mit dem MZ-Reporter „Tot bé?“, trägt einen Pulli mit der Aufschrift „Uep“ (ebenfalls eine Begrüßung, entspricht in etwa „Hi“ im Deutschen) und mustert seine Umgebung mit wachen Augen.

Aguiló war bis Dezember 2020 ein ganz normaler Journalist, der beim Radio und zuletzt beim Fernsehen eine Show verantwortete. Diesen Job macht er weiterhin, nur ist er eben seit gut einem Jahr auch noch der „President“. Er regiert bislang ausschließlich auf Youtube, Twitter und anderen sozialen Netzwerken und erfreut sich täglich neuer Follower. Über 13.000 sind es immerhin schon bei Twitter.

In einer spontanen Eingebung stellte Aguiló Ende 2020 das Handy auf den Tisch in seiner Wohnung in Palmas Viertel Es Rafal, setzte sich davor und sonderte in knapp zwei Minuten eine Botschaft an alle Bewohner der Dörfer in der Serra de Tramuntana ab, die jedes Mal aufstöhnen, wenn es ein paar Flocken schneit und sich Tausende aus Palma oder den umliegenden Gemeinden auf Meereshöhe auf den Weg in die Berge machen. „Kriminalisiert sie nicht, lasst sie doch ihren Spaß haben“, forderte Aguiló in seinem ersten Video.

Das Debüt des „President“ ist weder besonders pointiert, noch technisch aufwendig gestaltet. Aguiló hatte deshalb auch nicht mit einem Nachhall gerechnet. Doch es kam anders: „Kurz nach der Veröffentlichung des Videos rief mich schon der Regionalsender IB3 an und wollte ein Interview“, erzählt Aguiló. Von da an flutschte es, der 41-jährige zweifache Familienvater traut sich inzwischen sogar auf TikTok, die Videoplattform, die vor allem Jugendliche nutzen. Heute gehen die Videos von Aguiló fast immer viral, vor allem wenn der Journalist Eigenheiten des Mallorquinischen oder der Mallorquiner erklärt.

Warum auch blinken?

Da geht es einmal um die weitverbreitete Unart der Insel-Autofahrer, den Blinker nicht zu benutzen. Es habe schließlich niemanden zu interessieren, wohin man fahren wolle, erklärt der „President“. Allerdings geht er in diesem Video mit seinen Landsleuten hart ins Gericht und fordert die Mallorquiner auf, doch vom Blinker Gebrauch zu machen. Schließlich wolle man sich doch nicht ständig von Ausländern oder Festlandspaniern vorhalten wollen, man könne nicht Auto fahren.

Ein andermal erläutert er mallorquinische Begrüßungen. Auf einem Zettel hat der „President“ fünf Grußformeln notiert, die er kurz erklärt. Hinter 6. steht … nichts. „I res es res“, sagt Aguiló, nichts ist nichts. Weil es den Mallorquiner nervt, grüßen zu müssen. Es sei deshalb verbreitet, sich auf der Straße einfach gar nicht zu grüßen. Das bedeute aber nicht, dass man sich nicht schätze. Ganz im Gegenteil: „Es kann dann vorkommen, dass mir die Person, die mich gerade auf der Straße nicht gegrüßt hat, eine halbe Stunde später eine Nachricht schreibt und mich für in ein paar Tagen zum Essen einlädt.“

Aguiló spielt mit dem manchmal etwas verschlossen wirkenden Charakter der Insulaner, ohne sich selbst auszuklammern. Er erklärt mallorquinische Eigenarten, nimmt sie aber auch gern aufs Korn. Das macht die Videos so authentisch. „Im ,President‘ steckt ein großer Anteil Àngel Aguiló“, sagt er. Der Vorteil an seinem Alter Ego sei, dass er zuspitzen könne, was er so denke und empfinde. Zumindest bisher hat Àngel Aguiló kaum negative Rückmeldungen auf seine Videos bekommen, obwohl die es manchmal in sich haben.

Immer diese Argentinier

Wie etwa das Video, in dem er sich über Argentinier beklagt. Sie seien „extrem nervig“, wüssten alles besser, vor allem, wenn es um eine ordentliche parrillada, also eine Grillorgie gehe. Und überhaupt würden sie ihren ausgeprägten spanischen Akzent über Gebühr kultivieren, auch wenn sie seit Jahrzehnten auf der Insel lebten. Zudem redeten sie zu viel. „Ihr seid unerträglich“, ruft Aguiló ihnen zu.

Oder Aguiló regt sich über Festlandspanier und Südamerikaner auf, die es immer noch nicht schaffen, Mallorca, Palma, La Palma oder Las Palmas auseinanderzuhalten. Regelmäßig kommt es in nationalen und internationalen Nachrichtensendungen zu peinlichen Irrtümern, die für Aguiló gefundenes Fressen sind. Zuletzt beim Vulkanausbruch auf La Palma. Ein argentinischer Fernsehsender hatte über den Ausbruch berichtet und ihn auf Mallorca verortet. Aguiló nimmt also eine Landkarte zur Hand und erklärt aufgebracht und unter Zuhilfenahme von Kraftausdrücken, wo welche Inselgruppe liegt und wie die geografischen Bezeichnungen richtig lauten.

Und freut sich insgeheim über solche Vorkommnisse. „Das ist irre, ich muss mir nichts ausdenken, die Wirklichkeit ist oft so wahnsinnig“, sagt er. Hin und wieder hilft ihm auch sein siebenjähriger Sohn bei den Videos. Er gibt sich beinahe ebenso ungerührt und authentisch vor der Kamera wie sein Vater – ein Naturtalent.

Stramm katalanisch

Bei alledem sieht sich Aguiló auch als Anwalt des Katalanischen in den sozialen Netzwerken. Denn die Sprache werde immer weiter zurückgedrängt, in den digitalen Medien finde sie kaum noch statt. „Es gibt dort einen richtiggehenden Hass gegen das Katalanische“, hat Aguiló beobachtet, der mit Vorliebe den Vorsitzenden der konservativen Volkspartei PP, Pablo Casado, durch den Kakao zieht.

Der Politiker tut das, was viele Konservative oder auch die Rechtspopulisten von Vox tun: Er streitet ab, dass auf den Balearen Katalanisch gesprochen werde. „Das ist doch völlig hanebüchen“, sagt Aguiló. Natürlich habe das Mallorquinische oder das Ibizenkische seine Eigenheiten, aber deshalb seien es doch trotzdem Dialekte des Katalanischen.

Was fehlt Aguiló noch zu seinem Glück? Na klar: ein Video über Deutsche auf der Insel. „Ich habe schon oft darüber nachgedacht“, sagt er, „aber ich glaube, über die Deutschen müsste man eine ganze Serie machen, ein Video reicht da nicht.“ Auch sei ihm nicht klar, wie die Deutschen ihn verstehen sollten. Dabei dürfte Katalanisch mit deutschen Untertiteln eigentlich kein Problem darstellen. Ja, vielleicht wäre das etwas, sagt Aguiló und fragt: „Womit würden Sie denn beginnen?“