Wenn die Eltern von Alex Engel früher auf den Kirchbänken saßen, Wochenende für Wochenende, und warteten, dass ihr kleiner Sohn mit dem Staats- und Domchor Berlin zu Ende aufgetreten war, dann war ihnen oft langweilig. Nicht weil sie Kulturbanausen sind – im Gegenteil. Die beiden sind gehörlos. Auch heute hören sie keinen Ton, wenn Alex Engel auftritt – in Bars statt wie damals in Gotteshäusern und mit Partyliedern statt klassischen Partituren. „Ich bin Mallorcas meistgebuchter Schlagersänger“, sagt Alex Engel stolz. Er hat hart dafür kämpfen müssen – nicht nur wegen seiner Herkunft.

Königgarten in Cala Ratjada, Krümels Stadl in Peguera, Münchner Kindl und MK Arena an der Playa de Palma, Allsun-Hotels – Alex Engel ist mittlerweile in vielen Lokalen auf Mallorca ein fest gebuchter Act. Bis zu sieben Auftritte an den verschiedensten Ecken der Insel meistert er im Sommer unter der Woche, kurvt von seiner Wohnung in Cala Ratjada aus überall hin. Am Wochenende geht es dann weiter zu privaten Feiern oder öffentlichen Veranstaltungen nach Deutschland.

Schlagergeschäft "ist ein Verdrängungswettbewerb"

„Ich wollte hauptberuflich Schlagersänger sein, das habe ich jetzt geschafft.“ Bloß niemandem absagen, bloß keine Gelegenheit ungenutzt lassen, neue Fans zu gewinnen und alte zu beglücken. Jeden Anhänger ernst nehmen, jeden Autogrammwunsch erfüllen. Das Schlagergeschäft ist hart „Es ist ein Verdrängungswettbewerb. Aber ich versuche, immer fair und menschlich mit allen umzugehen“, sagt der Berliner – und man glaubt es ihm.

Seine ersten Bühnenerfahrungen im Mallorca-Sommer sammelte er 2015, damals noch mehr aus Jux. 2016 versuchte er es dann ernsthaft, trat teilweise sogar ohne Gage auf, putzte in Kaltakquise unermüdlich Klinken – und ergatterte mit der Zeit und viel Eigeninitiative immer mehr Aufträge. Schon 2019 galt er mit mehr als 200 Auftritten im Sommer als meistgebuchter Schlagersänger der Insel, 2020 bekam er den Ballermann-Award als „Senkrechtstarter des Jahres“, 2021 kürte das „MDR-TV-Voting“ eines seiner Lieder als „Hit des Jahres“, und auch in den iTunes-Schlagercharts erreichten mehrere seiner Lieder den ersten Platz. Die Songs sind heiter, nicht immer tiefgründig, aber doch deutlich über dem Niveau von Ballermann-Hits à la „Dicke Titten Kartoffelsalat“.

Après-Mallorca auf den Kanaren

Zu den ganz Großen gehöre er noch nicht, sagt der 33-Jährige bescheiden. Sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen, komme für ihn daher auch gar nicht infrage. Nach der anstrengenden Mallorca-Saison startet er ab Montag (24.10.) nahtlos in die Winter-Saison auf den Kanaren.

Entstammt all dieser Ehrgeiz allein der Tatsache, dass Alex Engel als Kind gehörloser Eltern aufwuchs? Sicherlich nicht. „Das ist ein der Facetten, die mich ausmachen, aber eben nur eine von vielen“, sagt er. Die Gehörlosigkeit seiner Eltern habe ihm in der Kindheit neben Nachteilen auch Vorteile gebracht, wie so vieles andere im Leben auch.

„,Alex ist laut und redet immer dazwischen‘, der Satz stand auf jedem meiner Zeugnisse in der gesamten Schulzeit“, erinnert sich der Berliner und grinst. So sei das eben, wenn man mit Eltern aufwachse, die nichts hören. „Dann beschwert sich zu Hause niemand über lautes Türenschlagen, Schmatzen oder Besteckgeklapper. Wie man sich in diesen Dingen richtig verhält, lernt man dann erst im Umgang mit Hörenden.“

Überhaupt sei einiges bei ihm zu Hause anders gelaufen als bei den Klassenkameraden, aber nicht unbedingt schlechter. „Meine Eltern waren immer recht selbstständig. Trotzdem habe ich stets die Behördengänge für sie geregelt. Das hat meine Selbstständigkeit gefördert. Einen Anruf beim Finanzamt zu machen, war für mich nie ein Problem.“ Und manchmal sei es durchaus praktisch, wenn Mama und Papa nichts hören. „Als ich sechs Jahre alt war, wollte ich unbedingt Geige lernen, verlor dann aber schnell die Lust. Oft habe ich nur so getan, als würde ich üben, und keiner hat es gemerkt“, erzählt Alex Engel.

Schon als Kind bei Konzerten

Gleichzeitig sei es den Eltern – einem Bildhauer und einer Fotografin – stets wichtig gewesen, ihr Kind künstlerisch und musikalisch zu fördern. „Sie nahmen mich mit in Konzerte, kutschierten mich zu Proben, oder kauften mir Kassetten mit klassischer Musik. Kinderlieder lernte ich durch sie nicht, aber es war ihnen wichtig, dass ich Musik erlebe.“ Schon in der Grundschule begann Alex Engel, selbst Songs zu schreiben. „Ich erinnere mich an ein Liebeslied für ein Mädchen in der dritten Klasse – Erfolg hatte ich damit aber nicht.“

Auf den renommierten, aber viel Zeit in Anspruch nehmenden Staats- und Domchor Berlin, dem er mit sieben Jahren beitreten durfte, hatte er mit zwölf Jahren keine Lust mehr. Ein paar Jahre lang rückte die Musik in den Hintergrund. Nach der Schule baute Alex Engel eine kleine Veranstaltungsagentur auf, begann ein Lehramtsstudium, trat nur hier und da mal als Sänger auf. „Der Wunsch, es hauptberuflich als Schlagersänger zu versuchen, kam dann tatsächlich erst 2016 auf.“

Stolz statt traurig

Damals war Engel bereits Mitte 20 und längst von zu Hause ausgezogen. „Meine Eltern hätten sich wohl etwas Stabileres für mich gewünscht, wie alle Eltern, aber trotzdem unterstützen sie, was ich tue.“ Dass die beiden ihm zujubeln, obwohl sie allenfalls die Bässe seiner Lieder spüren, mache ihn nicht traurig, sondern eher stolz. „Natürlich hat das eine gewisse Tragik, aber auch eine Schönheit. Es zeigt, dass Eltern bereit sind, etwas für ihr Kind zu tun, auch wenn sie nicht daran partizipieren können.“

Das Musikvideo zum Titelsong „Ich sag Ja“ seines neuen Albums ist denn auch seinen Eltern gewidmet. Zu sehen ist Engel singend in Berlin, eingeblendet werden aber auch verschiedene Gebärdensprachler. „Ich sag Ja, einfach Ja. Ganz egal, was andere sagen, ich geh meinen Weg, ohne zu fragen“, heißt es im Refrain. Es ist ein Stück Vergangenheit, die Alex Engel in dem Lied aufarbeitet, ganz klar. Es ist aber auch seine Art, dem Leben zu begegnen. Unabhängig, selbstbewusst und immer dem Guten zugewandt.