Mallorca Zeitung

Mallorca Zeitung

Schafscheren auf Mallorca: Früher konnte man von der Wolle ein halbes Haus kaufen

Einmal im Jahr werden die Schafe geschoren. Es ist eine körperlich intensive Arbeit. Und mit der Wolle weiß kaum einer mehr etwas anzufangen

Schafscheren in Ariany – wenn die Tiere auf Mallorca zum Frisör müssen

Schafscheren in Ariany – wenn die Tiere auf Mallorca zum Frisör müssen Patrick Schirmer Sastre

Para ver este vídeo regístrate en Mallorca Zeitung o inicia sesión si ya estás registrado.

Schafscheren in Ariany – wenn die Tiere auf Mallorca zum Frisör müssen Patrick Schirmer Sastre

Es ist erst 10.30 Uhr morgens. Der Himmel über der Gemeinde Ariany ist bewölkt. Aber die T-Shirts der fünf jungen Männer, die unter dem halb offenen Bau ihre Arbeit verrichten, sind schon komplett verschwitzt. Dicht gedrängt an den Zaun, der den Arbeitsbereich vom Rest der Finca abtrennt, drängen sich die Schafe. Die Lämmer begleiten ihre Mütter bei der einmal im Jahr stattfindenden Schur. Dieses Mal schauen sie zu. Wenn sie nicht geschlachtet werden, sind auch sie kommendes Jahr dran.

Einer der Arbeiter bahnt sich seinen Weg durch die Schafe und sucht sich den nächsten Kunden dieses landwirtschaftlichen Friseursalons heraus. Ein bisschen schieben, ein bisschen ziehen, dann steht er schon mit dem Tier vor den Kollegen, die die gründliche Rasur übernehmen. Sobald einer der Männer fertig ist, lässt er das Schaf los. Schnell springt das Tier zu seinen Artgenossen. Der Schafscherer dreht an einem kleinen Rad, das am Stromkabel der elektrischen Schermaschine angeschlossen ist. Schäfchenzählen für die Abrechnung am Ende. Keine Atempause. Das nächste Schaf wartet schon. Rund zweieinhalb Minuten dauert die Arbeit an einem Tier.

Die Lämmchen begleiten die Mütter zur Schur. | FOTO: NELE BENDGENS

Ein gemeinschaftliches Erlebnis

Drum herum stehen ein paar ältere Herren und beobachten das Geschehen. Sie unterhalten sich, manch einer reißt einen Witz. Viele von ihnen tragen die inoffizielle Uniform der älteren Herren in der Inselmitte. Hut oder Baseballkappe. Ein Hemd, entweder kariert oder im Prince-of-Wales-Muster. Jeans und Arbeitsschuhe. Sie haben alle keine wesentliche Funktion an diesem Tag. Sie sind vor allem hier, um gemeinsam zu essen.

So wird ein Schaf geschoren.

Auf Mallorca gibt es rund 220.000 Schafe. Etwas mehr als 700 davon gehören Toni Mestre. Der Mann mit dem runden Gesicht und der ebenso runden Brille ist der Einzige, der ein wenig hektisch unterwegs ist. Er ist schließlich der Hausherr. Es sind seine Tiere, die heute ihre Sommerfrisuren bekommen. „Du bist ja schlimmer als eine Hausfrau am Tag der Schweineschlachtung“, ruft ihm einer der Männer entgegen. Grinsen bei den Umstehenden.

Schafe auf Mallorca.

Danach machen sich die Herren daran, das Frühstück zu richten. Teller um Teller mit verschiedenen cocas (Gemüsekuchen), kommen auf den Tisch. Sobrassada, Käse, Oliven, Brot. Wein. Wasser. Bier. Die fünf Arbeiter scheren indes noch schnell 30 Schafe eines Nachbarn. Als sie fertig sind, beginnt das Frühstück.

Ein Mallorquiner im Team

Pere Joan ist der einzige Mallorquiner in dem Team. Der 23-Jährige arbeitet bereits seit fünf Jahren in diesem Saisonjob, der von April bis Juni geht. Seine Kollegen sind Uruguayer. „Hier auf Mallorca lernen wir das Handwerk bei der Arbeit“, sagt er. „In Uruguay gibt es anscheinend richtige Schulen dafür.“ Pere Joan hat noch einen langen Tag vor sich. Um 8.30 Uhr haben die Männer mit der Arbeit angefangen, knapp über 200 Schafe sind geschoren. Fehlen noch 500. Ein Schaf wiegt an die 70 Kilo.

Auch beim Essen sitzt Hausherr Mestre keine Sekunde still. „Habt ihr genug von allem?“, fragt er seine rund 30 Gäste und Angestellten. Das gemeinsame Frühstück ist ein Ritual, um den anstrengenden und finanziell unrentablen Tag etwas angenehmer zu machen. „An der Schafschur führt kein Weg vorbei“, erklärt Toni Mestre. Mit all dem Fell würden die Tiere den Sommer nicht überstehen. Zudem gebe es hygienische Gründe.

45 Cent pro Schaf

Finanziell lohnt sich der Aufwand hingegen nicht. Exakt fünf Cent bringt das Kilo frisch geschorener Schafswolle. Die Reinigung und Produktion ist zu teuer, als dass es sich lohnen würde, darin zu investieren. Pro Schaf kommen zwei bis drei Kilo Wolle zusammen. Mestre bezahlt der Firma, die die Arbeiter entsendet hat, pro Schaf 45 Cent. Selbst wenn er die Wolle verkaufen könnte, es wäre ein massives Verlustgeschäft. „Im Grunde ist es Abfall“, sagt der Landwirt, der die Tiere für die Fleischproduktion züchtet. In der Vorwoche gab es einen Erlass vom Landwirtschaftsministerium. Die Wolle könne nun auch für landwirtschaftliche Zwecke eingesetzt werden. Was das heißt? „Angeblich soll sie gut sein, um die Baumstämme zu isolieren und vor Schädlingen zu beschützen“, sagt Mestre. „Na, mal sehen.“ Eine große neue Einnahmequelle sehe er nicht darin.

Wenn es sich denn lohnen würde

Als die Wolle noch richtig was wert war

Früher, da war das anders. „Im Jahr 1975 kostete die Wolle pro Kilo 110 Peseten, heute rund 70 Cent. Die Arbeiter bekamen damals rund 30 Peseten pro Schaf“, erklärt Mestre. „Man konnte mit den Einnahmen, die man in einem Jahr durch die Wolle hatte, ein halbes Haus kaufen.“ Ab Ende der 70er-Jahre seien die Preise in den Keller gegangen.

Auch Guillem Pascual erinnert sich an die Zeit, wo Wolle noch eine große Bedeutung hatte. Der 87-Jährige hat sein ganzes Leben auf dem Land gearbeitet. Noch heute besitze er rund 600 Schafe, erzählt er. „Als ich jung war, haben die Leute teilweise ihre Hochzeit um ein Jahr verschoben, weil sie sich nicht rechtzeitig um Wolle gekümmert hatten.“ Damals wurden die guten Matratzen daraus gemacht. Die jungen Eheleute, die sich ein gemeinsames Heim einrichten wollten, waren auf die Lieferung im Frühjahr angewiesen.

Es geht um Landwirtschaft

Das berenar, das Frühstück, läuft derweil auf Hochtouren. Immer wieder kommen ältere Männer um den Tisch, bieten Ensaimadas und bunyols (eine Art Krapfen) an, köpfen Cava-Flaschen. Die gerade stattgefundenen Wahlen spielen in den Gesprächen nur am Rande eine Rolle. Vor allem geht es um Landwirtschaft. Die Herren erzählen sich gegenseitig, welche Erfahrungen sie mit Ziegen, Schafen und Schweinen gemacht haben. „Ich habe lange Jahre Käse produziert. Aber das ging auf den Rücken.“ Die anderen nicken wissend.

Hinter einer Mauer auf dem Nachbargrundstück weidet derweil eine Gruppe Schafe. Ihr Fell ist noch dicht. Sie sind dann als Nächstes dran.

Artikel teilen

stats