Mallorca Zeitung

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Die Drachen auf Mallorca haben Familienzuwachs bekommen

In der Kirche Montesión in Palma haben sich zwei der Fabeltiere jahrhundertelang hinter einem Altarbild versteckt. Es sind ganz besondere Exemplare, die sich nun zu der ansehnlichen Reihe der auf der Insel gefeierten Artgenossen gesellen

Eine der erst kürzlich entdeckten Wandmalereien: Mit so einem Anblick rechnet man als Restaurator nicht unbedingt, wenn man mit dem Handy das Gewölbe hinter einem Altar inspiziert. Pere Terrasa

Einem Drachen zu begegnen, der im Hinterhalt lauert, gehört eigentlich nicht zu den Berufsrisiken eines Restaurators. Doch Pere Terrasa ist genau das passiert. Das Ungetüm versteckte sich in der Montisión-Kirche in Palma. Terrasa stand dort auf dem Kran und betrachtete die Polychromie des Gewölbes. Dann legte er sein Handy hinter das Altarbild, um durch die Selfie-Kamera nachzusehen, was sich an dieser Stelle der Decke befand, die für die Kirchenbesucher nicht zu sehen ist. „Ich bekam einen gewaltigen Schrecken, als mich plötzlich das Auge eines Drachens anblickte“, berichtet der Kunstrestaurator. Und damit nicht genug: Das Tier, das sich unbemerkt zwischen den Kreuzrippen verschanzt, erfreut sich der Gesellschaft eines weiteren Artgenossen.

Diese zwei Ungeheuer, die sich in einer Kapelle der Kirche des Jesuitenordens befinden, stammen aus dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts, wie eine Datierung durch Experten ergeben hat. Beide Drachen sind im Profil dargestellt, neben Auge, Ohr und Nase sind vor allem riesige Mäuler mit einer langen Feuerzunge und bedrohlichen Reißzähnen deutlich zu erkennen.

Eine extrem seltene Spezies

Der Historiker Marià Carbonell, der zusammen mit seiner Kollegin Concepció Bauçà de Mirabò den kunsthistorischen Bericht verfasst hat, weist darauf hin, dass ihre schlangenförmige Gestalt sich der Krümmung der Rippen des Gewölbes anpasst. „Sie sind etwa einen Meter lang, wurden während der ersten Bauphase der Kirche gemalt und sind nahezu perfekt erhalten“, so der Restaurator Pere Terrasa, der gerade mit einem interdisziplinären Team die Vorstudien für ein Konservierungs- und Restaurierungsprojekt in der Kirche durchführte, als er unverhofft ins Auge des Drachen sah.

Die Capilla de San Joaquín mit dem barocken Altarbild, das den Blick auf die zwei Drachen verstellt. Xicaranda

Terrasas zufällige Entdeckung ist einzigartig auf Mallorca. Laut Marià Carbonell liegt ihre Bedeutung vor allem darin, dass bislang kein anderes Beispiel für Wandmalereien mit der Figur eines Drachens als Dekoration in den Kirchen der Balearen bekannt war. „Und sie sind auch auf dem spanischen Festland überhaupt nicht üblich“, so der Historiker.

Die ersten Insel-Drachen stoßen nun zu einer Gruppe von 54 weiteren, die bislang auf der Iberischen Halbinsel katalogisiert wurden. „Wenn man die Gesamtzahl an Kirchen aus dem Mittelalter und der Neuzeit bedenkt – Tausende in ganz Spanien – dann sind das sehr wenige Drachen“, stellt Carbonell fest.

Guter oder böser Drache?

Ein schlangenartiger Drache könne eine negative Konnotation haben, da die Schlange in der Bibel für den Teufel steht, erklärt der Historiker. „Es ist jedoch möglich, dass er in diesem Fall eine positive Bedeutung hat“, erklärt er. Die Position, an der er über den Köpfen der Gläubigen gemalt wurde, so als würde er sie beschützen, könne so interpretiert werden, dass der Drache hier keine bösen Absichten hat, sondern sogar Unheil abwehrt.

Pere Terrasa ist davon überzeugt, dass die außergewöhnlichen Wandmalereien in irgendeiner Form zugänglich gemacht und in Zukunft von Besuchern bewundert werden können. Da die unerwartete Entdeckung zu Beginn einer umfassenden Restaurierung in der Kirche gemacht wurde, kann das allerdings noch eine ganze Weile dauern.

Drachen von Winzig bis wuchtig

Bis es so weit ist, gibt es zum Glück noch jede Menge andere Drachen, denen man auf Mallorca begegnen kann, wenn man ein Faible für die Fabeltiere hat. Da wären einmal indirekt die bei Urlaubern beliebten Höhlen „Coves del Drac“, die den Drachen im Namen tragen. Und ganz direkt die unzähligen endemischen Eidechsen, die einem beim Besuch der Dracheninsel Sa Dragonera um die Füße huschen – quasi Insel-Drachen im Taschenformat.

Echter „Drache“ auf der Insel Sa Dragonera. Frank Feldmeier

Wen schon diese wuseligen kleinen Reptilien beeindrucken, der wird Palmas Haus-und-Hof-Drachen lieben: Der Drac de Na Coca, der vor allem bei Kindern Kultstatus hat, bekommt seit 2011 beim Stadtfest Sant Sebastià seinen großen Auftritt, speit Feuer und sprüht Funken.

Der Legende nach lebte das Ungeheuer in Palmas Untergrund und wurde von dem Edelmann Bartomeu Coch als Zeichen der Liebe zu seiner Angebetenen zur Strecke gebracht. Dass das wuchtige Tier nicht wie eine Ausgeburt der Fantasie aussieht, sondern wie ein Krokodil, liegt daran, dass die Sage einen wahren Kern hat: Es gab einmal einen Kaiman, von dem unklar ist, wie er auf die Insel gelangt ist – seine Mumie ist in einer Vitrine im Diözesan-Museum zu bewundern.

Spektakulär: Palmas Stadtdrache Drac de Na Coca. G. Bosch

Drachen in Märchen und Erzählungen von Mallorca

Der Drac de Na Coca ist sicher der populärste, aber nicht der einzige Insel-Drache. Die Philologin Caterina Valriu, Spezialistin für Märchen und Legenden von Mallorca, erklärt: „Der Drache taucht meistens in Geschichten auf, in denen es um Magie geht. Normalerweise hat er die Funktion, etwas zu bewachen – das kann eine Prinzessin sein oder ein Schatz.“ Optisch habe er oft Merkmale echter Tieren, etwa Hörner, spitze Krallen und Fangzähne. Hinzu kämen fantastische Eigenschaften, die sich der Mensch ausdachte. „Manchmal haben Drachen einen Kopf, manchmal drei und manchmal sieben. Je mehr, desto schwerer sind sie zu töten“, so Valriu.

In alten Erzählungen sei drac im Übrigen manchmal als Synonym zu gegant, also „Riese“ verwendet worden. Beide Figuren eine die Gier, Menschen zu verschlingen. Weitere Verwandte sind Schlangenwesen, die ebenfalls oft als Wächter in Erscheinung treten. Ob die zwei neu entdeckten, schlangenhaften Drachen von Montisión wohl auch einen Schatz hüten…?

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