Raus aus dem Kreisverkehr, beschleunigen, den zähen Verkehrsfluss von Palma hinter sich lassen, ab auf die wenig befahrene Fahrbahn. Es ist ein Gefühl des Aufatmens, wenn man Palma in Richtung Manacor verlässt. „Sie erreichen Ihr Ziel in 35 Minuten“, tönt es aus dem Navi. Gute Ansage, gute Aussicht. Keine Staus, keine Komplikationen. So wie meistens auf der Ma-15. Wer von der Inselhauptstadt in die Hauptstadt des Inselostens will, hat in der Regel 45 angenehme Kilometer vor sich.

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Roadtrip entlang der Ma-15 von Palma de Mallorca nach Manacor Nele Bendgens

Kaum hat man die Ausfallstraßen verlassen, beginnt das flache Land. Es geht schnell vom centre ciutat, der Innenstadt, in die part forana, also alles außerhalb davon Gelegene. Rechterhand kommen noch die Entsalzungsanlage und das Elektrizitätswerk, linkerhand der Betonklotz des Krankenhauses Son Llàtzer. Ansonsten: Getreidefelder und Heuballen. Und die typischen Windmühlen. Teils frisch renoviert, teils kläglich heruntergekommen.

In der Ferne ist der Kontrollturm des Flughafens zu sehen, eine eben gestartete Maschine kreuzt die Straße. Auch Francisco Hernández hat sie gehört. „Einflugschneise und Verkehrslärm. Hier sitzt es sich doch schön draußen“, scherzt er mit Blick auf seine Außentische. Vor 24 Jahren übernahm der Andalusier mit seiner Frau das Restaurant Ca’n Gafet. Damals lag es an der einspurigen Landstraße, die die einzige Verbindung von Palma nach Manacor darstellte. Seit der Erweiterung zur Schnellstraße im Januar 2007 ist die Ma-15 fast vier Mal so breit, inklusive Seiten- und Mittelstreifen. „Es ist ein ganz anderes Ambiente, keine Frage“, sagt Hernández. Die Schnellstraße ist für ihn ein zweischneidiges Schwert. Sie verhindere lange Autoschlangen seiner Gäste zu den Stoßzeiten, „gleichzeitig haben wir aber kaum noch Laufkundschaft. Wer von Manacor aus auf uns aufmerksam wird, der muss bis zum nächsten Kreisel weiterfahren, umdrehen und zurückkommen. Das machen die wenigsten.“ In diesen 15 Jahren habe er sich aber damit arrangiert. „Was bleibt mir anderes übrig?“

Von der Landkarte verschwunden

Das Ca’n Gafet ist nur eins von vielen Restaurants, die unmittelbar von der Erweiterung der Ma-15 betroffen waren. Zu Landstraßenzeiten gab es zahlreiche Lokale, die hungrige Inselüberquerer befriedigten. Ein paar Kilometer weiter, hinter dem sanften Hügel von Son Gual, vorbei an Mandelbaumplantagen und dem blau-weißen Wasserturm, den die Insulaner wegen seiner Lolli-Form „Chupa Chups“ nennen, trauern die Gastronomen im Gemeindegebiet Algaida der alten Straßenführung noch immer hinterher. Cal Dimoni, Es 4 Vents, Hostal Algaida, Bar Marfil – die einstigen Kult-Raststätten sind durch den Bau der Schnellstraße praktisch von der Landkarte verschwunden. Anders als das Ca’n Gafet liegen sie gar nicht mehr an der Hauptverkehrsachse, sondern an dem auf diesem Abschnitt parallel zur neuen Straße verlaufenden Sträßchen Ma-15E. „Kein Vergleich zu früher. Hier kommt niemand mehr zufällig vorbei“, sagt ein Mitarbeiter vom Cal Dimoni.

„Die Schnellstraße ist klasse. Ich brauche eine halbe Stunde für eine Strecke, für die man vorher 75 Minuten gebraucht hat“, sagt dagegen Juan-Luis González, der sein Taxi vor dem Gemäuer der Glasbläserei Gordiola links der Ma-15 geparkt hat. Seine Fahrgäste bestaunen drinnen das Glasmuseum und die Kunsthandwerker bei der Arbeit. 8 Euro kostet der Eintritt in die Werkstätten. „Wir haben weniger Laufkundschaft, aber das sind doch alte Kamellen. Die Zeiten ändern sich eben“, sagt Antonia Pericas, die seit 44 Jahren im Glas-Shop von Gordiola arbeitet. „Das Einzige, was heute noch stört, sind die Kreisverkehre. Die hätten sie weglassen und eine richtige Autobahn bauen sollen“, findet Taxifahrer González. „Aber immerhin gibt es hier kaum Staus.“

Das stimmt. Staus auf der Ma-15 registriert auch die Straßenwacht selten. Sie befindet sich seit der Erweiterung in einem etwas heruntergekommenen Gebäude auf Höhe von Kilometer 25. Früher war hier eine Gärtnerei. Auf dem Hof liegen Verkehrsschilder herum, im Inneren blickt ein Mitarbeiter aufmerksam auf eine Monitor-Wand mit Echtzeitaufnahmen der entlang der Ma-15 postierten Überwachungskameras. Durchschnittlich rund 24.000 Autos am Tag wurden hier im Jahr 2021 registriert. Dieses Jahr dürften es deutlich mehr sein. Mit 22 Unfällen mit Personenschäden im vergangenen Jahr gilt die Ma-15 dennoch als eine relativ sichere Schnellstraße.

Perlen und ein Aussichtspunkt

Was abseits der Fahrbahn geschieht, entgeht den Kameras. So auch die Malereien an dem 14 Meter hohen Osborne-Stier, der gut sichtbar für die Autofahrer kurz vor dem Gemeindegebiet Montuïri steht und einst Werbung für den Brandy der Marke Veterano machte. Schon seit vielen Jahren dient er als Projektionsfläche für wilde Sprühereien oder politische Statements. Von Karikaturen Angela Merkels über inbrünstige Liebesschwüre bis hin zur LGTBI-Regenbogenflagge hat der toro schon einiges miterlebt. Aktuell wirkt er verlassen im eintönigen Schwarz, so, als warte er nur auf einen neuen Anstrich.

Verlassen ist auch ein Attribut, das in den Sinn kommt, wenn man an der Ausfahrt 29 rechts abfährt, um die Perlenshops zu erkunden. Die Geschäfte mit den Zuchtperlen lockten die Schmuckkäufer jahrzehntelang bis nach Manacor. 1995 eröffnete dann eine Verkaufsstelle samt Fertigung auf halber Strecke: bei Montuïri, direkt an der Landstraße. „Die Urlauberbusse können hier besser anreisen als mitten in der Stadt“, sagt Maria Escandell, Leiterin von Orquídea Majorica, und deutet auf den großen Parkplatz, der an die Ma-15 angrenzt und das Perlenhaus umgibt. Heute ist er leer, ebenso wie der des benachbarten Perl Art. Nur Angestellte streifen durch die Ausstellungsräume. Das läge an der Mittagszeit, die meisten Besucher kämen morgens oder abends, versichert Escandell. „Aber auch uns hat die Schnellstraße Laufkundschaft geraubt, ganz klar.“

Zeit für einen Abstecher: Links beginnt direkt neben der Ma-15 – für alle, die aus Palma kommen nur umständlich zu erreichen – eine kleine Straße, die sich in sanften Kurven den Puig de Sant Miquel hinaufschlängelt. Nach nur wenigen Minuten ist man oben und gelangt zu einem Aussichtspunkt und einem urigen Lokal. Hier ist der Straßenlärm nicht mehr zu hören, die Ma-15 nur noch schlangenförmig in der weiten Landschaft zu sehen. „Unseren Vorgängern hat die Erweiterung das Genick gebrochen“, sagt Pedro Garau, der Wirt des Lokals. Bauarbeiten und erschwerte Zufahrtsbedingungen hätten die Besucherzahlen drastisch einbrechen lassen, es habe sich für sie nicht mehr gelohnt, das Restaurant weiterzuführen. Seine Familie übernahm den Betrieb dann vor 13 Jahren, als die Ma-15 bereits in ihrer jetzigen Form befahren wurde. Er versuche es nun mit einem neuen Konzept, mache mit seiner Familie alles selbst, verzichte auf Schnickschnack und biete eine übersichtliche, preislich faire Karte, die ein breites Publikum anspreche.

Auf die Idee mit dem neuen Konzept käme Guillermo Morlá niemals. In seinem kleinen Ladenlokal „Alls i melons“ in Vilafranca, etwa acht Kilometer östlich des Puig de Sant Miquel, verkauft er seit 53 Jahren dasselbe: Obst und Gemüse von hier. Früher, als die Route von Palma nach Manacor noch direkt durch Vilafranca führte, habe er das Geschäft seines Lebens gemacht. Die Reisebusse hielten vor dem Geschäft mit den bunten Auslagen. „Wie gut es damals lief, wurde mir erst später richtig bewusst“, so der Rentner, der mittlerweile an seinen Sohn übergeben hat. Seit die Schnellstraße fertig ist und Reisende statt mitten durch den Ort an Vilafranca vorbeifahren, hat sich alles geändert. Es ist Ruhe eingekehrt, gleichzeitig mussten Dutzende von Händlern dichtmachen. Allein die Zahl der Gemüseläden sank von zehn auf zwei. „Natürlich blicke ich sehnsüchtig zurück. Aber es geht ja doch immer weiter“, sagt Morlá.

Vorteil am Kreisverkehr

Noch fünf Minuten bis Manacor. Auf Höhe von Kilometer 33, direkt am Kreisverkehr, ist der Menschenandrang nicht zu übersehen. Im Restaurant Es Cruce ist mal wieder volles Haus, so wie eigentlich jeden Mittag und Abend. Die Menschen stehen in der brütenden Sonne Schlange, um Einlass zu bekommen in das Großraumlokal. Nicht nur, weil es dort für wenig Geld mallorquinische Spezialitäten gibt, sondern auch, weil es dank des Kreisverkehrs von beiden Fahrtrichtungen aus zu erreichen ist. Noch immer munkelt man, dass die Besitzer einst mit Geld nachhalfen, um diesen Vorteil trotz des Schnellstraßenbaus zu behalten. Heute gibt es kaum einen Insulaner, der nicht schon einmal bei Es Cruce eingekehrt ist.

Der Erfolg färbt auch auf die Nachbarn ab. „Wenn ich sage, dass wir uns gegenüber dem Es Cruce befinden, weiß jeder sofort, wo wir sind“, sagt Sebastián Adrover von der alten Ziegelfabrik Tejar Balear. Der Straßenausbau kommt auch ihm zugute. „Aber eine gute Anbindung ist nicht alles. Wir mussten unsere eigene Produktion 2013 einstellen, machen nur noch Vertrieb, da hilft auch die Straße nichts.“

Am Kreisel im Gewerbegebiet Manacor wird der Verkehr dichter. Die Ma-15 ist ab Manacor wieder eine Landstraße. Bis Cala Ratjada, wo die Autorin dieser Zeilen wohnt, geht es nur noch zweispurig weiter, hinter einem langsamen Lkw staut es sich bereits, ein Autofahrer hupt genervt. Die freie Fahrt der letzten 45 Kilometer – man vermisst sie schon nach wenigen Minuten.