Sie sehen aus wie kleine Kiesel, so als hätte man sie an irgendeinem Strand auf Mallorca gefunden und aufgesammelt. Bräunlich gefärbte kleine Steinchen, manche größer, manche kleiner. Sie liegen in etwa sieben Zentimeter langen durchsichtigen Reagenzgläschen, die Félix Grases in seinem Labor an der Balearen-Universität hortet. Grases indes ist kein passionierter Strandspaziergänger, sondern international anerkannter Biochemiker. Und seine Kieselsteine sind keine Fundstücke von der Küste, sondern menschliche Nierensteine.

An die 10.000 dieser Reagenzgläser bewahrt Félix Grases, ein Katalane, der seit über 30 Jahren auf Mallorca lebt, in seinem Labor auf. „Die Proben erreichen uns aus der ganzen Welt, gerade habe ich welche aus Peru hereinbekommen, aber ich arbeite genauso an Material, das aus dem Landeskrankenhaus Son Espases ein paar Kilometer von hier stammt", sagt der 64-Jährige, als er die MZ in seinem Labor empfängt. Dem Forscher ist mit seinem Team ein wissenschaftlicher Durchbruch gelungen: der weltweit erste Schnelltest, um bei Patienten mit Nierenstein-Risiko neue Steinbildungen frühzeitig zu erkennen.

Grases und sein Team haben in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Devicare auch die passenden ph-Heber und ph-Senker auf den Markt gebracht. Die beiden Nahrungszusätze regulieren den ph-Haushalt im Körper. Die Firma Devicare exportiert sie inzwischen in zahlreiche Länder. Die Einnahmen aus dem Verkauf allerdings, darauf legt Grases Wert, kämen zu 100 Prozent der Forschung in seinem Labor zugute. „Dabei könnten wir sie durchaus für uns behalten. Aber wir müssen uns stetig weiterentwickeln", sagt er.

Seit Jahren ist sein Team weltweit ganz vorn mit dabei, wenn es um die Erforschung von Nierensteinen geht. Neben Paris und Boston ist Palma eines von drei international auf diesem Niveau operierenden Zentren. Obwohl das Problem der Nierensteine seit Tausenden von Jahren bekannt ist, ist die Forschung erst in den vergangenen Jahren wirklich weitergekommen. „ Nierensteine sind ein irre komplexes Thema und fallen ein wenig durch das Raster der Forschungsgebiete, etwa der Mikrobiologie." Deshalb gebe es auch so wenige Spezialisten auf diesem Gebiet.

Häufiger als anderswo

Dass Grases mit seinem Team auf den Inseln forscht, ist dabei kein Zufall Neben der „guten Zusammenarbeit" zwischen der Universität und verschiedenen Krankenhäusern sind die Balearen auch überdurchschnittlich häufig vom Nierenstein-Leiden betroffen. „Wir haben gutes Anschauungsmaterial auf den Inseln. Hier ist der Prozentsatz der Menschen mit Nierensteinen höher als im europäischen Vergleich", sagt Grases. Genau genommen würden bei rund 10 Prozent der europäischen Bevölkerung mindestens einmal im Leben Nierensteine festgestellt, auf den Inseln seien es gut 14 Prozent.

Und die Tendenz zeige weiter nach oben. Das liege zum einen am Klimawandel und den wärmeren Temperaturen allgemein („Je weiter im Süden, desto höher die Gefahr der Nierensteine"), zum anderen auch an der salz- und fleischhaltigen Ernährung der Balearen-Bewohner. Schwitzen, Salz, viel Fleisch und zuckerhaltige Getränke erhöhen das Risiko von Nierensteinen deutlich. Wer dagegen mehr als zwei Liter Wasser trinkt und bei der Ernährung auf Hülsenfrüchte oder Vollkorn setzt, senkt die Gefahr der Bildung von Nierensteinen.

Nierensteine seien per se nicht schmerzhaft, weshalb viele Betroffene gar nichts von ihren Problemen ahnen, erklärt Félix Grases. So habe er einen Patienten erlebt, der einen ballgroßen Stein in seiner Niere trug, von dessen Existenz er überhaupt nichts ahnte. „Schmerzhaft sind die kleinen Steinchen, die in den Harnleiter wandern, ihn verstopfen und eine Nierenkolik verursachen. Die tut dann höllisch weh."

Der von Grases und seinem Team entwickelte Schnelltest erkennt das Nierenstein-Risiko anhand des ph-Werts im Urin. Ein in einem Becher untergebrachte Elektroden-Sensor zeigt in Sekundenschnelle den ph-Wert der Probe an, der im Idealfall zwischen 5,5 und 6,2 liegen sollte. Unter- oder überschreitet der Urin diesen Wert, besteht die Gefahr der Nierensteinbildung. Je weiter der Wert vom Idealbereich abweicht, desto gefährlicher. Rund 30 Prozent der in der Bevölkerung auftretenden Nierensteine sind einem erhöhten ph-Wert geschuldet, ein weiteres Drittel einem zu niedrigen Wert. Beim restlichen Drittel spielt der ph-Wert keine Rolle. „Es gibt 20 verschiedene Unterarten von Nierensteinen", so Grases.

Der Test ist für Patienten gedacht, die bereits mindestens einmal Probleme mit Nierensteinen hatten. Bei ihnen liegt die Gefahr, dass sich die Symptome wiederholen, bei bis zu 80 Prozent. Die Betroffenen mussten zur Vorsorge bisher bei ihrem Arzt eine Urinprobe abgeben, die in ein Labor geschickt wurde. Das war aufwendig, teuer und lieferte außerdem eher ungenaue Werte. Auch die Anwendung des ph-Schnelltests muss mit dem Arzt abgesprochen werden. Der Test ist unter dem Namen „Lit-Control ph Meter" im Handel und kostet 109,95 Euro.