„Die Deutschen stehen auf ihr Eimersaufen am Ballermann“

Mallorcas führender Toxikologe Christopher Yates über den Drogenkonsum auf Mallorca, den Umgang mit Alkoholleichen im Krankenhaus und kulturelle Unterschiede beim Saufen

Ralf Petzold

Ralf Petzold

Christopher Yates ist Mallorcas Top-Toxikologe. Im Mai organisierte der Spanier, der auch zwei Jahre in Gießen studierte und einen US-amerikanischem Vater hat, den wichtigsten europäischen Fachkongress zum Thema Vergiftungen. Obwohl es auf der Insel mit den Saufurlaubern genügend potenzielle Patienten gibt, bietet seine Fachrichtung hier keinen eigenen Job. Nach 15 Jahren Dienst im Landeskrankenhaus Son Espases ist Yates seit 2020 als Assistenzarzt für den Rettungsdienst Samu 061 im Einsatz.

Auf dem Kongress haben Sie vor dem Schmerzmittel Fentanyl als Modedroge gewarnt. Was hat es damit auf sich?

Es ist in den USA derzeit das größte Problem, und es besteht die Gefahr, dass der Trend nach Europa übergreift. Bislang haben wir es hier aber noch nicht entdeckt. In Son Espases gibt es eines der wenigen Labore in Europa, in dem Vergiftungen auf die einzelnen Substanzen aufgeschlüsselt werden. Nicht jeder Fall wird analysiert, aber die auffälligsten.

Was ist auf Mallorca die häufigste Droge?

Das ist ohne Zweifel und mit riesigem Vorsprung der Alkohol. Schlimm ist hier weniger die Vergiftung, sondern das schlechte und gefährliche Benehmen, das mit einem Vollrausch einhergeht. In Sachen illegalen Drogen liegen Cannabis gefolgt von Kokain vorne. Heroin ist auf Mallorca weniger verbreitet.

Cannabis mag Effekte haben, die nützlich sind, es ist aber äußerst schädlich für den Verdauungsapparat.

Es gibt weltweite Bestreben, den Cannabis-Konsum zu legalisieren. Welche Risiken bestehen beim Kiffen?

Im Krankenhaus landen meist Leute, die verschiedene Substanzen zu sich genommen haben. Aus gesundheitlicher Sicht gibt es zwei Risiken beim Konsum von Cannabis: Einerseits sind besonders junge Leute anfällig für Psychosen. Andererseits kann es zu eine Hyperemesis kommen, einem ständigen Erbrechen. Das ist vor allem bei einem regelmäßigen Konsum der Fall. Cannabis mag Effekte haben, die nützlich sind, es ist aber äußerst schädlich für den Verdauungsapparat.

Was ist Ihre Meinung zur Legalisierung?

Im Vergleich mit Tabak und Alkohol mag Cannabis zwar weniger gesundheitsschädlich sein, wir dürfen es aber nicht banalisieren. In den Staaten der USA, in denen Cannabis legal ist, sind die Fälle der zuvor beschriebenen Krankheitsbilder in die Höhe geschossen. Sorgen bereitet mir auch, dass dann Kinder leichter Zugang zu den Drogen haben könnten. Wenn wir jetzt schon anfangen, Lollis und Bonbons mit Cannabis zu verkaufen, bringt das die Leute auf den Geschmack, die sonst damit nichts am Hut haben.

Christopher Yates ist Toxikologe und arbeitet für den Rettungsdienst auf Mallorca.  | FOTO: MIQUEL VICENS

Christopher Yates ist Toxikologe und arbeitet für den Rettungsdienst auf Mallorca. | FOTO: MIQUEL VICENS / Ralf Petzold

Haben die Pandemie und der Lockdown für einen höheren Drogenkonsum gesorgt?

Dazu gibt es noch nicht viele Studien. Zu Beginn des Lockdowns haben weniger Menschen die Suchtberatungen aufgesucht. Später schossen die Zahlen dann wieder in die Höhe. Was auf jeden Fall stark zugenommen hat, ist der Alkoholkonsum.

Die jungen Leute heutzutage trinken weniger Alkohol und nehmen weniger Drogen als die vorherigen Generationen. Sie gehen nicht mehr so selbstzerstörerisch mit ihren Körpern um.

Die Partyurlauber wollen die verlorene Zeit schließlich wieder reinholen …

Das sehen wir auf Ibiza, am Ballermann und in anderen Partyorten. Das muss aber nicht so weitergehen. Die jungen Leute heutzutage trinken weniger Alkohol und nehmen weniger Drogen als die vorherigen Generationen. Sie gehen nicht mehr so selbstzerstörerisch mit ihren Körpern um.

Ist es am Ballermann schlimmer als je zuvor?

Die Frage lässt sich schlecht mit Statistiken beantworten. Ich nehme an, es ist wie immer. Zu meiner Zeit im Son Espases haben wir mal Buch geführt, wie viele Betrunkene eingeliefert werden. Wobei ich da anmerken muss, dass die Zuständigkeit für den Ballermann beim Krankenhaus Son Llatzèr liegt und wir hauptsächlich die Briten aus Magaluf bekamen. In einem Sommer, im Juli und August, kamen wir auf 500 Personen, die ohne jegliche Verletzungen eingeliefert wurden.

Das klingt verhältnismäßig wenig …

Finden Sie? An manchen Tagen waren es 13. Das sind 13 Betten auf der Intensivstation, die Patienten fehlen, die mit Atemnot oder Herzproblemen eingeliefert werden. Wir hatten sogar darüber nachgedacht, ob nicht eine Art Ausnüchterungslager direkt in Magaluf möglich wäre. Denn es ist eine totale Verschwendung, wenn der Krankenwagen jedes Mal 20 Kilometer weit fährt. Den Betrunkenen geht es in einem Moment schlecht, und wenig später gehen sie nach Hause und legen sich ins Bett. Leider blieb es bei der Idee.

Gibt es Unterschiede zwischen dem Konsumverhalten in Magaluf und Arenal?

Bei den Briten in Magaluf sind es blutjunge Urlauber, die auf die Insel kommen, um sich ins Koma zu saufen. Das sind mitunter 15- und 16-Jährige, die ohne die Eltern verreisen. Das ist bei den Deutschen eher unüblich. Die wiederum stehen auf ihr Eimersaufen. Ich bin mir nicht sicher, ob es das in dieser Form auch in Deutschland gibt. Das ist eine seltsame Eigenart des Ballermanns. Bemerkenswert ist auch, dass manche britischen und deutschen Urlauber ihre betrunkenen Freunde hilflos zurücklassen, um weiter Party zu machen. Das ist besonders für uns Spanier befremdlich. Wir sind Gruppentiere.

Es gibt keine Pille oder keine Injektion, die den Körper den Alkohol schneller abbauen lässt.

Was machen Sie mit den Betrunkenen?

Der Magen wird schon seit Jahren nicht mehr ausgepumpt. Wir prüfen, ob sie Verletzungen oder schlimmere Vergiftungen anderer Substanzen haben. Danach bringen wir sie in die stabile Seitenlage, die dafür sorgt, dass sie nicht an Erbrochenem ersticken. Dann heißt es warten und die Lage prüfen. Wenn sie nach drei, vier Stunden auf Reize nicht reagieren, wäre ein Gehirnscan nötig. Das ist aber so gut wie nie der Fall. Es gibt keine Pille oder keine Injektion, die den Körper den Alkohol schneller abbauen lässt. Die Leber muss einfach ihre Arbeit machen.

Sind es nur die jungen Leute, die sich ins Koma saufen?

Ich kann mich an eine 55-jährige Deutsche erinnern, die an drei aufeinanderfolgenden Tagen in der Notaufnahme gelandet ist. Sie hatte jedes Mal den Flug verpasst, weil sie zu besoffen war. Ich fragte sie, ob sie Alkoholikerin sei. Sie meinte, sie sei Lehrerin, und in Deutschland trinke sie nicht. Aber auf Mallorca mache man es halt so.

Abonnieren, um zu lesen