Es gebe zwei Möglichkeiten, die frisch eröffnete Retrospektive von Bruno Munari (Mailand, 1907–1998) im Museu Fundación Juan March zu besuchen, sagt der Kurator Marco Meneguzzo: sich einfach ins Unbekannte zu stürzen oder sich vor der Begehung mit einer Info-Broschüre zu bewaffnen. „Aber Munari hätte sicher die erste Option gewählt.“

Denn der vielseitige italienische Künstler hatte eine diebische Freude daran, die Realität ganz neu zu entdecken, als würde er die Dinge zum ersten Mal sehen. So betrachtete er etwa Orangen als vollkommen „designte“ Verpackungen der Natur. Und er fand Rosen im Salat. Der Trick: Man benutze die Herzen der Salatköpfe als Farbstempel.

Rund 130 Exponate: Kunst und Design

Ein anpassbares Nest für Kinder: das „Abitacolo“. | FOTO: B. RAMON

Picasso bezeichnete Munari einst als den „neuen Leonardo“. Bei der Ausstellung, die nach Madrid und Alicante nun in Palma zu sehen ist, bekommt man anhand von rund 130 Exponaten, die er zwischen 1930 und 1990 schuf, einen hervorragenden Überblick über die unermüdliche Tätigkeit des Italieners.

Die Räume trennen nicht klar zwischen Kunst, Grafik- und Industriedesign oder Büchern für Kinder und Erwachsene, sondern ordnen das Werk nach zugrunde liegenden Ideen. „Er fragte sich immerzu: Kann man das noch auf eine andere Art machen? Und wie weit kann man damit gehen?“, so Meneguzzo.

Clevere Kampgane für Campari. | FOTO: B. RAMON

Munari strebte danach, auf fantasievolle Art vermeintliche Grenzen zu überwinden und gewissermaßen den Horizont einer bestimmten Technik zu erweitern. Könnte ein Kopierer nicht auch dazu dienen, Originale zu kreieren? Und ob, wie er mit seinen Xerografie originali bewies. Müssen Maschinen unbedingt immer einen Zweck erfüllen? Nein, meinte der Italiener, und entwarf zum Beispiel 1951 die sich bewegende, surrende, aber völlig nutzlose Macchina aritmica.

Kluger Kopf mit Sinn für Humor

Praktisch ist hingegen eine Erfindung, die seinem Interesse entsprang, aus zwei Dimensionen drei zu machen: Die „Reise-Skulpturen“ (Sculture da viaggio, 1958), hübsche kleine Objekte aus federleichtem Karton, die aussehen, als hätte Daniel Düsentrieb die Lust an Origami gepackt. „Wenn wir uns auf Reisen an einem fremden Ort zu Hause fühlen wollen, nehmen wir normalerweise Familienfotos mit“, sagt der Kurator. „Munari hat Skulpturen erfunden, mit denen man jedem Hotelzimmer eine persönliche Note geben kann.“

Auch der vierten Dimension, der Zeit, nahm sich der Künstler häufig an und schuf etwa Objekte für Archäologen der Zukunft: Fossile del 2000 – Metallstücke, die in Kunststoff fixiert wurden wie prähistorische Insekten in Bernstein.

Verspielter Parcours mit Buchstaben: die Installation des „Alfabeto Lucini“. | FOTO: B. RAMON

Munari war nicht nur ein kluger Kopf, der Innovationen schuf, sondern hatte auch viel Sinn für Humor und Ironie. Das wohl beste Beispiel ist das Werk Oli su tela von 1980: Hier nahm er das künstlerische „Öl auf Leinwand“ einmal ganz wörtlich – und schmierte Öl auf ein Stück Stoff.

Einer der Säle wird ganz von einer Buchstaben-Installation beherrscht, die auch bei Erwachsenen kindliche Neugier weckt – im letzten Raum können Familien dann zusammen ihren kreativen Drang am Basteltisch ausleben. Allein für die Kleinen gedacht war hingegen ein Glanzstück in Sachen Design: Das Abitacolo, eine neutrale Struktur, die als Hochbett dient und die Kinder völlig frei an ihre individuellen Bedürfnisse anpassen können.

Ebenfalls schlau: Munaris Idee zur Campari-Werbung für die ältere Zielgruppe. Das Plakat war für die Metro gedacht, daher fand er es unwichtig, ganze Wörter in einem Guss lesen zu können – solange im Vorbeirauschen das Wesentliche hängen bleibt.