Die Geschichte Mallorcas als Familienroman – warum das neue Buch einer jungen Autorin so bemerkenswert ist

In dem preisgekrönten Roman „Les cendres a la piscina“ verwebt die Mallorquinerin Laura Gost gekonnt die fiktionalisierte Geschichte ihrer Familie mit der ihrer Insel

Die mallorquinische Schriftstellerin Laura Gost.

Die mallorquinische Schriftstellerin Laura Gost. / FOTO: MANU MIELNIEZUK

Patrick Schirmer Sastre

Patrick Schirmer Sastre

Die Insel befindet sich am 20. April 2020 im Lockdown, als der 81-jährige Sebastià in seiner Wohnung in Alcúdia stirbt. Sein Pfleger, ein 37-jähriger Venezolaner namens Juan Manuel, findet den Leichnam im Sessel. Der Fernseher ist noch an, es läuft ein deutscher Fernsehfilm im Original ohne Untertitel. Eine Schrulle, die Sebastià bis zum Lebensende beibehält. „Es erinnert mich an die Deutschen“, erklärt er. Denn von ihnen hat er sehr profitiert.

Es ist ein einsamer Tod. Doch die Pandemie ist nicht der Grund dafür. Denn Sebastià hat es sich mit den meisten Menschen verscherzt, denen er im Laufe seines Lebens begegnet ist. Etwa mit seinen Frauen. Mit Catalina, der Mutter seiner beiden Söhne, hat er längst keinen Kontakt mehr. Auch nicht zu seiner zweiten Frau, Mercedes. Mit Leidi, einer Brasilianerin, ist er eine dritte Ehe eingegangen – zwei Jahre vor seinem Tod hat er sich von ihr scheiden lassen. Freunde hat der weltgewandte Macher kaum noch, zu den Enkeln gibt es keinen Kontakt.

Das Leben und der Tod von Sebastià sind der Leitfaden, der sich durch das dritte Buch der mallorquinischen Schriftstellerin Laura Gost zieht: „Les cendres a la piscina“ (Die Asche im Pool). Der im November erschienene Roman gewann den katalanischen Proa-Preis für Belletristik. Es ist, so viel darf an dieser Stelle schon gesagt werden, ein bemerkenswertes Buch, das die 30-Jährige vorgelegt hat. Und es beweist, dass sie bei Weitem nicht ihr ganzes Potenzial ausgeschöpft hatte, als sie mit Mitte 20 den spanischen Filmpreis Goya für ihr Drehbuch zum animierten Kurzfilm „Woody & Woody“ gewann.

Eine Familiengeschichte

Die Geschichte basiert lose auf der Familiengeschichte der Autorin. Sebastià ist von ihrem Großvater väterlicherseits inspiriert, zu dem Gost keinen engen Kontakt hatte. Also versucht sie, sich in ihn hineinzuversetzen. Wie muss es gewesen sein, als junger Familienvater, Ende der 60er-Jahre, in der Landwirtschaft zu arbeiten und einen Tipp zu bekommen, dass sich im Bau gutes Geld verdienen lässt. Immer erfolgreicher und vermögender zu sein, später sogar ein Hotel zu leiten und sich Möglichkeiten gegenübersehen, die es in seiner Kindheit nur in den Kinofilmen gab, die er mit Leidenschaft sah.

„Les cendres a la piscina“ erzählt die Geschichte der Insel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie ist häufig wiedergegeben worden, wenngleich selten mit der menschlichen Note, die Gost ihren Protagonisten verleiht. Denn sie scheut sich nicht vor den Konflikten, den unschönen Seiten. Und sie schaut auf die Details im Alltag ihrer Figuren.

"Les cendres a la piscina" von Laura Gost.

"Les cendres a la piscina" von Laura Gost. / Proa

Als Sebastià etwa mit seiner zweiten Frau Mercedes in seine neue, eigens gebaute Villa zieht, erlebt er eine bittere Enttäuschung. Seine aus Madrid stammende Gattin, die ihn mit ihrer Eleganz betört, kauft schlichte weiße Teller. Weiße Teller, denkt sich der Unternehmer, habe er schon gehabt, als er arm war. Das hätte er vielleicht von seiner ersten Frau Catalina erwartet, die nie so richtig damit klarkam mit dieser neuen Welt, in der sich ihr Mann bewegte, und die immer das Mädchen vom Dorf blieb. „Die Schlichtheit ist die wahre Eleganz, mein Lieber“, klärt ihn Mercedes auf. Sebastià antwortet nicht.

Im Gespräch mit der MZ erzählt Gost, dass sie bei keiner der geschilderten Szenen um Erlaubnis gebeten habe. „Ich stamme aus einer Familie, in der es keine Tabus gab, es konnte über alles offen gesprochen werden.“ Ihr Vater sei ein passionierter Geschichtenerzähler, der auch immer einen Blick für die subtilen Aspekte einer Erzählung hat. Auch von ihren Großeltern habe sie sich vor deren Tod viel erzählen lassen.

Diejenigen, die in Vergessenheit geraten

Dabei krallt sich Gost nicht an der Familiengeschichte fest, sondern öffnet die Erzählung für jene, die gerne in Vergessenheit geraten. Der Bruder von Catalina, der als Soldat in Algerien stirbt, als sie noch ein Kind ist. Oder Guillem, einem Schulfreund von Sebastiàs Sohn Josep, der als 20-Jähriger einen Ausflug in die Tramuntana macht und verunglückt.

Platz ist auch für Alltagsszenen, etwa einer Autofahrt zu einer verbena, einem Dorffest, die eigentlich wenig zum Fortlauf der Geschichte beiträgt und doch einen Einblick gibt in das Lebensgefühl, das zu dieser Zeit bei den Protagonisten, vielleicht sogar auf der Insel, herrschte. So handeln in gewisser Weise große Teile des Buches von den Ereignissen, die Sebastià verpasst hat, während er damit beschäftigt war, Geld anzuhäufen und mit deutschen Urlauberinnen ins Bett zu gehen.

Die Deutschen

Ohnehin, die Deutschen. Zu den positiven Eigenschaften, die man den alemanys gemeinhin unterstellt, gehört selten die Eleganz. Nicht so bei den Protagonisten in „Les cendres a la piscina“. Sie betrachten die Besucher aus Mitteleuropa mit dem Blick, mit dem die Deutschen französische Frauen und italienische Männer begutachten. Sebastià ist betört von der Freizügigkeit der deutschen Frauen. Catalina hingegen ist eher eingeschüchtert. Sie vergleicht sich mit den groß gewachsenen Damen – wie sie sich kleiden, ihre blonden Haare. Wie sie rauchen!

In einer Szene lässt sie sich von einem Barmann eine Kippe geben. Sie möchte ihrem Mann imponieren, schließlich macht der mit seiner Vorliebe für die blauäugigen Schönheiten mit fortgeschrittenen Kenntnissen im Tabakkonsum nie einen Hehl. Doch der Versuch, sich den Urlauberinnen anzugleichen, gelingt weder in diesem noch in anderen Momenten.

Die andere Laura

Der Minderwertigkeitskomplex der Mallorquiner gegenüber den Deutschen bleibt natürlich nicht ewig bestehen, auch wenn Gost das in der Erzählung nicht explizit erwähnt. Spätestens mit der Generation der Enkel von Sebastià und Catalina ist das Lebensgefühl schon ein anderes. Und hier entschließt sich die Autorin für einen Schritt, der – wie man es nimmt – mutig oder irritierend ist. Gost führt ihr Alter Ego als Protagonistin ein und benennt es nach sich selbst – Laura.

Es ginge ihr um Transparenz, sagt sie im Gespräch mit der MZ. „Ich verheimliche ja nicht, dass die Inspiration für die Geschichte meine Familie ist. Ich hätte es merkwürdig gefunden, eine Anlehnung an mich selbst zu schreiben. Bei meinen Großeltern kann ich nur spekulieren, was sie in gewissen Situationen gespürt haben. Aber bei mir selbst weiß ich, was ich in bestimmten Momenten wahrgenommen habe.

Die Protagonistin Laura erlebt einen Bruch in ihrem Leben. Doch im Gegensatz zu den anderen Charakteren, ihren Vorfahren, basiert dieser Bruch auf einer freiwilligen Entscheidung – und nicht auf einem äußeren Einfluss (wie etwa der Beginn des Massentourismus oder der Ehemann, der einen nach vielen Jahren verlässt).

Der bizarre letzte Wunsch

„Les cendres a la piscina“ macht die Geschichte Mallorcas der vergangenen Jahrzehnte erlebbar. Die Protagonisten sind nicht immer sympathisch, aber Laura Gost gelingt es, ihre Beweggründe, sogar die niederen, nachvollziehbar zu machen. Und nicht zuletzt ist es ein unheimlich witziges Buch. Allein die titelgebende Szene, bei der die Familie versucht, den letzten bizarren Wunsch des Verstorbenen zu erfüllen, mit dem sie kaum noch Kontakt hatte, lässt einen spüren, wie viel Spaß die Autorin beim Schreiben gehabt haben muss. Es bleibt den Leserinnen und Lesern überlassen, sich auszumalen, inwieweit das tatsächlich so passiert ist oder Gosts Fantasie entsprungen ist.

"Les cendres a la piscina" von Laura Gost,  erschienen beim Verlag Proa,

232 Seiten, Katalanisch, 18,90 Euro

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