Jimena lebt seit drei Jahren in Spanien. Im Juni vergangenen Jahres zog die junge Argentinierin von Madrid nach Mallorca. „Ich kannte die Insel, da ich hier früher in einem Beachclub gearbeitet hatte. Mir war klar, dass es wegen der Pandemie ein schwieriger Sommer wird. Aber ich rechnete mir mehr Chancen als in Madrid aus." In der Gastronomie fand sie einen Job. Doch die kurze Saison endete schnell: Im September setzte eine Entlassungswelle ein, die Argentinierin war arbeitslos. „Ich bin seit Monaten auf der Suche. Ab und an kann ich als Vertretung einspringen. Doch mir fehlt ein Arbeitsvertrag, der für die Verlängerung meiner Aufenthaltsgenehmigung nötig ist."

Die Einwanderer aus dem Nicht-EU-Ausland brauchen über sechs Monate im Jahr ­einen Arbeitsvertrag für eine Aufenthaltsgenehmigung. 20.000 bis 25.000 Personen hängen derzeit sozusagen in der Warteschleife, schätzt die Anwältin Carolina Quintana, die auch ­Jimena betreut. „Viele Arbeitgeber ­schrecken davor zurück, Leuten ohne Aufenthaltsgenehmigung einen Arbeitsvertrag zu ­geben. Dabei ist die Angst unbegründet, denn diese Personen bleiben lediglich die ­Meldebescheinigung vom Rathaus schuldig, die sie später beantragen können."

Corona hat vielen Menschen das Leben erschwert. Besonders hart trifft die Pandemie aber die Immigranten, die versuchen, sich ohne Aufenthaltsgenehmigung auf Mallorca durchzuschlagen. Meist kommen die sin papeles aus Afrika oder Lateinamerika. Als Deutscher kann man nur schlecht begreifen, was es bedeutet, mit diesem ungewissen rechtlichen Status zu leben. Ständig droht die Abschiebung. „Es ist ein Teufelskreis. Zuerst fehlen die Papiere aus der Heimat, dann die Meldebescheinigung vom Rathaus oder der Arbeitsvertrag. Bis das alles besorgt ist, ist eine der ­Bedingungen schon wieder nicht mehr ­gültig", sagt Federico Marotta über die Behördengänge zur Beantragung der Dokumente. Der Uruguayer sitzt einem Verband für Immi­granten auf Mallorca vor. „Die Zuwanderer sind ein wehrloses Kollektiv. Viele von ihnen haben keine Hoffnung auf ein rechtmäßiges Leben. Die Balearen-Regierung verdrängt das Problem und tut so, als würde diese Bevölkerungsgruppe nicht existieren."

Es gibt verschiedene Wege, die Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. „Ein Asylantrag ist fast aussichtslos. Da werden 99 Prozent der Fälle abgelehnt", sagt Norbey ­Andrade, Sprecher der kolumbianischen Gemeinschaft auf den Balearen. Schneller geht der Prozess nach einer Hochzeit mit einem Europäer. Ansonsten bleibt der sogenannte arraigo social, die soziale Verwurzelung. Dafür müssen die Immigranten mindestens drei Jahre lang durchgehend in Spanien gelebt haben und eben den Arbeitsvertrag vorweisen können.

Durch die Pandemie ist der Arbeitsmarkt aber ein Riesenproblem, nicht nur für Leute von außerhalb. „Normalerweise sind die Frauen im häuslichen Umfeld angestellt. Sie putzen, passen auf Kinder auf oder betreuen ältere Menschen. Bei den Männern hängt es davon ab, ob sie eine Ausbildung haben. Dann kommen sie meist auf dem Bau als Handwerker unter, oder sie arbeiten in der Gastrobranche", sagt Marotta. Durch Corona müsse man nehmen, was komme. „Man muss hier und dort mal eine Stunde arbeiten, um Geld für Miete und Essen zusammenzubekommen. Wenn etwas übrig bleibt, geht es als Hilfe an die Familie in die Heimat", sagt Andrade.

Zuletzt waren es aber eher die Angehörigen, die den Auswanderern helfen mussten. „Viele haben zusammengelegt, um das Flug­ticket für die Rückreise zu bezahlen", sagt ­Marotta. Für die Kolumbianer habe die Zentralregierung in Madrid auch Flüge subventioniert. Geschätzt 3.000 bis 4.000 Kolumbianer haben spanienweit seit Corona die Heimreise angetreten. „Sie denken, wenn es ihnen schon schlecht geht, können sie wenigstens in der Heimat sein."

Noch schlimmer steht es um die fliegenden Händler, die meist aus Senegal kommen. „8.000 bis 10.000 Senegalesen gibt es auf den Balearen, die meisten ohne Aufenthaltsgenehmigung", sagt Cheikh Ngalgou Ndiaye, Präsident des Dachverbandes Yapo. Die erste Generation an Einwanderern habe sich mittlerweile die Aufenthaltsgenehmigung erkämpft. „Nach zehn Jahren hier können sie die spanische Staatsbürgerschaft annehmen. Sie arbeiten weiterhin als Händler, aber legal auf den Wochenmärkten. Da es dort viel Konkurrenz gibt, sind einige nach Frankreich, England oder Deutschland weitergezogen."

Andere suchen ihr Glück als Helfer bei der Oliven- und Orangenernte auf dem spanischen Festland. „Viele Leute regen sich über die Immigranten auf. Dabei sind die Bauern auf die billigen Arbeitskräfte angewiesen", sagt Ndiaye. Federico Marotta kritisiert die Branche harsch. „Das sind menschenunwürdige Zustände. Sie haben keine Krankenversicherung. Alle Welt kennt die missliche Lage der Erntehelfer, aber keiner tut etwas dagegen."

Während der Zustrom an Latinos in der Pandemie nachgelassen hat, kommen die Flüchtlinge aus Afrika weiterhin. „Es ist ein Glücksspiel. Vier Menschen sterben täglich bei der Überfahrt im Mittelmeer", sagt ­Marotta. Einmal auf der Insel angekommen, warten neue Hürden. „Viele Eigentümer wollen nicht an Immigranten vermieten", sagt ­Ndiaye. Diejenigen, die eine Wohnung haben, kommen mit der Miete in Verzug, da die Touristen als Kundschaft der fliegenden Händler ausbleiben. „Ich war schon oft im Rathaus vorstellig, um für meine Landsleute eine Fristverlängerung vor der Zwangsräumung zu erbeten."

Nicht immer ist das von Erfolg gekrönt. Aber „die Solidarität in unserer Gemeinschaft ist riesig. Wir lassen niemanden auf der Straße sitzen oder hungern." Das führt dazu, dass die Senegalesen oft in großen Gruppen in kleinen Wohnungen leben. „Corona-Maßnahmen lassen sich dadurch nur schlecht einhalten. Ein Problem ist das empadronamiento. Beim Rathaus dürfen in der Regel nur acht Personen pro Wohnung angemeldet sein. Ohne die Melde­bescheinigung bekommen die Senegalesen keine staatlichen Hilfen."

Der Dachverband hat eine eigene Sozialhilfe eingeführt. Wie auch bei den Latinos, sind bei den Senegalesen die Familien in der Heimat von den Auswanderern abhängig. „Wir nennen sie 'Ein-Personen-NGOs'. Jeder ­fliegende Händler versorgt Familien in der Heimat mit mehr als zehn Personen."