Terror gegen Israel: In Spanien wird stärker relativiert als in Deutschland

Krieg im Nahen Osten wird zum innenpolitischen Spielball. Die Konservativen unterstellen den Linken eine ideologische Nähe zur Hamas.

Demo an der Puerto del Sol: „Es lebe der Kampf des palästinensischen Volkes.“  | FOTO: DIEGO RADAMÉS/EUROPAPRESS

Demo an der Puerto del Sol: „Es lebe der Kampf des palästinensischen Volkes.“ | FOTO: DIEGO RADAMÉS/EUROPAPRESS / Aus Madrid berichtet Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Die brutale Eskalation des Konflikts im Nahen Osten nach dem Überfall der islamistischen Hamas auf Israel hat auch in Spanien zahlreiche Kundgebungen und Demonstrationen ausgelöst. Ähnlich wie in Deutschland oder Frankreich, aber mit anderer Akzentsetzung, tut sich auch hierzulande wieder die Kontroverse um den jahrzehntealten Brandherd in Palästina auf. Wie seit Langem in der aufgeheizten spanischen Politik üblich, wird der neu entbrannte Krieg im Nahen Osten, der bereits Tausende Tote auf beiden Seiten gefordert hat, zudem zum Spielball der innenpolitischen Auseinandersetzung.

Deutlich wurde der Streit zuletzt am Dienstag (10.10.) bei einer Schweigeminute für „die Opfer der Terrorangriffe von Hamas auf Israel“ vor dem Rathaus von Madrid an der Plaza de Cibeles. Die Linkspartei MásMadrid distanzierte sich von der konservativen PP, den Sozialisten der PSOE und der rechtsextremen Vox, da der Aufruf nicht auf die palästinensischen Opfer im Gaza-Streifen einging, der als Reaktion auf den Überfall durch die Hamas von den israelischen Streitkräften bombardiert wird. Am Tag zuvor hatten Tausende auf der Puerta del Sol im Herzen der Hauptstadt unter dem Motto „Es lebe der Kampf des palästinensischen Volkes“ demonstriert. Mit dabei waren mehrere Abgeordnete und Parteispitzen von Podemos und der postkommunistischen Izquierda Unida.

Anderes Verhältnis zu Israel

Die Situation der Palästinenser ist traditionell ein Steckenpferd der Linken in Spanien, ähnlich wie in anderen Ländern Europas. Doch gibt es im Umgang mit dem Konflikt einen spürbaren Unterschied. Im Gegensatz zu vielen europäischen Nachbarn war Spanien nicht direkt am Holocaust beteiligt. Der Diktator Francisco Franco ließ seine Verbündeten in Deutschland bei der Verfolgung der Juden zwar gewähren. Doch einige couragierte spanische Diplomaten retteten Tausenden Menschen in Mittel- und Südeuropa das Leben, in dem sie ihnen entgegen der Anweisungen aus Madrid spanische Pässe verschafften.

In linken Milieus und Medien in Spanien ist das Verständnis für die Sicherheit Israels und die Sensibilität in Bezug auf die Vergangenheit weniger ausgeprägt als in Deutschland. Mit dem Begriff „Genozid“ wird manchmal etwas frivoler umgegangen. Madrids Bürgermeister José Luis Martínez-Almeida von der PP sprach auf der Kundgebung vor dem Rathaus davon, dass ein gewisser Antisemitismus in der gesamten Gesellschaft „latent“ sei.

Das sagt der Spanien-Premier

Spanien-Premier Pedro Sánchez berücksichtigte in seiner Stellungnahme die Opfer auf beiden Seiten: „Wir verurteilen ohne Umschweife den Terrorismus und fordern die sofortige Beendigung der wahllosen Gewalt gegen die Zivilbevölkerung.“ Die Opposition warf dem Sozialisten vor, dass er einen Aufruf zur Unterstützung Israels der Regierungen der USA, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Italiens nicht mit unterschrieben habe. „Das palästinensische Volk ist eine Sache, Hamas eine andere. Aber wir können das palästinensische Volk nicht zum Vorwand nehmen“, kritisierte der Oppositionsführer und PP-Vorsitzende Alberto Núñez Feijóo.

Pedro Sánchez am Montag (29.5.) bei der Ankündigung der vorgezogenen Neuwahlen.

Pedro Sánchez. / Borja Puig de la Bellacasa / Efe / Pool

Vor allem auf die linken Koalitionspartner der Sozialisten schossen sich die Konservativen ein. Der Sprecher der PP, Borja Sémper, unterstellte einigen „Partnern“ der PSOE „ideologische und politische Nähe zur Hamas“, nannte aber keine Namen. Íñigo Errejón, Parlamentsabgeordneter von Sumar, dem neuen Bündnis der linken Parteien, bezeichnete den Vorwurf als „ungeheuerlich“ und forderte, „ethische Grenzen“ in der innenpolitischen Debatte zu bewahren. Regierungssprecherin Isabel Rodríguez kritisierte, dass die Konservativen den Konflikt für innenpolitische Zwecke ausnutzen wolle. „Bei diesem Thema erwartet man von Feijóo und der PP, dass sie an der Seite der Regierung stehen“, sagte die Sozialistin am Dienstag.

Engeres Verhältnis zu Palästina

Die PSOE steht den Anliegen der Palästinenser traditionell näher als viele andere sozialdemokratische Parteien in Europa. Der frühere sozialistische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero besuchte im Jahr 2009 die besetzten Gebiete und brachte die Anerkennung Palästinas als Staat ins Spiel. Bevor Sánchez 2018 durch ein Misstrauensvotum Ministerpräsident wurde, hatte auch er erklärt, dass er einen palästinensischen Staat anerkennen wolle. So steht es auch in einem Parteitagsbeschluss der PSOE, allerdings mit Verweis darauf, dass ein solcher Schritt „zusammen mit anderen europäischen Ländern“ unternommen werden müsse. Bislang erkennen eine Reihe mittlerer Staaten Palästina an, darunter Schweden, Polen oder Ungarn. Spanien will dies jedoch nicht ohne die Begleitung eines größeren europäischen Landes tun.

Die spanische Regierung wird nun bald die Gelegenheit haben, die genaue Position zum Krieg im Nahen Osten zu erläutern. Die Volkspartei (PP) hat einen Auftritt von Außenminister José Manuel Albares im Unterhaus und im Senat beantragt.

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