Umweltnotstand an der spanischen Nordküste: Was hat es mit den Plastikkügelchen auf sich?

Ein Frachter verlor im Atlantik Container mit kleinen Plastikkugeln, die die Strände in Galicien verschmutzen. Auf politischer Ebene treten Parallelen zum Unglück des Ölfrachters „Prestige“ 2002 zutage

Einsatzkräfte befreien einen Strand von Plastikkügelchen.

Einsatzkräfte befreien einen Strand von Plastikkügelchen. / Efe

Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Die Atlantikküste Galiciens mit ihren vielen Naturparadiesen liegt gefährlich nahe an einer der wichtigsten Handelsrouten der Seefahrt. Immer wieder kommt es zu Unfällen auf hoher See, die Folgen für die Umwelt haben. Derzeit sind Hunderte freiwillige Helfer damit beschäftigt, zahlreiche Strände von kleinen Plastikkügelchen zu säubern, die seit Mitte Dezember an Land geschwemmt werden.

Am 8. Dezember hatte ein Frachter 80 Kilometer vor der Küste Portugals sechs Container verloren. Einer davon enthielt 1.000 Säcke, oder 28 Tonnen, mit sogenannten Pellets, winzigen Plastikkügelchen, die als Rohmaterial für die Herstellung von Plastikteilen verwendet werden. Von den anderen fünf Containern, die Ersatzteile, Autoreifen und Tomaten enthielten, fehlt derzeit jede Spur. Die Strömung spülte die Kugeln an die Strände Galicien und später an die gesamte Nordküste Spaniens.

Tausende verstreute Kügelchen

Am 13. Dezember meldete ein Anwohner den Behörden, dass an der Playa de Ribeira in der Provinz A Coruña ganze Säcke und Tausende verstreute Kügelchen angespült wurden. Doch erst am Dienstag (9.1.), vier Wochen danach, rief die Regionalregierung von Galicien Stufe zwei des Umweltnotstandes aus, die materielle Hilfen des Zentralstaates ermöglicht.

Der Unfall an der Küste ist einmal mehr zum politischen Spielball geworden. Die konservative Volkspartei PP, die in Galicien mit einer kurzen Unterbrechung seit Wiederkehr der Demokratie an der Macht ist, und die Linksregierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez in Madrid weisen sich gegenseitig die Schuld zu. Das verwundert nicht, denn am 18. Februar stehen in der konservativen Hochburg Wahlen an. Die jüngsten Umfragen deuten auf eine erneute absolute Mehrheit der PP hin, doch das war vor dem Skandal um die Plastikkügelchen.

Die winzigen Kugeln in einem Sieb.  | FOTO: FERNÁNDEZ

Die winzigen Kugeln in einem Sieb. | FOTO: FERNÁNDEZ / aus madrid berichtet thilo schäfer

Die Opposition und die Medien ziehen Parallelen zur Naturkatastrophe der Prestige 2002. Damals entschied die konservative spanische Regierung von José María Aznar diesen havarierten Öltanker aufs hohe Meer zu ziehen, wo er zerbrach und die Fracht schließlich weite Teile der galicischen Küste verschmutzte. Die Folgen für die Umwelt sind zwar kaum vergleichbar mit den Plastikkügelchen, doch wiederholen sich die Reaktionen der Politik. Die galicische Regierung von Alfonso Rueda, der 2022 Alberto Núñez Feijóo als Ministerpräsident beerbte, als dieser an die Spitze der PP nach Madrid wechselte, beteuerte zunächst, dass die Zentralregierung ihn nicht über den Unfall informiert hätte. Doch die regionalen Behörden hatten nachweislich bereits im Dezember Auskunft über das Ausmaß der Bedrohung durch die Kügelchen.

Kehrtwende bei der Einschätzung der Gefahren

Am Montag (8.1.) wies Ministerpräsident Rueda auf einer Konferenz in Madrid den Eingriff des Zentralregierung noch zurück. Am Dienstag, nachdem das benachbarte Asturien den Notstand ausgerufen hatte, erklärte auch Galicien die Stufe zwei. Eine Kehrtwende gab es auch bei der Einschätzung der Gefahren durch das Plastik. Nachdem ein erster Bericht der Regionalregierung die Kügelchen noch als harmlos eingestuft hatte, warnte eine zweite in Auftrag gegebene Studie vor möglichen Vergiftungen. Umweltschützer fürchten, dass die Kügelchen durch Fische in die Nahrungskette aufgenommen werden.

Die Opposition in Galicien verglich die Reaktion der PP mit der vor zwanzig Jahren, als das Öl die Küsten verwüstete. „Erst wird das Problem verheimlicht, dann kleingeredet", erklärte Ana Pontón die Spitzenkandidatin des linken galicischen Blocks BNG.

Die Katastrophe der Prestige vor zwei Jahrzehnten löste damals eine breite Protestbewegung unter dem Motto „Nunca Máis“ (Nie wieder) aus, welche die Aznar-Regierung nachhaltig beschädigte. Die PP hofft, dass die Plastikkügelchen bei den Wahlen am 18. Februar keine Spuren hinterlassen werden.

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