Die Schildkröten tauchen unter dem mit Draht befestigten Kork hindurch und strecken ihre Köpfchen aus dem Wasser, um gleich wieder unterzutauchen. „Das sind Rhinoclemmys diademata", sagt Marcel Walz, den deutschen Namen wisse er gar nicht. „Wenn ich mit Schildkrötlern in Italien oder Holland rede, versteht sowieso jeder sofort den lateinischen Namen." Die Teichwanne mit den Schildkröten steht auf einer Finca bei Llucmajor. Wasserschildkröten, Sumpfschildkröten, Landschildkröten - insgesamt mehr als 200 Exemplare hüten derzeit der Deutsche und seine Lebensgefährtin Monja Ashauer.

Es ist nur ein Bruchteil des Bestands, der sich bis vor gut einem Jahr auf dem Grundstück befand. Mehr als tausend Exemplare sowie mehr als 750 Eier nahmen Beamte der Guardia Civil bei einer Razzia Ende Juni mit. Die beiden Deutschen saßen zwei Wochen in Untersuchungshaft, bevor sie ohne Zahlung einer Kaution wieder freikamen. Die Ausreise von Mallorca ist ihnen untersagt, sie müssen sich monatlich bei Gericht melden. Ihre Konten seien noch eingefroren, obwohl sich keine größere Summe auf ihnen befinde.

„Die Guardia Civil zerschlägt eine der größten weltweit tätigen Organisationen, die illegalen Handel mit gefährdeten Schildkrötenarten betreiben", lautete der Titel der Pressemitteilung vom 22. August 2018. Ermittelt werde wegen Umweltdelikten, Schmuggel von geschützten Arten sowie Geldwäsche.

Das deutsche Pärchen erzählt eine ganz andere Geschichte. Auf dem Küchentisch türmen sich Unterlagen, „alles, was wir sagen, können wir belegen", schickt Ashauer voraus. Die 32-jährige Tierarzthelferin, die praktisch akzentfrei Spanisch spricht, und der Berater für den Schildkrötenzoo Neu-Ulm widersprechen allen Vorwürfen. Die Exemplare seien zusammen mit Walz 2006 als Haustiere nach Mallorca gekommen: „Das hier ist ein Hobby." Alle geschützten Tiere verfügten über die vorgeschriebenen Papiere laut dem sogenanntem CITES, dem Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten frei lebender Tiere und Pflanzen. Und bei den angeblichen Mitgliedern des Netzwerkes handle es sich um einen offiziellen Importeur in Barcelona, einer seiner Angestellten, sowie die Eltern von Walz.

Die Operation „Coahuila", benannt nach einer Schildkrötenart, ist ein laufendes Verfahren, über das die Justiz entscheiden muss. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung. Wer das deutsche Paar erlebt, tut sich schwer, eine internationale kriminelle Vereinigung auszumachen. Seit er im Alter von neun Jahren zwei Wasserschildkröten geschenkt bekommen habe, seien die Tiere seine Leidenschaft, so der 47-Jährige. Die große Zahl verwundere viele, aber es gebe nun einmal so viele Unterarten, und infolge der Nachzucht seien es immer mehr geworden.

Schon vor der Razzia habe es Inspektionen der Tierschutzabteilung der Guardia Civil (Seprona) gegeben, sie blieben aber folgenlos, wie das Paar erzählt. Zwischenzeitlich schaute auch ein Inspektor der Gemeinde Llucmajor vorbei, um sicherzustellen, dass von der Haltung kein Risiko für die heimische Fauna ausgeht. Der Ärger begann dann Ende 2016, als eine Lieferung von acht Schildkröten am Flughafen für Walz ankam. Diese wollte die Guardia Civil Ende Januar 2017 begutachten. Der Vorwurf: Die Angaben in den Papieren über die geschützten Tiere stimmten nicht. Die Beamten stellten Tiere und Papiere sicher und brachten sie zur Artenschutzbehörde Cofib. „Nach einer Woche konnten wir die Schildkröten wieder abholen, da alle Papiere korrekt waren." Die Aktion hinterließ nicht zuletzt bei den Tieren Spuren: Fünf der acht Exemplare seien in den folgenden Wochen verstorben.

Alles schien längst im Sande verlaufen zu sein, als dann am 27. Juni 2018 gegen 9 Uhr die Beamten erneut vor der Tür standen. Die insgesamt 62 verschiedenen Spezies auf der Finca seien in den folgenden Stunden von Walz identifiziert worden, und die Beamten hätten die Angaben dann per Google auf dem Handy nachgeprüft, so Ashauer. Bis weit nach Mitternacht sei das so gegangen, um am Ende zu erfahren, dass sie beide festgenommen seien.

Die zwei Wochen im Gefängnis wurden nicht nur für die beiden Deutschen zur Strapaze, sondern auch für die auf dem Grundstück bei Llucmajor verbliebenen Tiere. Ausführlich dokumentiert hat das Paar den Zustand der Finca bei seiner Rückkehr zwei Wochen später: Fotos zeigen auf dem Boden verteilte Kippen und leere Wasserflaschen, vor allem aber halb ausgetrocknete Wasserbecken und die verbliebenen, sich selbst überlassenen Schildkröten. Einige seien nicht mehr zu retten gewesen. „Auch die anderen Tiere der Finca mussten durch die Abwesenheit von uns extrem leiden, einige haben das nicht überlebt." Dabei seien Behörden-Mitarbeiter regelmäßig vor Ort gewesen.

Die Guardia Civil macht unterdessen keine Abstriche hinsichtlich der Beschuldigungen, wie ein Sprecher auf Anfrage erklärt. Die Ermittlungen würden unverändert weitergeführt, erwiesen sich aber als zeitintensiv. Derzeit warte man auf nötige Gutachten.

Während das Verfahren in der Schwebe ist, rückt die Sorge um den Zustand der sichergestellten Tiere weiter in den Vordergrund. „Weder wir noch unsere Anwälte dürfen sie sehen." 15 Exemplare nicht geschützter Arten habe man im September 2018 vom Natura Parc zurückerhalten - in dem Auffangzentrum waren sämtliche Schildkröten abgeliefert worden. Die Justiz entschied dann im Juli 2019, dass alle Tiere, die nicht unter CITES fallen, ausgehändigt werden müssten. Nun heiße es, es gebe Schwierigkeiten, sie zu identifizieren, obwohl eine komplette Identifizierung doch im März durch das CITES-Amt erfolgt sei. Auch eine Liste des Natura Parc von Juli 2018 liege vor.

Inzwischen hat das Paar aus der Ermittlungsakte Monatsrechnungen mit üppigen Beträgen vorliegen, die der Natura Parc den Behörden für die Pflege in Rechnung ?stellt - dabei hätten die Beamten von der Finca Futter für ein Jahr samt Gefriertruhe mitgenommen. Laut diesen Rechnungen ist die Zahl der Schildkröten von 1.382 im September 2018 auf 1.067 im Mai dieses Jahres geschrumpft.

Was ist passiert? Über den Fall dürfe man gegenüber Dritten keine Angaben machen, erklärt ein Verantwortlicher des Natura Parc auf MZ-Anfrage. Man sei wie auch in anderen Justizverfahren als zertifizierte Einrichtung mit der Verwahrung der Tiere beauftragt worden, und nur die verantwortlichen Behörden könnten Auskunft geben. Die Rechnungen seien ohnehin noch nicht beglichen worden.

Was wird nun mit den Schildkröten? Wann kommt es zum Verfahren? Oder werden die Ermittlungen eingestellt? Walz und Ashauer wollen Gewissheit und fordern die Umsetzung des Rückgabebeschlusses. Den Tieren jedenfalls täte man Unrecht, würde man ihre angebliche Behäbigkeit mit den Mühlen der Justiz vergleichen. Kaum setzt das Paar zwei Exemplare einer Erdschildkröten-Art auf dem Boden ab, sind diese auch schon im Teich abgetaucht.