Fünf Jahre Abfallgesetz: Was hat sich auf Mallorca bewegt?

Viel Müll, aber wenig Zahlen: Wie steht es heute um die hehren Ziele des Regelwerks?

Alexandra Wilms

Alexandra Wilms

Kein schönes Geschenk zum Jubiläum: Genau fünf Jahre nach Verabschiedung des ersten balearischen Abfallgesetzes hat Ende Februar der Oberste Gerichtshof der Balearen das Verfassungsgericht angerufen, um eine mögliche Verfassungswidrigkeit des Textes zu prüfen. Konkret geht es um die Frage, ob mit den ambitionierten Zielen zur Müllvermeidung in die Zuständigkeiten der Zentralregierung eingegriffen wurde. Bis 2030 sollen 20 Prozent weniger Müll anfallen, Lebensmittelabfälle gar um 50 Prozent reduziert werden. Zudem werden alle Gemeinden verpflichtet, Systeme zur getrennten Entsorgung von Biomüll einzuführen.

Für eine Antwort auf die Frage, wie sich die Lage seit Inkrafttreten verbessert hat, scheint es noch zu früh zu sein, zumindest wenn man die Landesregierung fragt. „Die neuesten offiziellen Zahlen, über die wir verfügen, sind von 2021“, sagt Diego Viu, Generaldirektor für Kreislaufwirtschaft, Energiewende und Klimawandel. Die Aufbereitung der Statistik wolle man nun rasch nachholen, die Zahlen für 2023 bis April veröffentlichen. Bis dahin wolle er die Lage nicht beurteilen, zumal die Jahre 2020 und 2021 wegen der Pandemie nicht repräsentativ seien. Immerhin: Auch der PP-Politiker spricht von einem „ambitionierten und mutigen“ Gesetz, das man auf den Balearen von der linken Vorgängerregierung geerbt habe.

Die auf Abfallvermeidung spezialisierte Stiftung Rezero wagt dennoch den Vergleich – und kommt zu dem Schluss, dass man von den hehren Zielen noch recht weit entfernt sei. Nach wie vor führten die Inseln die spanienweite Müllproduktion an: 563,7 Kilo Siedlungsabfall verursacht jeder Balearen-Bürger pro Jahr. Selbst wenn man die Müllproduktion der Urlauber herausrechnet, bleiben noch 478,8 Kilo pro Kopf übrig. Das ist mehr als der spanische Durchschnitt von 467,3 Kilo – aber weniger als der europäische Wert von 530 Kilo oder gar der deutsche Wert: 646 Kilo Siedlungsabfall verursacht laut Statistik jeder Bundesbürger.

Allerdings liegt die Recycling- und Kompostierungsrate dort bei 71,1 Prozent, in Spanien gerade einmal bei 36,7 Prozent. Auf Mallorca wurden im Jahr 2021 Rezero zufolge über zwei Drittel der Abfälle nicht wiederverwertet, sondern endeten letztendlich in der Müllverbrennungsanlage von Son Reus – 59 Prozent – oder aber auf Deponien, die es zumindest auf den Nachbarinseln weiterhin gibt.

Vor allem die Verschwendung des Wertstoffs Biomüll macht den Experten Sorgen. Der hat – im wörtlichen und übertragenden Sinne – viel Gewicht, wird aber infolge vielerorts in den Gemeinden noch fehlender Biotonnen immer noch viel zu wenig getrennt und recycelt. „Bioabfälle machen etwa 50 Prozent des Gesamtgewichts in den Privathaushalten aus“, so Roser Badia, die für Mallorca zuständige Koordinatorin von Rezero.

Bio-Müll

Mittlerweile bieten immer mehr Gemeinden auf den Inseln eine getrennte Entsorgung direkt an der Haustür an. In Colònia de Sant Jordi etwa geht das neue System am 11. März an den Start. Die Gemeinde Marratxí hat die schrittweise Umstellung vom Container auf der Straße zur Tonne vor der Haustür öffentlich ausgeschrieben. Doch nach wie vor wird gerade mal ein Viertel der organischen Abfälle tatsächlich kompostiert und somit als Dünger wieder in den Produktionskreislauf eingebracht. Zwar hat sich der Anteil der kompostierten Abfälle in den ersten beiden Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes um vier und dann sechs Prozent erhöht. Doch es gehe noch immer zu langsam voran.

Die Haus-zu-Haus-Abholung des Biomülls ist nach Einschätzung von Badia das wirksamste Mittel, die Quote zu verbessern. „In meinem Wohngebiet in Manacor stieg so der Prozentsatz von 25 Prozent kompostierten Biomülls auf 75 Prozent.“ Man müsse es den Menschen leicht machen, Küchenabfälle und Lebensmittelreste richtig zu entsorgen. In Palma gehört in den meisten Vierteln schon sehr viel Motivation dazu, den Biomüll in die oft weit entfernte Tonne zu bringen und diese dann erst noch mit Hilfe der Bürgerkarte zu öffnen. Trotzdem rechtfertigt Badia das System: „So wird der Biomüll auch wirklich rein gehalten. Zudem sollen die Bürger in Zukunft Rabatte bei der Abfallsteuer erhalten.“

Als weiteren wichtigen Punkt nennt Badia die Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung. Da spiele vor allem der Tourismussektor eine entscheidende Rolle. Es könne durch einfache Maßnahmen wie kleinere Portionen und eine Anpassung der produzierten Lebensmittel echtes Geld gespart werden. Auch den Einsatz von lokalen Produkten bringt Badia ins Spiel: Durch kürzere Lieferketten blieben die Lebensmittel länger frisch und müssten seltener wegen überschrittener Haltbarkeitsdaten entsorgt werden.

Gleichzeitig muss die bestehende Infrastruktur zur Kompostierung ausgeweitet werden. So plant der Inselrat dezentrale Kompostieranlagen auf der Insel. Die für die Gemeinde Llucmajor geplante Anlage soll 2026 in Betrieb gehen und dann 57 Tonnen Biomüll pro Tag verarbeiten.

Einwegplastik

Auf großes Medienecho stieß bei der Einführung des Gesetzes 2019 das Verbot von Einwegplastik. Strohhalme, Teller, Becher oder Besteck aus Plastik sind – nach einer Übergangsfrist von zwei Jahren – seit 2021 ebenso verboten wie Plastikringe, die Sixpacks zusammenhalten, Kaffeekapseln oder Ketchupbeutelchen. Während viele Hotels bereits umgestiegen sind und Hygieneprodukte wie Shampoos, Duschgel oder Seifen nun aus wiederbefüllbaren Spendern anbieten, hakt es andernorts noch. Nach wie vor finden sich in vielen Supermärkten Einwegplastikartikel, und auch im Gastro-Gewerbe halten sich längst nicht alle an die Vorschriften.

Die Umweltorganisation Save the Med schätzt auf der Basis eigener Daten, dass rund 60 Prozent der Unternehmen das Abfallgesetz befolgen. „Seit 2021 bieten wir ein freiwilliges Zertifizierungssystem für Hotels und Gaststätten namens Balearics Plastic Free an“, erklärt Save-the-Med-Sprecherin Tupa Rangel. Für die Zertifizierung müssen die Unternehmen nachweisen, dass sie das balearische Gesetz einhalten, aber auch die europäischen und staatlichen Richtlinien sowie das Dekret zur Kreislaufwirtschaft im Tourismus. „Von den 170 Unternehmen, die wir bewertet haben, kamen 100 für die Zertifizierung infrage“, so Rangel. Einer der häufigsten Verstöße sei der Einsatz von Einwegstrohhalmen, obwohl diese verboten sind. „Leider gibt es keine Überwachung, Kontrollen oder Sanktionen“, so Rangel.

Das will der zuständige Generaldirektor Viu so nicht stehen lassen. Es fänden sehr wohl Kontrollen statt, und seine Abteilung habe in den vergangenen sieben Monaten mehr Verwaltungsstrafverfahren bearbeitet, als das in den zwei Jahren unter seinen Vorgängern der Fall gewesen sei. Andererseits räumt er ein, dass die ganz große Kontrollkampagne noch nicht stattgefunden habe. „Auch das ergibt keinen Sinn, solange wir keine verlässlichen Zahlen haben.“ Erst dann könne man sehen, wo es in Sachen Recycling und Müllvermeidung im Argen liege. „Klar ist aber auch: Wer gegen das Gesetz verstößt, der muss dafür bezahlen.“

Wie geht’s weiter?

Parallel zur Auswertung der Daten arbeitet Viu mit seinem Team bereits an einer Durchführungsverordnung, die wohl gegen Ende 2025 kommen wird. Mit ihr sollen Schwachstellen des Regelwerks ausgebügelt werden. Dabei geht es dem konservativen Politiker wohlweislich nicht um die Grundidee: „Die im Gesetz festgelegten Ziele müssen wir erreichen, schon allein, weil es mittlerweile auch ein europäisches Rahmengesetz gibt, das diese vorgibt.“

Bei der bisherigen Umsetzung des Gesetzes sehen die Umweltschützer von Save the Med zwar Fortschritte in der Gesellschaft, nicht aber im Produktionsmodell. Ein entscheidender Schritt sei, die Einzelhandelsketten dazu zu bringen, Wiederverwendungs- und verpackungsfreie Systeme einzuführen. „Ohne Alternativen zu Einwegverpackungen kommen wir nicht voran“, urteilt die Sprecherin. Dem steht jedoch die Philosophie von Ecoembes entgegen. Das Unternehmen, das ähnlich dem Grünen Punkt in Deutschland von den Herstellerfirmen in Spanien für alle Verpackungen kassiert und für deren Reycling verantwortlich ist, profitiert von der Plastiklawine unabhängig von deren sachgemäßer Entsorgung.

Es gibt laut Save the Med zwar Erfolgsgeschichten lokaler Unternehmen wie Tot Herba und Argui, die ökologische Kosmetik- oder Reinigungsmittel produzieren. Aber das reiche bei Weitem nicht aus. Auch Begudes Puig nennt Rangel als positives Beispiel. Der Limonadenhersteller bietet einen Service, der für Deutsche selbstverständlich, auf Mallorca aber rar ist: ein Pfandsystem für Getränkekästen und -flaschen.

War da nicht was mit Pfand?

Dabei fordern nicht nur Umweltverbände genau das. Erst im Januar veröffentlichten rund 120 Organisationen aus ganz Spanien eine offizielle Forderung an die Zentralregierung, die im spanischen Abfallgesetz von 2022 angekündigte Einführung eines Pfandsystems für Getränkeverpackungen nun endlich umzusetzen.

Auch das balearische Gesetz sah ein Pilotprojekt vor. Es sollte im vergangenen Jahr auf Formentera starten. Im März 2023 stellte die linke Vorgängerregierung – gemeinsam mit Rezero – das Projekt vor, das nach Saisonende beginnen sollte.

Doch dazu wird es wohl nicht kommen. Politiker Riu will den Pilotversuch nach eigener Aussage zwar sehr wohl wagen, nicht aber auf Formentera. Die kleinste Balearen-Insel sei wegen ihrer schlechten Erreichbarkeit, der ausgeprägten Saisonabhängigkeit und dem hohen Besucheraufkommen im Sommer nicht geeignet, um repräsentative und reproduzierbare Ergebnisse zu liefern. Nun prüfe man Alternativen.

Und das Fazit?

Save the Med sieht vor allem die Unternehmen in der Pflicht: „Es fehlt am Engagement des produktiven Sektors und an wirklichen Alternativen beispielsweise für Einwegprodukte auf dem Markt.“ Oft sei allerdings die verfügbare Technologie einfach noch nicht weit genug, gibt Diego Viu zeigt zu bedenken. Zumindest beim Biomüll werde es jetzt vorwärts gehen. Für Viu steht die Sensibilisierung von Einheimischen und Urlaubern an erster Stelle, wie er sagt.

Badia von Rezero geht das alles zu langsam. Die Stiftung arbeitet am Projekt Rewine, einem Pfandsystem für Flaschen mit mallorquinischem Wein. 20 Kellereien sind an Bord, 33 weitere seien interessiert – aber erst wollen sie wissen, was das denn kosten würde. Derzeit ist Rezero zudem auf der Suche nach Sponsoren, um eine 60.000 Euro teure Studie zu bezahlen. Die soll liefern, was auf Mallorca in Sachen Abfallwirtschaft Mangelware ist: Zahlen.

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