Mallorca Zeitung

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Franco-Opfer auf Mallorca - was passiert jetzt mit Erforschung und Gedenken?

Die Rechtspartei Vox bringt mit Billigung der Volkspartei (PP) das balearische Gesetz zur Bewältigung von Bürgerkrieg und Franco-Diktatur zu Fall. Historiker und Angehörige fürchten eine Verdrängung der Opferschicksale sowie Geschichtsrevisionismus

Hommage an die Opfer des Bürgerkriegs: Auch Gedenkveranstaltungen regelte das Gesetz zur Vergangenheitsbewältigung, das Vox jetzt kippt. | FOTO: GUILLEM BOSCH

Als auf Palmas Rathausplatz am vergangenen Sonntag (14.4.) der Ausrufung der Zweiten Republik in Spanien im Jahr 1931 gedacht wurde, war dies weniger eine historische als eine politische Veranstaltung. Der Jahrestag fällt praktisch zusammen mit einer Initiative der Rechtspartei Vox, das balearische Gesetz zur Vergangenheitsbewältigung (Ley de Memòria Democràtica) von 2018 zu kippen. Die Partei hatte ihre Initiative zur Abschaffung des Regelwerks vergangene Woche mit Billigung der regierenden konservativen Volkspartei (PP) im Landesparlament registriert – und damit Entsetzen ausgelöst, sowohl bei den Nachkommen von Franco-Opfern, als auch bei Menschenrechtlern und Historikern.

„Das ist sehr besorgniserregend“, sagt Maria Antònia Oliver, die zusammen mit 150 weiteren Personen Flagge zeigte. „Mit der Rücknahme des Gesetzes werden Rechte aufgehoben, und zwar nicht nur die der Opfer, sondern der gesamten Gesellschaft“, so die Vorsitzende der Vereinigung Memòria de Mallorca im Gespräch mit der MZ. Aus politischem Kalkül billige die PP das Vorgehen von Vox und nehme in Kauf, dass den Franco-Opfern erneut Unrecht getan werde.

Lange Zeit tabu

Die Aufarbeitung des Spanischen Bürgerkriegs (1936–1939) war unter der Diktatur des Putschisten Francisco Franco (1939–1975) tabu, ebenso in der jungen spanischen Demokratie. Erst in den vergangenen Jahren wurden auf Initiative der linken Vorgängerregierung auf den Balearen mehr als 300 anonym verscharrte Opfer des republikanischen Lagers exhumiert, sterbliche Reste identifiziert und ihren Angehörigen übergeben. Dies geschah auf Basis eines 2016 beschlossenen Gesetzes (Ley de Fosas) – davor war die Suche letztendlich Privatsache. Die Ley de Memòria Democràtica von 2018 regelte dann umfassend Fragen der Aufarbeitung und des Gedenkens. Dazu gehören unter anderem ein Register der Ermordeten, Pläne zur musealen Aufbereitung, die Definition von Gedenkorten oder eine Anlauf- stelle für Angehörige von Franco-Opfern.

Gedenkstunde mit Ex-Ministerpräsidentin Francina Armengol. Manu Mielniezuk

Das Gesetz verbietet zudem unter Geldstrafe, die Diktatur öffentlich zu verharmlosen oder zu verbrämen. Genau das tat nach Einschätzung der Opposition der Vox-Politiker David Gil, als er im Februar im Inselrat vom Putsch gegen die Zweite Republik als „Befreiungskreuzzug“ sprach. Davon abgesehen, dass die PP-Regierung ohnehin ein Verfahren gegen Gil ablehnt, entfällt mit der Rücknahme des Gesetzes bald auch die Grundlage dafür. Die Politik dürfe den Menschen nicht verbieten, wie sie über die Geschichte dächten, heißt es bei Vox, es gelte die Meinungsfreiheit.

Rückschlag für Forschung

„Es verhält sich genau andersherum, das Gesetz stärkt die Meinungsfreiheit“, sagt Historiker Pau Tomàs, der vergangenes Jahr einen Sammelband mit neuen Forschungen zu Bürgerkrieg und Diktatur herausgegeben hat. Und einen Putsch als Kreuzzug zu bezeichnen, sei kein Meinungsbeitrag, sondern Verherrlichung des Faschismus. Auch Oliver von Memòria de Mallorca lässt das Argument der Meinungsfreiheit nicht gelten. „Das bisherige Gesetz stützt sich allein auf bewiesene Fakten und die Menschenrechte, da wurde nichts neu erfunden.“ Zudem seien alle Opfer berücksichtigt – freilich mit dem Unterschied, dass denen des nationalen Lagers bereits während des Franco-Regimes alle Ehre zuteil wurde.

Tomàs fürchtet nun, dass die Einsicht in historische Akten und damit die wissenschaftliche Aufarbeitung wieder schwerer werde, beispielsweise wenn Initiativen zur Digitalisierung von Archivmaterial zum Erliegen kommen. Der Umgang mit der unaufgearbeiteten Vergangenheit werde bewusst finanziell kurz gehalten und aus der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt, so der Historiker.

Und die Exhumierungen?

Dass das Gesetz zur Exhumierung der Franco-Opfer in Kraft bleibt, ist für die Angehörigen ein schwacher Trost. Die bislang ausgeschriebenen Projekte liefen aus, die Arbeit gehe langsam und dilettantisch vonstatten, neue Projekte gebe es nicht, so Oliver. Die Anlaufstelle für Angehörige sei geschlossen, es gebe weder Treffen noch eine direkte Kommunikation, „es ist ein einziges Desaster“.

Bei den Ausgrabungen in Porreres. Foto: CAIB

Aber es bestehe noch Hoffnung. Um die Vergangenheitsbewältigung zu bewahren, haben sich inzwischen mehrere Dutzend Vereinigungen zu einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen, der Plataforma per la Memòria Democràtica. „Wir haben uns mit Europapolitikern und Vereinigungen in anderen Regionen in Spanien getroffen, um gemeinsam zu kämpfen“, so Oliver. Man hoffe zudem auf das Vorgehen der spanischen Zentralregierung und das spanische Verfassungsgericht.

Forscher Tomàs verweist darauf, dass in den vergangenen Jahren viele Dinge erreicht worden seien, die sich nicht mehr zurückdrehen ließen, etwa hinsichtlich der Exhumierung von Opfern. Zudem rege sich massiver Widerstand gegen den Geschichtsrevisionismus von Vox. „Die Frage wird sein, ob diese vereinten Kräfte ausreichend sein werden.“

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