Youssef und Nassiri ahnen davon noch nichts. Doch es steht außer Frage, dass die ersten beiden Balearen-Babys, die in der Silvesternacht auf Ibiza und Mallorca das Licht der Welt erblickten, in eine Zeit geboren werden, in der die Religion ihrer Eltern - in beiden Fällen handelt es sich um Marokkaner - unter General­verdacht steht. Schuld daran sind Negativ-Schlagzeilen wie die aus Paris, wo am Mittwoch (7.1.) bei einem Anschlag auf das islamkritische Satiremagazin „Charlie Hebdo" zwölf Menschen starben. Hinzu kommen die stetigen Schreckensmeldungen vom Kampf der Terrormilizen des Islamischen Staates (IS), dem sich mittlerweile auch rund 70 Spanier angeschlossen haben, um im Namen Allahs zu töten - während in Deutschland die Anhänger der Pegida-Bewegung allwöchentlich gegen die angebliche Islamisierung des Abendlandes demonstrieren. Islam klingt heute mehr denn je nach Terror, Gewalt, Unterdrückung, die Grenzen zwischen Ausländer- und Islamfeindlichkeit verschwimmen.

Auf Mallorca leben derzeit etwa 30.000 Muslime, etwa zwei Drittel davon stammen aus Marokko, hinzu kommen Algerier, Senegalesen - und Jordanier. Mahfouz Abu Mahfouz, der vor 13 Jahren von seiner Heimatstadt Zarqa nach Inca kam, ist einer von ihnen. Als Vorsitzender des islamischen Verbands der Balearen, in der die auf den Inseln ansässigen islamischen Gemeinden organisiert sind, weiß er, dass es um das Image der Muslime derzeit nicht gut bestellt ist, und bemüht sich um Schadensbegrenzung. In einem im Dezember veröffentlichten Kommuniqué distanzierten sich der Verband und acht weitere Unterzeichner, darunter der Imam der Moschee von Inca und der Vorsitzende der Vereinigung der senegalesischen Einwanderer, von den Terrorakten des Islamischen Staats.

Wobei Mahfouz Abu Mahfouz allein schon diese Bezeichnung missfällt. Angebrachter sei der Name Daesh, wie die Gruppe im Arabischen heißt. „Denn es gibt bis dato keinen islamischen Staat, der die Interessen von uns Muslimen auf der Welt vertritt. Bei dieser Gruppierung handelt es sich um Terroristen, die die Religion für ihre persönlichen Zwecke missbrauchen." Wie in der offiziellen Stellungnahme betont Mahfouz auch im persönlichen Gespräch, dass der Islam die „Religion der Liebe, des Friedens und des nationenübergreifenden Zusammenlebens" sei. Gläubigen Muslimen sei es untersagt, Gewalt anzuwenden, Kriege zu führen, Andersgläubige nicht zu respektieren, Unschuldige zu töten oder Frauen ihre Rechte zu verweigern. „Aber die Leute, die in diesen Krieg gezogen sind, kennen den wahren Islam überhaupt nicht", sagt der Jordanier, der nur wenige Autostunden von der syrischen Hauptstadt Damaskus entfernt aufgewachsen ist. „Als Junge war ich oft dort, es war eine schöne Stadt, jetzt ist es ein Kriegsschauplatz." Je weiter die Gewalt voranschreite, um so mehr islamische Geschichte würde zerstört.

Dass den Muslimen auf Mallorca angesichts der medialen Aufmerksamkeit, die den radikalen Islamisten geschenkt wird, mit zunehmendem Misstrauen begegnet wird, habe er bisher nicht feststellen können, sagt Mahfouz Abu Mahfouz. „Wir sind hier gut integriert, wir werden akzeptiert". Gut, als vor rund fünf Jahren die zweite Moschee in Inca eröffnete wurde, sei anfangs eine gewisse Skepsis zu spüren gewesen. „Doch die Leute merkten schnell, dass wir dort nur beten, und keinen Lärm und keinen Ärger machen." Seitdem pflege man ein freundliches Nachbarschaftsverhältnis.

Allerdings bestehe immer noch ein großes Informationsdefizit, das will Mahfouz Abu Mahfouz nicht leugnen. Auf der Website esarabes.net wolle er deshalb im neuen Jahr - und diesen Vorsatz macht er am christlich-gregorianischen, nicht am islamischen Kalender fest - häufiger über die Aktivitäten in den islamischen Gemeinden berichten. Künftig sollen dort neben spanischen Nachrichten auf Arabisch auch Notizen aus der arabischen Welt in spanischer Sprache veröffentlicht werden.

Auch für Mohammed Harit, Generalkonsul von Marokko auf den Balearen, sind Kommunikation und Dialog das A und O. „Die Leute hier müssen den Islam endlich kennenlernen", sagt er. Der Islam sei gegen jegliche Form von Extremismus und Fanatismus, doch jeder einzelne Terrorakt - egal ob in Syrien oder in einer europäischen Metropole - bringe die ganze Religionsgemeinschaft in Verruf. Es sei deshalb dringend und vor allem kontinuierlich Aufklärungsarbeit von Nöten, mit einem Vortrag sei es da nicht getan. „Den Islam gibt es seit Jahrhunderten, aber wir fangen ja immer erst an, über die Dinge zu sprechen, wenn es eigentlich schon zu spät ist und die Probleme offenkundig sind."

Von einem prinzipiellen Misstrauen gegenüber Muslimen will auch Mohammed Harit nicht sprechen. „Das sind Einzelfälle, für die man nicht eine ganze Gesellschaft verurteilen darf." Spanier und Marokkaner jedenfalls kämen generell gut miteinander aus. „Rund 800.000 Spanier machen jährlich in Marokko Urlaub, und ebenso reisen viele Marokkaner nach Spanien, insbesondere nach Andalusien."

Sorge bereitet dem Konsul vielmehr die Tatsache, dass immer mehr Ausländer sich den Dschihadisten anschließen - egal ob Marokkaner, Spanier oder Deutsche. Um dagegen anzukommen, müsse die internationale Gemeinschaft neben politischen und juristischen Maßnahmen vor allem auf humanitäre Hilfe, etwa für die Entwicklungsländer in Afrika, setzen, fordert Harid - und nimmt dabei Bezug auf eine Konferenz des Weltweiten Anti-Terrorismus-Forums, die Mitte Dezember in Marrakesch stattgefunden hat. Der Kampf gegen Terrorismus sei schließlich in erster Linie ein Kampf gegen die Armut.

Perspektivlosigkeit ist ebenso in den Augen von Mahfouz Abu Mahfouz der Hauptgrund, warum sich junge Menschen aus der arabischen Welt den Terroristen des IS anschließen. Warum sich allerdings auch immer mehr Europäer radikalisieren, kann sich der Jordanier nicht so recht erklären. „Vermutlich, weil sie an eine falsche Person geraten sind und sich mitreißen ließen." Wo das passiere, wisse er nicht, versichert Mahfouz. „Ich kenne keine einzige radikale Gemeinde."

Das spanische Innenministerium geht unterdessen davon aus, dass die Dschihadisten ihre Anhänger weit weniger als bislang angenommen im Umfeld von Moscheen rekrutieren, sondern dafür vor allem das Internet nutzten. Als Nährboden gelten zudem mittlerweile die Gefängnisse.