Am 6. Oktober 1934, inmitten der Turbulenzen der Zweiten Spanischen Republik, erklärte Lluís Companys, dass Katalonien fortan ein eigener Staat innerhalb einer spanischen Föderation sei. Die lang ersehnte Unabhängigkeit dauerte gerade einmal neun Stunden, bevor die Armee einschritt und den katalanischen Ministerpräsidenten absetzte. Sechs Jahre später, nach dem Sieg von Francisco Franco im Bürgerkrieg, wurde Companys von der Gestapo in Frankreich gefasst, nach Spanien ausgeliefert und dort hingerichtet.

Der Jahrestag der erstmaligen Ausrufung einer katalanischen Republik fand dieser Tage viel Beachtung in der Staatskrise um die Separationsbestrebungen in Katalonien. Die Aussagen von Pablo Casado, Vorstandsmitglied der konservativen Volkspartei (PP) von Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy, wonach dem heutigen „president" Kataloniens, Carles Puigdemont, ein ähnliches Ende drohe wie einst Companys, haben die Gemüter weiter erregt. Casado klärte auf Nachfragen, dass er sich auf die Absetzung Companys bezog und nicht auf dessen Hinrichtung.„Ja soóc aquí"

In diesem turbulenten Oktober erinnerte man sich in Katalonien neben der Republik von Companys, auch an einen anderen Jahrestag. Vor 40 Jahren, am 23.10.1977, war Josep Tarradellas, der Präsident der katalanischen Exilregierung während der Franco-Diktatur, nach Barcelona zurückgekehrt. Adolfo Suárez, der vom Regime eingesetzte Ministerpräsident Spaniens, hatte Tarradellas die Rückkehr erlaubt. Es war ein mutiger Schritt in einer Zeit, als das nach wie vor einflussreiche Militär und rechte Kreise dem katalanischen Nationalismus nicht über den Weg trauten. In Katalonien erinnerte man dieser Tage an die Worte, die Tarradellas vom Balkon des Sitzes der katalanischen Regierung, dem Palau de la Generalitat in Barcelona, der jubelnden Menschenmenge zurief: „Ciutadans de Catalunya, ja sóc aquí" (Bürger Kataloniens, jetzt bin ich hier).

Suárez erkannte Tarradellas als Übergangschef einer katalanischen Regierung an und damit de facto den Sonderstatus dieses Landesteils in Spanien. Die Nationalisten wirkten im Gegenzug an der Redaktion der spanischen Verfassung mit und machten erhebliche Zugeständnisse, die den heutigen Separatisten mächtig aufstoßen. So werden Katalonien, das Baskenland und Galicien - die drei Landesteile mit eigener Sprache - in der spanischen Verfassung als „­Nationalitäten" ­(nacionalidades), nicht aber als „Nationen" (naciones) bezeichnet. Dieser semantische Unterschied ist bis heute einer der Hauptkampfplätze des Separatismus, der auf die Anerkennung Kataloniens als Nation beharrt. Das Autonomiestatut wurde 1979 in einem Referendum von den Katalanen mit breiter Mehrheit angenommen, wobei die Wahlbeteiligung nur knapp 60 Prozent erreichte.

Die katalanischen Institutionen konnten in den Folgejahren viele Funktionen übernehmen, und Katalanisch wurde wieder als Amtssprache zugelassen, allerdings neben dem Kastilischen. Unter Suárez wurde ein Plan verworfen, wonach in Spanien lediglich die drei historischen „Nationalitäten" einen Autonomiestatus erhalten sollten. Stattdessen entschied man sich für eine schrittweise Dezentralisierung der Staatsaufgaben, die den 17 autonomen Regionen übertragen wurde.

Besonders Andalusien, die einwohnerstärkste Region des Landes, bestand auf Gleichbehandlung. Dieses Modell wurde schnell bekannt als „café para todos" (die spanische Redewendung „Kaffee für alle" bedeutet, dass alle das Gleiche bekommen, Anm.d.Red). Doch Katalanen und Basken wollten eben nicht mit den übrigen Regionen auf eine Stufe gestellt werden und forderten unnachgiebig eine Sonderbehandlung und mehr Autonomie.

Auftritt Jordi Pujol

Jordi Pujol regierte Katalonien von 1980 bis 2003 als Chef von Convergència i Unió (CiU), einer konservativ-bürgerlichen Koalition, die einen eher moderaten Nationalismus verfolgte, im Gegensatz zu deren Nachfolgeorganisation, der PDeCAT von Puigdemont. Pujol nutzte das Gewicht der Abgeordneten von CiU in Madrid, um von spanischen Minderheitsregierungen, sowohl des Sozialisten Felipe González wie des konservativen José María Aznar Zugeständnisse für die Katalanen herauszuholen. So wurden etwa die Kompetenzen der katalanischen Polizei, Mossos d'Esquadra, kontinuierlich ausgeweitet und unter der „sprachlichen Normalisierung" der Gebrauch der katalanischen Sprache massiv gefördert.

Doch das war den Nationalisten nicht genug. Der sozialistische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero verständigte sich mit seinem Parteifreund Pasqual Maragall, der CiU erstmals aus der Generalitat verdrängt hatte, auf ein neues Autonomiestatut. Darin wurde Katalonien zumindest in der Präambel als „Nation" bezeichnet, was jedoch keine rechtlichen Auswirkungen haben würde. Die Katalanen würden mehr als die Hälfte der eingenommenen Steuern selbst verwalten und mehr staatliche Finanzierung bekommen. Die katalanische Sprache hätte Vorrang in den Schulen und der Verwaltung. Außerdem sollte ein eigenes Justizsystem entstehen. Das neue Statut wurde 2006 von den Katalanen in einem Referendum mit niedriger Wahlbeteiligung angenommen und von den Parlamenten in Barcelona und Madrid ratifiziert.

Gegen dieses Statut regte sich sofort Widerstand. Vor allem die PP wetterte gegen die Anerkennung Kataloniens als Nation innerhalb Spaniens. „Es gibt nur eine Nation, und das ist Spanien", erklärte Rajoy, der Aznar an der Spitze der Partei beerbt hatte, im Jahr 2006 auf einer Demonstration in Madrid. Die Konservativen reichten Verfassungsklage ein, und die Richter kippten 2010 die entscheidenden Artikel des Statuts. Heute besteht kaum ein Zweifel daran, dass jene Entscheidung des Verfassungsgerichts aufgrund der Klage der PP den Ausschlag für den Anstieg des Separatismus gab und Spanien heute in seine größte Staatskrise seit Ende der Franco-­Diktatur geführt hat.