Nicht deutsche Urlauber am Ballermann, sondern spanische Schüler auf Abifahrt haben die mühsam erreichte neue Normalität auf Mallorca über den Haufen geworfen. Aus ganz Spanien reisten sie auf die Insel, um ihren Schulabschluss zu feiern. Von Euphorie, Alkohol und jugendlichem Leichtsinn beflügelt ließen viele von ihnen selbst die grundlegendsten Corona-Restriktionen außer Acht. Kein Abstand, keine Maske, teilweise in geschlossenen und schlecht belüfteten Räumen.

Das für das ganze Land erschreckende Resultat bestimmt seit Tagen die Schlagzeilen: Fast 2.000 mit dem Coronavirus infizierte Schüler (Stand Mittwochabend, 30.6.), die großteils vor Bekanntwerden des Infektionsherds in ihre Heimatregionen auf dem Festland zurückkehrt waren und dort weitere Kontakte infizierten. Zunächst schien es, als ob die meisten Jugendlichen die Krankheit ohne Symptome wegstecken. Aber inzwischen liegt mindestens ein 18-Jähriger auf Intensivstation in Alicante. Der Vater eines anderen Schülers liegt ebenfalls schwer krank in einer Klinik in Madrid. Betroffen sind Schüler aus zwölf spanischen Regionen – darunter Madrid, Galicien, Baskenland, Valencia, Murcia, Katalonien und Kastilien-La Mancha.

Sicherheitskonzept versagte komplett

Die von kommerziellen Anbietern und nicht von den Schulen geplanten Reisen sahen eigentlich vor, dass die Schülergruppen innerhalb ihrer Blase bleiben und Kontakte mit anderen meiden. Das Konzept versagte komplett. Durch Befragung der Beteiligten entsteht ein Bild davon, wann und wo sich die Jugendlichen angesteckt haben. Auch für deutsche Urlauber auf der Insel ist das relevant. Schließlich feiern viele von ihnen ebenso wie die spanischen Abiturienten mit Vorliebe an der Playa de Palma.

Erste Erkenntnisse weisen auf mehrere hochriskante Events hin. So reisten viele Schülergruppen per Bus und Fähre an. Schon auf der Schiffsfahrt zwischen Dénia und Palma geriet die Lage außer Kontrolle. Die Gruppen mischten sich ohne Maske, ohne Abstand und dafür mit viel Alkohol. Die Testpflicht für Inlandsreisen nach Mallorca gilt nur für Regionen mit hoher Inzidenz. Bei Fährfahrten aus Dénia musste man zum Beispiel keinen Test vorzuweisen. Eine wichtige Rolle spielte womöglich auch ein Reggaeton-Konzert am Dienstag (15.6.) in Palmas Stierkampfarena. Die Polizei brach die für 1.200 Besucher genehmigte Veranstaltung ab, als klar wurde, dass sich weder Organisatoren noch Besucher an die Auflagen hielten.

Zudem muss es mehrere illegale, aber halbwegs kommerziell organisierte Partyevents gegeben haben. Beteiligte berichten von Bootsausflügen und vor allem von einem etwas abgelegenen Hügel, den mehrere Autos mit synchronisierten Lautsprechern in eine Freiluftdisco verwandelten. Die Polizei verlor offensichtlich vollständig die Kontrolle. In Llucmajor tolerierte sie Massenpartys in einer Seitenstraße, um so zumindest zu verhindern, dass sich die halbwegs isolierten Abiturienten mit anderen Feiernden mischen.

Besorgniserregend ist die Aussage eines Schülers, der in einem Interview davon berichtet, dass bei diesen Partys vereinzelt auch ausländische Urlauber waren, bei denen es sich zurzeit ja vor allem um Deutsche handelt. Die Balearen-Regierung geht vorerst davon aus, dass sich die Abiturienten-Gruppen nicht mit deutschen Urlaubern mischten, wie der balearische Corona-Sprecher Javier Arranz der MZ auf Nachfrage bestätigte. „Hundertprozentig ausschließen“ könne man es aber nicht. Zudem sei zu befürchten, dass „ähnliches Risikoverhalten“ unter internationalen Urlaubern ebenfalls zu weiteren Infektionsherden führen könnte.

Behörden greifen durch

Als das Ausmaß der Ansteckungen halbwegs deutlich wurde, reagierten die Inselbehörden, indem sie alle Schüler, die noch aufs Festland zurückgekehrt waren, ab Freitag (25.6.) per Krankenwagen aus den Hotels holte, testete und ihnen eine Quarantäne im Corona-Hotel Palma Bellver verordnete. Die Tests bei 286 getesteten Schülern ergaben zunächst 86 Positivergebnisse. Rund jeder vierte Schüler auf Abireise hatte sich also angesteckt. 16 Schüler wurden mit leichten Symptomen ins Krankenhaus Son Espases eingeliefert. Auch aufgrund der hohen Positivquote der Tests entschieden die Behörden, alle Teilnehmer der Abifahrten als enge Kontakte zu Covid-Fällen zu werten.

Die balearische Ministerpäsidentin Francina Armengol erklärte: „Wer hierherkommen will, um sich danebenzubenehmen, soll zu Hause bleiben.“ Die Regierung verfügte zudem, dass Teilnehmer von organisierten Gruppenreisen ab 20 Personen ein negatives PCR-Testergebnis vorweisen müssen, um sich in Unterkünften einzuquartieren.

Rotzfreche Schüler

Das aus Schülersicht autoritäre Verhalten kam bei den meisten Kids nicht gut an. Auch im Quarantäne-Hotel ignorierten viele deshalb die Vorschriften, warfen Flaschen aus dem Fenster, drehten die Musik auf, turnten über Balkone und ließen sich durch Seilwinden aus zusammengeknoteten Laken übers Fenster mit Alkoholika versorgen. Eingeschaltete Psychologen wurden mitunter bespuckt. In einer Kampagne in den sozialen Netzwerken stellten sich die Schüler als „Geiseln der Balearen-Regierung“ dar. Einige hauten einfach ab.

Auch einige Eltern, die der Verlegung der teilweise Minderjährigen ins Quarantäne- Hotel nicht in jedem Fall zugestimmt hatten, wehrten sich gegen die Bevormundung. Dass sich unter den Müttern eine Anwältin befand, die öffentlichkeitswirksam mit einer Klage drohte, mag die Stimmung zusätzlich angeheizt haben.

Nach einem kurzen juristischen Hin und Her entschied ein Gericht in Palma am Mittwochabend (30.6.), dass die Zwangsquarantäne für die negativ getesteten Schüler unverhältmäßig sei. Die Balearen-Regierung beschloss daraufhin, ein Schiff anzumieten, dass die Schüler am Donnerstagmorgen (1.7.) als geschlossene Gruppe aufs spanische Festland bringen sollte. Die Heimatregionen sollten sich dann bitteschön um die weitere Verfrachtung kümmern und dabei sicherstellen, dass die Jugendlichen dabei keine anderen Reisenden ansteckten.

Madrid schickt 300 zusätzliche Polizisten auf die Inseln

Um die Situation an der Playa de Palma und anderen Orten der Insel unter Kontrolle zu bringen, hat die Landesregierung in Palma die spanische Zentralregierung in Madrid um Verstärkung gebeten. Mindestens 300 zusätzliche Polizisten sollen künftig Corona-Streife fahren. Unterdessen suchen die Behörden nach Verantwortlichen. Inspektionen in Hotels, Bars und Läden sollen klären, ob die Restriktionen missachtet wurden. Den Veranstaltern des Konzerts in der Stierkampfarena droht ein hohes Bußgeld. Auch die Verantwortung der Reiseagenturen wird geprüft.