Sie sind an Gürtelrose erkrankt. Wie halten Sie solche Tourneen durch?

Auf der Bühne hat man keine Schmerzen. Und beim konzen- trierten Klavierspiel auch nicht. Die Seele kann sich nicht teilen: entweder Schmerzen oder Klavier spielen. Da habe ich mich fürs Klavierspielen entschieden. Zieht nach Jahrzehnten der Name Paul Kuhn immer noch?

Alle Konzerte waren ausverkauft.

Wie erklären Sie sich das?

Das kann ich nicht erklären. Ich konnte minutenlang lang gar nicht anfangen, so viel Applaus bekam ich. Das war sehr, sehr schön.

Wie alt war das Publikum? Zwischen 40 und 50 Jahre?

Es waren auch viele jüngere Leute darunter. Jazz in Deutschland hat im Laufe der vergangenen Jahre ein jüngeres Publikum bekommen. Und da haben wir im europäischen Raum nicht wenig dazu beigetragen. Die Deutschen sind in dieser Hinsicht reifer geworden.

Wie erklären Sie sich das?

Weil die Leute vielleicht müde sind, sich von Lärm unterhalten zu lassen. Die heutige Pop-Szene ist ja nun nicht wahnsinnig attraktiv. Musikalisch ist eine Abwärtsbewegung im Gange, die ich unerträglich finde.

In welcher Hinsicht?

Sinnvolle Texte sowie musikalische Qualität gibt es so gut wie nicht mehr.

Haben Sie den ?Grand Prix´ verfolgt?

Ich kann das nicht ertragen.

Aber Sie haben zugeschaut?

Ich wollte es wissen. Nicht weil ich es mag, sondern weil es mich interessiert.

Fazit?

Es war eine Katastrophe. Wenn ich höre, dass Leute Musik machen, die es nicht können, macht mich das verrückt (lacht).

Der deutsche Beitrag?

Das sind alles ganz schlechte Leute. Wenn diese No Angels im Studio sind und man macht 35 Schnitte, dann kann man das so hinfummeln, dass es einigermaßen klingt. Aber live ist das etwas anderes. Sie haben unsauber gesungen, das Ganze war schlecht ausgesteuert. Da hat nichts gestimmt.

Sie haben dennoch durchgehalten?

Ich wollte mich fertig ärgern. Was halten Sie von Dieter Bohlen und DSDS? Bohlen ist der beste Geschäftsmann, den ich kenne. Er hat das Vorsingen zu einem Groß-Ereignis gemacht. Aber wenn man genau hinhört, wird da eigentlich nur gelogen. Bohlen lügt natürlich, wenn er zu einem Kandidaten sagt: ,Ich habe das Lied noch nie so gut gehört wie von dir.´

Sie haben eine außergewöhnlich lange Karriere gemacht. Welche drei Charaktereigenschaften haben Ihnen dabei geholfen?

Ich nenne mal zwei. Erstens Qualität. Zweitens Beständigkeit. Also bei einer Sache zu bleiben, die man angefangen hat. Jazz zum Beispiel. Sie haben auch Schlager gemacht, ?Es gibt kein Bier auf Hawaii´ ? Die Schlager damals waren im Verhältnis zu heute Kunstwerke.

Selbst ?Der Mann am Klavier´?

Na, das will ich jetzt nicht sagen. Das war ein Stimmungslied. Und ich habe das nicht so wahnsinnig gern gesungen. Aber wenn man einen Schallplattenvertrag erhält und bekommt den Titel hingelegt ?

War Ihnen damals der finanzielle Erfolg wichtiger als Ihr eigener Anspruch?

Ja. Das war zu einer Zeit, in der finanzieller Erfolg überhaupt das Wichtigste war. Das war Anfang der 50er, also nur wenige Jahre nach dem Krieg. Die Produzenten, die Jazzkonzerte veranstaltet haben, sind mit großen Cadillacs gekommen. Und ich musste mit der Straßenbahn nach Hause fahren. Das sah ich nicht mehr ein.

Manchmal wussten die Leute nicht mehr, ob der Kuhn jetzt Jazzmusik oder Schlager macht. Im Rückblick: Bereuen Sie, Schlager gemacht zu haben?

Ich würde jetzt gern ja sagen. Aber ich traue mich das nicht. Es kann immer mal etwas kommen, wo man vielleicht zu schnell zustimmt. Da bin ein manchmal so´n bisschen untreu geworden. Jazz hat es immer schwer.

Manche Leute nennen Sie Paulchen Kuhn. Stört einen das als gestandener Mann?

Ja. Paul ist mir lieber. Aber was will man erwarten? Ich habe Schallplatten produziert, da stand drauf: ?Paulchen und seine Musik-Mixer.´

Ein Leben ohne Klavier spielen...

... ist für mich undenkbar. Die Finger laufen, trotz meiner 80 Jahre. Aber man muss das pflegen. Ich mache entsprechende Übungen und spiele täglich mindestens eine Stunde.

Macht Ihnen Ihre Netzhauterkrankung Angst?

Ja. Ich würde wie jeder natürlich gern gesund alt werden. Und ich würde gern gesund sterben (lacht).

Ihre Traum-Show im deutschen Fernsehen?

Ein Konzert mit Roberta Gambarini, eine gebürtige Turinerin, die in wenigen Jahren ganz oben sein wird. Sie ist eine wunderbare Jazz-Sängerin, mit einem absoluten Gehör. Ich unterscheide nämlich Sänger mit einem absoluten Gehör, keinem absoluten Gehör und absolut keinem Gehör.

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