Boris Becker als Vater zu haben, ist wohl Fluch und Segen zugleich: Sohn Noah Becker war schon prominent, bevor er überhaupt krabbeln konnte. Der Titel seiner Ausstellung "Pros & Cons of Being A Spoiled Brat" (Das Für und Wider, ein verwöhntes Gör zu sein) im neuen Raum der Gerhardt Braun Gallery an der Plaça Chopin in Palma kokettiert explizit mit diesem Los im Leben. Doch der nun so humorvolle Umgang damit scheint das Ergebnis eines Selbstfindungsprozesses zu sein.

Nicht immer sei es einfach gewesen, mit einem berühmten Namen aufzuwachsen, erklärt Becker beim MZ-Gespräch vor der Vernissage: Oft habe er gehört, er sei nicht ernst zu nehmen oder nicht gut genug. „Wenn man jung ist, nimmt man vieles schnell persönlich. Früher musste ich viele negative Dinge durch die Kunst aufarbeiten. Aber mittlerweile kreiere ich nur noch mit Liebe, Stolz, Genuss und Dankbarkeit“, erklärt er. „Ich glaube, dass Kunst mich gerettet hat. Jetzt bin ich 27 und fühle mich geerdet.“

Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie der tatsächlich tiefenentspannt wirkende Künstler, der auch schon Erfahrung als DJ und Designer gesammelt hat, in seinem Kreativraum in Berlin-Schöneberg schaltet und waltet – einer Mischung aus Kunstatelier und Musikstudio, denn er malt nicht nur, sondern spielt auch Bass und Schlagzeug, produziert, rappt und singt. „Mein Alltag ist so: Entweder komponiere ich ein Lied, oder ich male ein Bild“, sagt Becker. „Mit einer Balance zwischen beiden Ausdrucksformen – das ist die Art, wie ich gerne leben will.“

Ein Werk aus Noah Beckers "Straight-Edge-Phase". Pere Joan Oliver

Actionpainting und Entschuldigungsbriefe

Rastlos und hippelig werde er nur dann, wenn er diese Routine einmal nicht hat und unterwegs ist. Auch dem Sport kommt in Beckers Leben und Schaffen eine wichtige Bedeutung zu: „Musik ist eher mein Teamsport, Malerei meine Einzeldisziplin“, so der Künstler. Daher die bevorzugt großen Bildformate: Es bringt eben mehr Spaß und Action in den Malprozess, wenn man dazu auch mal einen Spagat machen muss.

Die 16 Werke der Ausstellung in Palma de Mallorca zeigen die verschiedenen Facetten seiner Arbeit, in der sich persönliche Erlebnisse, Erinnerungen, Gedanken und Gefühle spiegeln. Im hinteren Teil sind zum einen monochrome Gemälde mit ausgeprägter Gips-Textur ausgestellt (Becker erklärt, er habe dabei an Drachenhaut gedacht), dazu Werke aus seiner „Straigth Edge“-Phase, in der er sich entschied, Schädlichem wie Alkohol, Zigaretten und Fleisch abzuschwören. „Ich nenne sie alle Mea Culpa, und sie sind wie ein Entschuldigungsbrief“, sagt er. Gleich einer fokussierten Ausdauerübung oder dem Bearbeiten eines Boxsacks malte er gerade Striche in kräftigen, leuchtenden Farben. Mit hinein habe dabei auch ein Streit mit seiner Mutter gespielt: Gefühle der Reue bahnten sich einen Weg durch das Unterbewusstsein und fanden eine Katharsis in Streifenform – Läuterung durch Wiederholung.

Bei den strukturierten monochromen Gemälden dachte der Künstler an Drachenhaut. Pere Joan Oliver

Porträt der Mutter beim Pflanzengießen

Im Eingangsbereich hängen großformatige figürliche Bilder voll Ausdrucksstärke: eine Hommage an Mallorca und Ibiza (eingezeichnet auf dieser künstlerischen Karte ist auch die Galerie von Gerhardt Braun), ein Selbstporträt, das an eine Kreuzung aus Dino und Roboter erinnert, oder ein Bild, auf dem man mit etwas Fantasie einen Tukan erkennt, der „im Dschungel chillt“, wie Becker sagt. „Ich liebe Vögel und wie sie kommunizieren.“ Am überraschendsten ist jedoch wohl der Inhalt eines anderen Werks: „Das Bild vorne rechts sieht aus wie ein Alien, zeigt aber eigentlich meine Mutter, wie sie ihre Kakteen gießt“, erklärt der Künstler.

Kein Wunder, dass er Barbara Becker porträtierte, denn immer wieder spricht Noah Becker liebevoll von ihr und betont: „Familie ist echt alles für mich.“ Anerkennung von Menschen, die ihn lieben und die ihn inspirieren, sei ihm besonders wichtig. „Meine Mum ist sehr kunstaffin, und mein Dad hat krassen Geschmack – obwohl er das selbst nicht sagt.“ Wenn seine Eltern ein Bild oder einen Song von ihm mögen, ist er noch heute mächtig stolz darauf: „Ich liebe es, dass sie mögen, was ich tue – und dass sie kommen und mich unterstützen“, sagt Becker.

Links: Ein Tukan im Dschungel, rechts: das ungewöhnliche Porträt von Barbara Becker Pere Joan Oliver

Einer Anekdote aus dem Bereich der liebevollen Bemutterung ist es übrigens auch zu verdanken, dass Noah Becker überhaupt einst mit dem Malen anfing: „Meine Mum hat mir früher immer das gesündeste Mittagessen eingepackt: Haferflocken mit Algen und Flohsamen, für die Zeit ganz revolutionär“, so Becker. Trotzdem hätte der Spross, der in Miami aufwuchs, lieber Cornflakes und Sandwiches gehabt. Zu allem Überfluss steckte Barbara Becker die nahrhafte Kost dann auch noch in eine scheußliche Brotdose, die dem Jungen in der Schule peinlich war. „Als ich acht oder neun war, hat der Graffiti-Künstler Jona Cerwinske dann meine Lunchbox besprüht“, erzählt er. Dadurch machte Cerwinske dem jungen Becker nicht nur das Essen schmackhafter, sondern weckte auch dauerhaft seinen Appetit auf Kunst.

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Noah Becker, „Pros & Cons of Being A Spoiled Brat“, Preise: 4.000–ca. 30.000 Euro, Gerhardt Braun Gallery, bis 10. Oktober, Mo.–Fr. 11–19 Uhr, Plaça Frédéric Chopin, 2, Palma