Historische Bibliotheken mit ihren schönen Regalen voller wertvoller Bücher sind wundervoll. Doch auf manchen wirken sie etwas eingestaubt, aus der Zeit gefallen. Schon wichtig, aber nicht aktuell. Um diesem Schicksal zu entgehen, arbeiten Bibliotheken beständig daran, modern zu bleiben. Zwei solcher modernisierten historischen Büchereien gibt es auch in Palma. Sie gehen unterschiedliche Wege. Die Biblioteca de Cultura Artesana ist von der eigenen Linie abgewichen und setzt auf moderne Romane. Die Biblioteca Ramon Llull dagegen legt Wert darauf, weiterhin spezialisiert zu sein.

In der Biblioteca Ramon Llull ist die Konzentration in der Luft zu spüren. Fast alle Tische sind belegt, ein bis drei Personen sitzen mit Masken an den Tischen und ignorieren sich gegenseitig. Für den obligatorischen Corona-Abstand sorgen die Hefter, Blätter und Rucksäcke der jungen Menschen. Manche fingern nervös an ihren Stiften und Markern, andere tippen gelangweilt auf ihren Handys herum. Wer die Bibliothek betritt, merkt schnell, dass an der Uni gerade Prüfungsphase ist. „Die Leute, die hier lernen, sind lange hier“, sagt Bibliothekarin Carme Colom fast entschuldigend, während sie von dem Geländer im ersten Stock auf die Studenten hinunterblickt. „Wir haben auch viele Ausleihen und Besucher, die etwas nachschlagen wollen, aber die sind natürlich schneller wieder weg.“

Der historische Bestand der Biblioteca Ramon Llull ist ein Flickenteppich an Büchern

Die Biblioteca Ramon Llull ist eine sogenannte biblioteca mixta, also eine „gemischte Bibliothek“. Sie hat eine historische Sammlung, aber im Laufe der Jahre immer weitere Bände hinzugekauft. Obwohl sie wie alle Bibliotheken der Stadt Palma auch moderne Unterhaltungsliteratur anbietet, liegt darin nicht ihr Schwerpunkt. Spezialisiert ist die Bibliothek auf Bücher zu den Themen Kunst und Design.

Die Biblioteca Ramon Llull sammelt Bücher zum Thema Kunst, Design und Mode. Nele Bendgens

Carme Colom hat Kunstgeschichte studiert und ist Archivarin. Die Biblioteca Ramon Llull sei deswegen für sie „perfekt“. Die Bibliothek hat eine recht eigentümliche Geschichte. Das Gebäude wurde 1916 gebaut, um eine Bibliothek zu beherbergen, die aber lange nicht als solche genutzt wurde. Über viele Jahre lang war der große Lesesaal ein Veranstaltungsraum, außerdem schrieben Kinder und Jugendliche aus der benachbarten Schule dort Prüfungen.

Die Bibliothek gibt es erst seit 2005. Damals löste die Sparkasse La Caixa nach und nach ihre eigenen historischen Bibliotheken auf, und die Stadt Palma übernahm eine davon. Diese Sammlung ist die älteste der Bibliothek und gleicht von der Auswahl der Bücher einem Flickenteppich: Es gibt zum Beispiel ein kleines Büchlein des französischen Philosophen Montesquieu in Originalsprache aus dem Jahr 1872, einen Reiseführer über Mallorca aus dem Jahr 1919 und ein Buch über deutsche Grammatik aus dem Jahr 1938.

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So sieht es in Palmas historischen Bibliotheken aus Marlene Weyerer

Manche dieser Bücher sind extrem gut erhalten. Anderen sieht man an, dass viel in ihnen geblättert wurde. Bei manchen sind Klebstoffreste zu sehen aus Zeiten in denen noch sehr unvorsichtig restauriert wurde. Später kam die Sammlung mit Kunstbüchern aus dem Casal Solleric in Palma hinzu. Seitdem sammelt die Biblioteca Ramon Llull weiter in diesem Bereich. „Kunst- und Designstudenten kommen gern hierher“, sagt Colom. Für sie ist das einer der Faktoren, die Bibliotheken auch heute modern und wichtig machen: dass sie gebraucht werden. „Wir haben hier meterweise Material an Büchern aus diesem Bereich“, erklärt sie. „Das kann man nicht alles zu Hause haben.“

Palmas Bibliotheken haben auch Sammlungen von Büchern, die Künstler inspirierten

Außerdem sehe man anhand der älteren Bücher, wie sich der Blick auf viele Dinge geändert habe. In einem Band aus dem Jahr 1933 zum Beispiel ist die Mode der 20er-Jahre anders erklärt als in einem aktuellen Buch. „Es ist spannend zu wissen, welche Bücher früher gelesen wurden, welches Wissen und welche Interessen die Menschen damals hatten“, fasst sie zusammen.

In der Biblioteca de cultura Artesana in der Misericòrdia in Palma. Nele Bendgens

Welche Bücher in einer historischen Bibliothek stehen, ist wissenschaftlich gesehen teilweise mindestens genauso interessant wie der Inhalt der Bücher. Geschichtswissenschaftler Manuel José Pedraza ist spezialisiert auf historische Bibliotheken. Er erklärt, dass zum Beispiel die Zusammensetzung der Bücher in einer historischen Klosterbibliothek zeigen kann, welche Bücher und Themen die Mönche zu einer gewissen Zeit interessierten. „Und die Bibliothek eines bekannten Schriftstellers kann uns zeigen, auf welchen Quellen seine Literatur basiert“, sagt er. Auch die Biblioteca Ramon Llull verfügt über solche persönliche Sammlungen. Der mallorquinische Künstler und Illustrator Marcos Mateu-Mestre überließ ihr die Bücher, mit denen er arbeitet.

Eine weitere historische Bibliothek mit einer ungewöhnlichen Geschichte ist die Biblioteca de Cultura Artesana in der Misericòrdia. Denn obwohl die eigentliche Bibliothek und die Sammlung historisch sind, ist sie nicht am angestammten Ort. Die Bibliothek zog erst 1989 in das ehemalige Armen- und Waisenhaus. 1928 gegründet, war sie früher auf Bücher zu Handwerken spezialisiert.

Das Manuskript "De l'art del picapedrer" aus dem Jahr 1653. Nele Bendgens

Das älteste Buch ihrer Sammlung ist das mit Zeichnungen versehene Manuskript „De l’art del picapedrer“, über die „Kunst des Steinmetzes“ aus dem Jahr 1653. Insgesamt hat die Biblioteca de Cultura Artesana, die vom Inselrat betrieben wird, mehr als 2.000 Bücher und Broschüren aus den Jahren vor 1901 auf Spanisch, Katalanisch und Französisch. Außerdem verfügt sie über eine Sammlung Exlibris – kleine, kunstvolle Karten, mit denen früher viele Menschen die Bücher als ihr Eigentum markierten. Abgebildet sind mal das Gesicht einer älteren Dame, mal Berge, mal fantastische Gestalten, mal schlüpfrige Bilder von halb nackten Männern.

Bibliotheken sind Orte der Gemeinschaft

Allerdings ist die Biblioteca de Cultura Artesana in den Jahren von ihrer Spezialisierung abgewichen. Den größten Teil des aktuellen Bestands machen moderne Romane aus. Denn Veröffentlichungen zum Thema Handwerk gibt es nicht viele, und meist interessieren sie auch keine breite Masse. „Wenn sich etwas aus dem Bereich Handwerk anbietet, kaufen wir es“, sagt Bibliotheksleiterin Carmen Martínez. Zugleich sehe sie ihre Aufgabe aber auch darin, möglichst viele Menschen zum Lesen zu ermuntern. 2021 wurden Thriller, Liebesgeschichten und Kinderbücher am meisten ausgeliehen.

Bibliotheksleiterin Carmen Martínez will in der Biblioteca de Cultura Artesana Menschen zum Lesen animieren.

Bibliotheksleiterin Carmen Martínez will in der Biblioteca de Cultura Artesana Menschen zum Lesen animieren. Nele Bendgens

Natürlich erfüllt die Bibliothek auch weiterhin die klassischen archivarischen Aufgaben. Die Bibliothek nimmt von jedem Buch, das auf Mallorca publiziert wird, eines ins Archiv. Sie sammelt auch audiovisuelle Produktionen von der Insel. „Das bibliografische Erbe zu bewahren ist wichtig, weil es unser Gedächtnis ist“, führt Martínez fort. „Aber Bibliotheken sind so viel mehr.“ Sie hätten sich an die moderne Zeit angepasst. Neben der aktuellen Literatur bietet die Biblioteca de Cultura Artesana denn auch E-Books an oder spannt im Sommer Hängematten in ihrem Garten auf. Dort können die Besucher dann in Ruhe liegen und entspannen, während sie in einem Buch schmökern. Bibliothek als Erlebnis. „Früher war das Wissen an konkreten Orten gesammelt“, sagt Martínez. Dank des Internets sei das heute nicht mehr so. Dafür sei eine Bibliothek jetzt nicht mehr nur ein Ort des Wissens, sondern auch ein Ort der Gemeinschaft. Ein Ort, an dem Wissen geteilt wird – und somit viel mehr als nur ein Archiv.