Mallorca ist ein kontroverses Thema. Zumindest in den Ecken des Internets, in denen sich Fans des Vox-Formats „Goodbye Deutschland – Die Auswanderer“ tummeln. In letzter Zeit strahlt der Sender viele Folgen aus, die ausschließlich auf Mallorca spielen, und so manchem Zuschauer ist das nicht recht. Sobald eine Folge angekündigt wird, in der es nicht um Mallorca geht, regnet es Freude-Smileys. „Ich schaue die Mallorca-Folgen gar nicht mehr“, kommentiert eine Nutzerin. „Kennt ihr noch die ersten Folgen? Wo es so richtig in die Welt ging?“, schreibt ein Mann.

Im Jahr 2021 sind insgesamt 247.829 Deutsche ausgewandert. 6.361 von ihnen nach Spanien, dem viertbeliebtesten Zielland. Doch zählt das überhaupt, oder wandert man nur aus, wenn es „so richtig in die Welt“ geht?

Wer nach Mallorca zieht, hat es sehr viel einfacher als jemand, der zum Beispiel in die USA auswandert. Europäische Staatsbürger brauchen in Spanien kein Visum, können quasi in ein Flugzeug steigen und sich vor Ort um Miet-, Arbeits- und Mobilfunkverträge oder um ein Bankkonto kümmern. Arbeitet man noch in Deutschland, ist man für Notfälle mit der europäischen Krankenkasse abgesichert. Und sollte Mallorca doch nicht das Wahre sein, steigt man in einen Flieger und ist in zwei Stunden wieder daheim.

Auch politisch gesehen ist ein Umzug innerhalb Europas etwas Anderes

Es gibt viele Zwischenformen: Menschen, die in der Heimat angestellt sind und Homeoffice auf Mallorca machen; viele, die illegalerweise auf Mallorca leben, aber noch daheim Steuern zahlen; andere, die mindestens einmal im Monat nach Deutschland fliegen. Schwer zu sagen, ab wann jemand „richtig“ ausgewandert ist.

Nicht nur im praktischen, sondern auch im politischen Sinne unterscheidet sich ein Umzug in die USA von einem Umzug nach Spanien. „Ich verstehe unter Auswandern nicht Umziehen innerhalb Europas“, sagt Sabine Belz. Die pensionierte Leiterin diverser Goethe-Institute lebt seit knapp sechs Jahren gemeinsam mit ihrem Mann in Llucmajor.

Es sei doch gerade die Idee Europas, ein gemeinsames Einzugsgebiet zu werden. „Insofern widerspricht meines Erachtens die Vorstellung von Auswandern nach Mallorca genau dieser europäischen Idee“, fasst Belz zusammen. Auswandern könne man dagegen in die USA, nach Australien und inzwischen nach England.

Auswandern zu Francos Zeiten

Ob man sie nun Auswanderer nennen sollte oder nicht – wer nach Mallorca zieht, dessen Leben verändert sich. Einer derjenigen, der sich mit den Herausforderungen deutschsprachiger Residenten auskennt, ist Günter Stalter. Der 83-Jährige organisiert seit rund 30 Jahren zusammen mit der evangelischen Gemeinde auf Mallorca Residenten-Treffs. Für seinen Einsatz erhielt er 2018 das Bundesverdienstkreuz.

Stalter lebt seit 1966 auf der Insel und bezeichnet sich selbst im engeren Sinne nicht als Auswanderer. „Meine Frau und ich kamen damals, um an einer Rezeption zu arbeiten. Wir hatten nur einen Vertrag für neun Monate“, erzählt Stalter. Daraus wurden dann aber irgendwie doch über 50 Jahre.

Günter Stalter lebt seit über 50 Jahren auf Mallorca. FOTO: NELE BENDGENS

Als er und seine Frau kamen, war es noch etwas ganz anderes, nach Mallorca zu ziehen. Damals regierte in Spanien noch Diktator Francisco Franco. Wenn Stalter auf der Suche nach Arbeit in der Zeitung inserierte, strich der Zensor heraus, dass er ein junger Deutscher war. Stattdessen stand dann „Junger Mann sucht Arbeit“ in der Anzeige. „Und alle drei Monate kam die Guardia Civil ins Haus, um zu prüfen, dass man ein Gehalt hatte“, sagt er. Generell waren die Freiheiten der Zugezogenen eingeschränkt. Ausländer konnten zum Beispiel allein kein Geschäft eröffnen, es brauchte dazu einen spanischen Partner.

Heute hat Stalter dagegen das Gefühl, dass viele auf die Insel auswandern, weil es so einfach ist. „Sie wissen, dass sie hier nicht allein sind“, erklärt er. Die deutschsprachige Infrastruktur ist gut ausgebaut: Medien, Läden, Ärztezentren, Handwerker helfen dabei, sich am neuen Wohnort zurechtzufinden. Allerdings führe die große deutschsprachige Community auch dazu, dass viele Residenten selbst nach Jahren auf der Insel kein Spanisch oder Katalanisch sprächen. „Die meisten sind gewillt, einen Kurs zu machen, wenn sie hier ankommen, aber schaffen es am Ende doch nicht, die Sprache zu lernen“, sagt Stalter.

Wer nach Mallorca zieht, muss mit Hitze klarkommen und das nötige Kleingeld haben

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Die Sprachbarriere sei dabei nur eine der Schwierigkeiten. „Manche kommen, weil sich Deutschland in ihren Augen zu stark verändert hat, und denken, dass Mallorca noch eine heile Welt ist“, sagt er. Aber man dürfe nicht vergessen, dass auch die Insel ihre „Wehwehchen“ habe. „Mit der Hitze muss man leben können, zudem braucht man das nötige Kleingeld, um sich das Leben hier leisten zu können“, fügt Stalter hinzu. Mieten und Grundbesitz seien schließlich sehr teuer geworden.

„Einfach ist es nirgendwo“, fasst Stalter zusammen. Es gebe Leute, die nach kurzer Zeit wieder nach Deutschland zurückkehren. Andere zögen weg, wenn der Partner versterbe. Bei Stalter selbst ist das anders. Sein Sohn ist auf der Insel geboren und laut dem Vater „mehr Mallorquiner als Deutscher“. Inzwischen gibt es zwei Enkelkinder. Der 83-Jährige fühlt sich hier zu Hause, nach Deutschland zurückkehren will er unter keinen Umständen. „Ich habe hier schon mein Grab gekauft“, sagt er. Also doch so eine Art Auswanderer.