Mallorca Zeitung

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Auswandern mit Behinderung: Wie ein Mallorca-Liebhaber seinen Umzug auf die Insel plant

Wie lebt es sich als Mensch mit Behinderung auf Mallorca? Besser als in Deutschland, glaubt Bastian Krösche. Der auf Assistenten angewiesene Unternehmer bereitet gerade gewissenhaft den Umzug vor

Freut sich auf seinen neuen Lebensabschnitt auf Mallorca: Bastian Krösche. Privat

Wenn Bastian Krösche auf Mallorca mit dem Bus fährt, versucht er, mit seinem Rollstuhl so wenig wie möglich aufzufallen. Nicht immer gelingt ihm das. Einmal meinten es die Mitfahrer besonders gut mit ihm. Zusammen mit einem Freund wollte der Selbstständige mit eigener Mediaagentur in Deutschland im August in Palma eine Wohnung besichtigen. Dafür nahm er einen der Stadtbusse. Bei der vorletzten Haltestelle drehte sich Krösche mit seinem Rollstuhl schon einmal in Richtung Ausgang um, um beim nächsten Halt über die automatische Rampe möglichst rasch aussteigen zu können.

„Das haben viele Mitfahrer so gedeutet, als wollte ich schon raus. Entsetzt darüber, dass die Busfahrerin die Rampe nicht ausfuhr, riefen sie ganz laut ‚la rampa, la rampa‘. Sie haben sofort Stimmung in dem Bus gemacht, da war richtig Feuer bei den Leuten“, erinnert sich Bastian Krösche. Damit in dem EMT-Bus nicht noch mehr Chaos ausbrach und weil es sowieso nur noch eine Station bis zum Ziel gewesen wäre, beschlossen sein Freund und er, schon früher auszusteigen. So viel mitbürgerliches Engagement ist Krösche aus seinem Heimatland Deutschland nicht gewohnt.

Fast zwei Jahre in völliger Isolation

Der Umgang, den seiner Erfahrung nach viele Insulaner mit Menschen mit Behinderung pflegen, ist nur eine von vielen Dingen, die der 35-Jährige an Mallorca schätzt – aber eine sehr entscheidende. Nach zwei harten Corona-Jahren, die Krösche fast vollständig in Isolation verbrachte, hat der 35-Jährige Anfang des Jahres beschlossen, nach Mallorca zu ziehen.

Bastian Krösche kam zuletzt im August nach Palma, um zu sehen, wie er mit der Hitze klarkommt. Privat

Bastian Krösche kennt die Insel schon von zahlreichen Urlauben mit der Familie und Freunden, erinnert sich noch genau an einen Tanz im Kinderclub in einem Hotel in Font de Sa Cala. Dennoch will er sich nicht von den scheinbar nur reizvollen Aspekten Mallorcas blenden lassen. Also hat er bei einem einwöchigen Aufenthalt mitten in der Hochsaison kürzlich genauestens getestet, wie tauglich Mallorca für ihn und seine Behinderung ist.

Immer weniger „Bauarbeiter“

Krösche hat von Geburt an Spinale Muskelatrophie (Typ II), eine fortschreitende Muskelschwäche. „Vom Gehirn kommen, einfach erklärt, nicht ausreichend Impulse bei meinen Muskeln an, also verkümmern sie. Das ist so, als ob du jeden Morgen eine Truppe Bauarbeiter da hättest, aber niemanden, der ihnen sagt, was sie tun sollen. Jedes Mal werden es weniger, denn sie haben ja nichts zu tun“, erklärt Bastian Krösche.

Als Bastian Krösche fünf Monate alt war, merkten seine Eltern, dass etwas nicht stimmte. Eine Ärzte-Odyssee begann. Mit knapp einem Jahr gaben ihm die Mediziner nur noch ein Jahr zu leben. „Wir wünschen Ihnen noch ein schönes Jahr mit Ihrem Sohn“, habe ein Arzt zu seinen Eltern gesagt haben. Über 30 Jahre später lebt Bastian Krösche immer noch, voller Lebensfreude, aber auch mit deutlichen körperlichen Einschränkungen. Sein fester Begleiter ist etwa ein Elektrorollstuhl, mit dem er sich schon in Kindergarten-Zeiten anfreunden musste. „Ob Zähneputzen, Anziehen, Duschen oder wenn ich mein Handy aufladen oder den Computer anschalten will: Ich brauche bei allem Hilfe – außer beim Sprechen und Denken“, sagt Bastian Krösche und klingt dabei keineswegs so, als würde er für seine Behinderung bemitleidet werden wollen.

Rund um die Uhr auf Assistenten angewiesen

Dabei ist er rund um die Uhr auf Assistenten angewiesen. Auch während des Interviews klinkt er sich immer mal wieder kurz aus, lässt sich aufrechter hinsetzen. Aktuell helfen ihm elf Studenten der Hochschule in Illmenau (Thüringen), wo Krösche seit 2013 lebt und Medien- und Kommunikationswissenschaft studiert hat. Eine besondere Ausbildung brauchen sie nicht. Krösche ist schließlich kein Patient, betont er. „Das Medizinischste an mir ist meine Magensonde“, sagt er mit einem Lächeln auf den Lippen. Seit fast 20 Jahren ernährt er sich hauptsächlich von Flüssignahrung, denn auch zum Schlucken braucht es ja Muskeln. „Sonst bekomme ich das Essen wortwörtlich in den falschen Hals, was eine Lungenentzündung oder medizinische Eingriffe nach sich ziehen würde“, erklärt Krösche. Zu besonderen Anlässen, wenn er nicht auf das Geschmackserlebnis verzichten will, kann er auch über den Mund Nahrung aufnehmen. Dafür muss allerdings auch seine Tagesform passen.

Fragt sich, wie er mit all diesen Einschränkungen auf Mallorca klarkommen wird. Krösche antwortet mit einem Motto, das er schon seit Jahren befolgt: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, notfalls wird ein neuer angelegt.“ Man glaubt ihm sofort. Sobald er eine wirklich barrierefreie Wohnung gefunden und alle Details bezüglich seiner Rund-um-die-Uhr-Assistenz geklärt hat, soll es losgehen. Nach der Testwoche stehen schließlich alle Zeichen auf Grün.

Weiß auch schon, wo er auf Mallorca barrierefreie Strände findet: Bastian Krösche. Krösche

Wärme entspannt die Muskeln

Mit zwei Assistenten war er bewusst mitten in der Hochsaison auf der Insel, wollte auch ausprobieren, wie er die Hitze verträgt. „300 Sonnentage im Jahr sind für jemanden wie mich mit einer Muskelschwäche sehr verführerisch. Wenn es kalt wird, ziehen sich meine Muskeln zusammen und ich werde unbeweglicher“, erklärt der Unternehmer und Journalist. Doch zwischen „Sonnentag“ und Temperaturen während einer Hitzewelle liegen eben Unterschiede. „Wir hatten tagsüber oft 40 Grad. Ich will nicht abstreiten, dass ich das als ganz schön warm empfunden habe, aber das ist allemal besser als Kälte“, resümiert Krösche, der seine Garderobe vor seinem Umzug nach Mallorca noch mit jeder Menge langer, dünner Stoffhosen aufstocken will. „Ich zeige meine Beine nicht gerne“, sagt er.

Auswandern light

Egal, was man den 35-Jährigen fragt: Er antwortet stets wohlwollend, offen und präzise. Er hat sich seinen „Auswandern light“-Plan genau überlegt. Von Blauäugigkeit ist keine Spur. Auch deswegen standen für ihn während der Mallorca-Woche neben dem Hitzetest und Wohnungsbesichtigungen noch eine ganze Reihe anderer To-dos an. Wie barrierefrei sind öffentliche Einrichtungen und Geschäfte auf der Insel? Wird der Einkauf im Supermarkt mit dem Elektrorollstuhl zu einer Herausforderung? Inwiefern richtet sich das Personal im Restaurant nach ihm?

Allseits bemüht

„Es war eine sehr intensive Woche – zur teuersten Zeit, in der man überhaupt nach Mallorca kommen konnte. Aber das war es mir wert“, sagt Krösche, der immer wieder ins Schwärmen kommt, wenn es um die Insel geht. „Die kleine Insel im Mittelmeer macht einem der reichsten Länder in Sachen Barrierefreiheit und Umgang mit Menschen mit Behinderung etwas vor“, findet Krösche. Er wird nicht müde, Beispiele aufzuzählen.

Durchweg positive Erfahrungen

Im Hotel Costa Azul etwa, in dem seine Assistenten und er untergebracht waren, durfte er am ersten Abend mit der Köchin zum Plausch in die Küche. Dort besprachen sie, wie püriert und flüssig sein Essen sein muss. „Das Personal hatte teilweise auch extra etwas für mich vorbereitet, was gar nicht auf der Karte stand“, erinnert sich Krösche. An einem anderen Tag habe er in dem Sternerestaurant von Marc Fosh in Palmas Zentrum gegessen. „Das Restaurant ist in einem älteren Gebäude untergebracht. Es gab zwar eine Rampe, die war allerdings recht steil. Es war sofort jemand zur Stelle, der mir geholfen hat“, lobt Krösche.

Oft entsprächen Rampe und Hilfsmittel zwar nicht deutschem Standard, doch stets habe man eine Lösung parat, die funktioniert. Auch von den Utensilien, mithilfe derer Rollstuhlfahrer auf Mallorca an einzelnen Stränden ins Wasser kommen, schwärmt Krösche. „Es ist alles vorhanden, von Unterarmstützen bis hin zum Strandrollstuhl.“ Eine Bekannte von ihm sei kürzlich in einer Reha-Klinik an der Ostsee gewesen. „Dort gab es weit und breit keinen Strandrollstuhl, nicht einmal einen Weg, auf dem man mit dem Rollstuhl zum Strand kommt“, weiß Krösche, bei dem sogar die Altstadt von Palma wegen der vielen Bordsteinabsenkungen positiv wegkommt.

Wer hat eine barrierefreie Wohnung für Bastian Krösche?

Lediglich in Sachen barrierefreie Wohnungen hat er noch feine, aber entscheidende Kritikpunkte. Zwar sei man in Palma bemüht, in die alten Gebäude Aufzüge einzubauen, aber was Makler als barrierefrei anpriesen, sei es häufig nicht wirklich. Wenn er genauer nachfragte, wie breit und tief Aufzug und Türrahmen seien, platzte der Wohnungstraum oft schon vor der Besichtigung. „Wenn die Tür zum Badezimmer nur 68 Zentimeter breit ist, nützt es mir auch nichts, wenn dahinter eine ebenerdige Dusche ist. Um mit dem Rollstuhl durchzukommen, brauche ich mindestens 75 Zentimeter Breite, besser 80“, erklärt Krösche. Auch Aufzüge müssen neben dieser Breite für den Rollstuhlfahrer mindestens 1,30 Meter tief sein. Seine zukünftige Wohnung muss zudem mindestens zwei Schlafzimmer haben. Schließlich müssen auch seine Assistenten dort unterkommen.

Bastian Krösche an einem der barrierefreien Strände der Insel. Krösche

Assistenzkräfte vor Ort anstellen

Sein Assistenz-Dienstleister in Deutschland soll langfristig fünf bis sieben Assistenzkräfte vor Ort für ihn anstellen. Sie würden in drei Schichten (Früh-, Spät- und Nachtdienst) arbeiten und dürfen gerne auch spanischsprachig sein. Krösche wird zwar von Mallorca aus arbeiten, wird aber weiter im deutschen Gesundheitssystem gemeldet sein. „Meine Firma schickt mich quasi für zwei Jahre ins Ausland“, erklärt er.

Pressearbeit für Alex Engel

Ein paar Kunden und Bekannte hat er vor Ort schon. Schlagersänger Alex Engel etwa unterstützt er bei der Pressearbeit. Bei Klienten aus dem Gesundheitsbereich kann Krösche seine eigene Expertise als Betroffener einbringen. Und dann hat er für seinen neuen Lebensabschnitt noch ein anderes Projekt im Kopf. „Den Klassiker, den jeder Auswanderer macht: ein Café“, sagt Krösche, lacht, und wiegelt wenige Sekunden später wieder ab: „Ich bitte Sie, wie soll ich auf Mallorca ein Café aufmachen?“

Vielmehr schwebt ihm eine Website vor. Dort will er Gleichgesinnte mit Informationen versorgen, die sie brauchen, um sich wie er auf Mallorca wohlzufühlen: Maßen von Türen in Hotels, Adressen von passenden Mietwagen-Anbietern, Details zu barrierefreien Stränden. Dass Mut sich auszahlt, beweist Bastian Krösche obendrein.

Kontakt aufnehmen mit Bastian Krösche: 

IG: mallorca_mit_rollstuhl, Tel.: +49 176-23 45 18 89, E-Mail: bastian@kroesche.de, Blog: lebenmitpeg.de

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