Mallorca Zeitung

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MZ-Serie "Die anderen Auswanderer": Warum eine Gynäkologin aus Georgien in Palma de Mallorca deutsche Patientinnen betreut

Die georgische Ärztin Natia Kajelashvili zog mit Mann und Kindern erst nach Deutschland und dann nach Mallorca. Nun betreibt das Paar in Palma ein Restaurant mit Gerichten und Weinen aus der Heimat

Natia Kajelashvili mit Mann Dato Suladze, Sohn Sandro und Tochter Elene in ihrem Restaurant Modi. Nele Bendgens

Eine Gynäkologin aus Georgien, die sich in Palma um deutsche Patientinnen kümmert – das ist doch mal etwas Neues. Sogar Natia Kajelashvili selbst muss lachen, als sie das bei der Anfrage für ein Interview hört. „Da haben Sie recht“, sagt sie in perfektem Deutsch. Perfekt auch für ihren Arbeitsplatz in der Clínica Profemina, die sich auf deutsche Klientel spezialisiert hat. Doch Kajelashvili hat noch eine weitere Überraschung parat.

Hausbesuch in Santa Catalina, Carrer de Rossiñol, 8. Hier lebt die 41-jährige Ärztin aus Tiflis mit ihrer Familie. Aber die Tür, die sie nun öffnet, führt nicht zu ihrer Wohnung. Sondern in ein Restaurant. Es heißt Modi – das bedeutet: „Komm herein“. Dass sie mit ihrem Mann seit ein paar Monaten auch ein georgisches Restaurant betreibt, hatte sie zuvor nicht erzählt. „Natia ist die beste Köchin“, sagt Dato Suladze, der eigentlich Informatiker ist. „Alle Gerichte auf unserer Speisekarte wurden von ihr kreiert.“

Vor 22 Jahren haben die beiden sich bei einem Urlaub am Schwarzen Meer kennengelernt, da wohnten sie noch in Tiflis. „Das Leben in Georgien war eigentlich super“, so Kajelashvili. „Viele Freunde, gutes Wetter, wir hatten viel Spaß.“ Beruflich aber sah es nicht so gut aus. „In der Zeit nach meinem Studium war das Gesundheitswesen ruiniert“, erzählt sie. „Es gab nur noch eine Akutversorgung. Man ging zum Sterben ins Krankenhaus.“

Georgien versank nach dem Ende der Sowjetunion in Chaos

Auch die unruhigen Zeiten ihrer Kindheit werden beide nie vergessen. Vor allem Anfang der 90er-Jahre. „Kein Wasser, kein Strom, kein Fernsehen“, erinnert sich Dato. „Wir haben bei Kerzenlicht Hausaufgaben gemacht.“ Zu Zeiten von Glasnost und Perestroika in der ehemaligen Sowjetunion hatte sich Georgien am 9. April 1991 für unabhängig erklärt – noch vor dem Augustputsch in Moskau. „Dafür hat uns Russland bestraft, für diese Schuld müssen wir noch heute büßen“, so der 38-jährige Suladze.

Der junge Staat versank im Chaos. Die Wirtschaft brach zusammen, es folgten ein Bürgerkrieg und zwei Separationskriege: Die Regionen Südossetien und Abchasien sagten sich von Georgien los, sind bis heute unter russischer Kontrolle. „Unsere Zukunft war damals sehr dunkel und unklar“, sagt Natia Kajelashvili. „Aber unsere Eltern waren weitsichtig. Sie investierten alles in unsere Bildung und machten uns klar: Man hat nur eine Chance im Leben, wenn man etwas wirklich kann.“

Tochter Elene liebt es zu tanzen, besonders Ballett.

Tochter Elene liebt es zu tanzen, besonders Ballett. Nele Bendgens

Natia Kajelashvili will unbedingt Ärztin werden, eifert dem Vorbild der Mutter nach. „Sie war Professorin für Pathologie an der Uni in Tiflis“, so Kajelashvili. „Aber auch meine Oma, meine Tante und mein Onkel waren Ärzte. Das hat dann wohl abgefärbt.“ Also kniet sie sich voll in ihr Medizinstudium, lernt sogar den ganzen Stoff auf Englisch. Da die georgischen Lehrbücher völlig veraltet sind, kopiert sie sich die aktuellen aus den USA. „Insgesamt war die Ausbildung extrem schlecht. Es gab kaum Patienten, wir hatten keine Praxis, und die Ärzte sahen uns Studenten als Konkurrenz.“ Den beiden ist seit Langem klar: Sie müssen hier weg.

Dass es dann nach Deutschland geht, ist kein Zufall. Die Basis hatte Natias Mutter schon während ihrer Schulzeit gelegt: „Sie schickte mich zusätzlich zu einer Deutschlehrerin“, erzählt Kajelashvili. „Damit ich eines Tages dorthin auswandern kann.“ 2008 ist es so weit: Sie hat einen Platz an der Uni Marburg. Zwar wird ihr nicht alles anerkannt, und sie muss noch mal etwas nachstudieren. Doch schon ein Jahr später hat sie das deutsche Staatsexamen in der Tasche, sogar mit einer Eins plus.

Ausbildung zur Fachärztin an einer Klinik in Kassel

Ihre Ausbildung zur Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe absolviert sie in einer Klinik in Kassel, wird dort Oberärztin, arbeitet parallel in einer Praxis und später als Honorarärztin. „Letzteres mache ich sogar immer noch“, sagt sie. „Einmal im Monat fliege ich für ein Wochenende nach Deutschland, bin dort hauptsächlich im Kreißsaal. Ich liebe es, Babys auf die Welt zu holen!“

Bleibt nur die Frage, wie sie das alles schafft, schließlich hat sie selbst zwei Kinder. Tochter Elene ist elf, Sandro, noch in Tiflis geboren, 16 Jahre alt. Zumal ihr Sohn auch noch Profifußballer werden will. Darum kümmert sich vor allem ihr Mann. Sandro spielt beim SD La Salle und trainiert neunmal die Woche, zum Teil weit außerhalb von Palma. „Hauptsächlich im Fussi-Camp, der Torwartakademie von Holger Gehrke in Cala Millor“, erzählt Dato Suladze, der seinen Sohn seit Jahren durch die Gegend fährt. „Da kommen schon mal 35.000 Kilometer im Jahr zusammen.“

Sandro Suladze will Profifußballer werden – und trainiert dafür neunmal die Woche

Sandro Suladze will Profifußballer werden – und trainiert dafür neunmal die Woche Nele Bendgens

Sandro betritt das Restaurant, dabei ist es noch gar nicht Mittag. Von der spanischen Schule in Palma, auf die er und seine Schwester gehen, bekam das Fußballtalent eine Sondergenehmigung: Er besucht den Unterricht nur ein bis zwei Stunden am Tag für die wichtigsten Fächer. Und für das Abitur hat er vier, statt zwei Jahre Zeit. „Geh schon mal hoch“, sagt sein Vater zu ihm, „ich komme gleich nach.“

Dato Suladze will unbedingt noch die Geschichte des Restaurants erzählen. „Ursprünglich war hier eine typisch mallorquinische Bar, das ‚Por qué no‘, aber das lief nicht mehr gut. Und als ich mitbekam, dass die Besitzerin es loswerden wollte, hab ich gedacht: jetzt oder nie“, erzählt er. Bis auf ein paar der Holzvertäfelungen hat das Paar das Lokal komplett renoviert und mit restaurierten Secondhand-Möbeln bestückt. Und mit vielen Einzelstücken aus ihrer Heimat. „Ich weiß nicht, wie viele Kisten wir hierhergeschafft haben“, sagt Natia Kajelashvili, „bemalte Wandteller, alte Gläser, Bücher, eingelegte Mirabellen und Wein.“ Einige Kunstwerke wie die Meeres- und Boots-Bilder der ukrainischen Künstlerin Katrin Starostenko aus Puigpunyent runden die Einrichtung ab.

Die georgische Küche

Doch das Wichtigste ist natürlich die georgische Küche. „Wir benutzen viel von unserem einheimischen Käse. Zudem Walnüsse und viele Gewürze, die nur in Georgien vorkommen“, erklärt Natia Kajelashvili. Zum Beispiel für Pjali, die georgische Variante der spanischen Tapas. Ihre Spezialität ist Khachapuri, eine Art Brot-Schiffchen, gefüllt mit Suluguni-Käse und Ei. „Und was den georgischen Wein betrifft, darüber könnten wir stundenlang erzählen“, schwärmt Kajelashvili. „Es gibt über 500 Traubensorten, und unser Wein wird immer noch mithilfe einer uralten Methode in einer riesigen Keramik-Amphore hergestellt.“

Dato und Natia genießen den Rotwein Saperavi und die Nachspeise Churchkhela – Walnüsse mit verdicktem Weintraubensaft. Nele Bendgens

Im Modi gibt es den georgischen Wein natürlich auch zu probieren. Also alles wie in der Heimat? „Nein“, sagt Dato Suladze. „Denn die Arbeitseinstellung, die haben wir mitgenommen aus Deutschland.“ Viermal schon musste er Mitarbeitern kündigen, da Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit zu wünschen übrig ließen. „Das haben wir einfach in den 13 Jahren Deutschland gelernt, dass so etwas nicht geht.“

Beste Möglichkeiten für die Fußballkarriere

Zuletzt lebte die Familie in Duisburg. Sie möge das Ruhrgebiet, sagt Kajelashvili, nicht zuletzt der vielen Flughäfen wegen. Beide Kinder waren glücklich in der Schule, Sandro hatte die besten Möglichkeiten für seine Fußballkarriere. Doch dann kam Corona, Lockdown, nichts ging mehr. Natia Kajelashvili hatte einen systemrelevanten Beruf, der sie oft an ihre Grenzen brachte. „Ich hingegen saß zu viel zu Hause“, erinnert sich ihr Mann. „Bei Netflix hatte ich schon alles durch, es stand mir bis obenhin. Dann sah ich ‚Goodbye Deutschland‘ auf Vox.“ In Mallorca hatte sich die Familie bereits vor Jahren im Urlaub verliebt. Die Insel erschien ihnen ideal. „Nicht nur, weil sie wunderschön ist, sondern weil Sandro hier auch die besten Trainingsbedingungen hat“, so Dato Suladze. „Also begann ich zu recherchieren, wie auch wir dorthin auswandern können.“

Doch selbst wenn man jeden der Schritte kennt, die für den Sprung in ein neues Leben notwendig sind: Ein bisschen Glück gehört natürlich auch dazu. In diesem Fall die nette Kollegin, der Natia bei einer Dienstablösung von ihren Plänen erzählte. „Nach meiner Schicht hatte sie mir ein Foto geschickt: die Stellenanzeige von der Clínica Profemina. Und ab da hat einfach alles gepasst.“

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