Ein Dichterfürst ("Laureate") ist der britische Schriftsteller Robert Graves sicherlich gewesen. Der so betitelte Film, der am 2.11. den Abschluss des zehnten Evolution Mallorca International Film Festival bildet, richtet den Fokus jedoch auf dessen Privatleben Mitte der 1920er-Jahre, bevor er sich in Deià niederließ.

Regisseur William Nunez (53) war in den USA bislang für TV-Programme, Werbespots und Dokumentationen bekannt und gibt jetzt sein Spielfilm- Debüt. Im MZ-Gespräch erzählt er, welche Themen ihn bei der Geschichte reizten, was ihm half, den knappen Zeitplan mit 22 Drehtagen einzuhalten, und welche Parallelen er zwischen Robert Graves und John Lennon sieht.

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Der Regisseur und Graves-Fan William Nunez (53).

Der Regisseur und Graves-Fan William Nunez (53). EMIFF

Was bedeutet es Ihnen, dass „The Laureate“ beim Evolution Mallorca International Film Festival Weltpremiere feiert und sogar als Abschlussfilm ausgewählt wurde?

Das ist grandios! Zuerst wurde unser Film beim Festival angenommen. Und ich wollte explizit, dass er dort mindestens seine Europapremiere feiert – allein schon wegen der Symbolik von Robert Graves’ Verbindung zu Mallorca. Ich glaube, das ist auf weltweiter Ebene ein guter Startpunkt für „The Laureate“. Als man mir dann mitteilte, dass er auch noch zum Abschlussfilm des Festivals gekürt wurde, war ich vor Stolz auf die Arbeit der Schauspieler und der Crew völlig überwältigt.

Sie sagten einmal, Robert Graves sei Ihr Lieblingsschriftsteller. Was fasziniert Sie an ihm besonders?

Ich mag die Art und Weise, wie seine Poesie ein Gefühl von Sehnsucht, Verlust und Liebe vermittelte – und zwar in einer Form, die jeden anspricht. Außerdem fasziniert es mich, was jemanden dazu antreibt, kreativ zu sein. Das ist das Thema von „The Laureate“, aber auch ein Thema, auf das Robert Graves selbst in seinem Werk immer wieder zu sprechen kam. Er glaubte an eine Art von Muse oder eine höhere Macht, die Künstler zu ihrem Wirken inspiriert.

Warum haben Sie sich entschieden, die Dreiecksbeziehung von Robert Graves, seiner Frau Nancy Nicholson und der Poetin Laura Riding in den Mittelpunkt zu stellen?

Oh, es ist alles so dramatisch, nicht wahr? (lacht). Das ist wohl der Grund dafür. Das Lustige ist, viele Leute haben zu mir gesagt: „Ich kann nicht glauben, dass das damals passiert ist, es ist so schockierend!“ Und ich antwortete: „Das würde heute noch genauso schockieren.“ Robert ist ein verheirateter Mann mit Kindern, der im ländlichen England lebt, weit weg von London und seinem Freundeskreis. Seine Ehe ist am Ende. Und dann taucht plötzlich diese Amerikanerin auf, die selbst einen einzigartigen Schreibstil hat und genauso mit Problemen belastet ist, und aus irgendeinem Grund spürt er eine Verbindung zu ihr. Das inspiriert ihn, wieder zu schreiben, und zwar auch eine Art von Gedichten, die sich nicht mehr nur mit dem Ersten Weltkrieg und dem Tod befassen. Das genügt ihm nicht mehr. Laura Riding steckt voller Energie. Aber sie beide müssen sich literarisch neu erfinden. Es geht darum, sich bewusst zu machen, wohin einen der eigene Weg führen soll. Das ist ein bisschen wie bei mir, da ich nun Spielfilme drehe. Aber hoffentlich bleiben mir dabei große Dramen wie Menschen, die sich aus dem Fenster stürzen, erspart. (Laura Riding sprang 1929 aus dem Fenster, als die Liebesverwicklungen zu schmerzhaft wurden, und überlebte den Sturz, Anm. d. Red.)

Rückt beim Fokus auf das Liebesleben die künstlerische Produktion der Protagonisten in den Hintergrund?

Ich habe mich im Film nicht so sehr darauf konzentriert, Robert beim Schreibprozess zu zeigen. Tatsächlich sieht man das nur am Ende, als er „Goodbye to All That“ niederschreibt. Aber ich nutzte Gedichte als Voiceover, die reflektieren, was in der Geschichte passiert. So können die Zuschauer eine Verbindung herstellen zu dem, was er in der Zeit literarisch hervorbrachte, als sich dieses Drama entwickelte, und zu den Gefühlen, die er hatte – gegenüber dem Krieg oder seiner Ehe, aber auch zu der Liebe zu Laura Riding oder der Eifersucht, als sie sich für jemand anderen interessierte.

Zeigen Sie deutlich, dass Laura Riding mehr als Muse und Geliebte, sondern vielmehr selbst eine große Dichterin war?

Ja, und ich thematisiere auch die Hindernisse, die ihr als Frau in den Weg gelegt wurden. Denn sie wurde von der literarischen Elite ihrer Zeit in London nicht ernst genommen. Das war auch der Grund dafür, weshalb Robert mit Laura nach Hammersmith zog. Die Distanz zum Zentrum London ist heute nicht mehr der Rede wert, aber vor hundert Jahren hätte man genauso gut auf dem Mond wohnen können. Sie umgaben sich dort mit einem Kreis von Gleichgesinnten, wie später auch in Deià. Diese respektierten Laura, alles drehte sich um sie – aber eben auf eine Weise, die eher underground war.

Wie interpretiert Tom Hughes die Rolle des Robert Graves?

Tom zeigt ein ehrliches Porträt von Robert. Wir überlassen es den Zuschauern, ob sie Mitleid mit ihm empfinden, ihn mögen oder nicht mögen. Er ist ein sehr komplizierter Mann. Und schlussendlich muss man verstehen, dass er ein Mann ist, der die Entscheidung trifft, seine Frau und seine Kinder für eine andere Frau zu verlassen. Das lässt sich einem durchschnittlichen Filmpublikum nicht so leicht schmackhaft machen. Worüber ich mit Tom in unseren ersten Diskussionen sprach: Die Situation ist ähnlich wie bei den Beatles. Auch John Lennon war verheiratet und hatte Kinder, und auch seine Ehe war quasi am Ende. Er traf diese Frau, Yoko Ono, die ihn inspirierte, und wurde durch sie zu einem anderen Songwriter und Künstler. Nicht alle mochten diese Veränderung.

Die Hauptdarsteller kannten sich schon vorher und waren befreundet. Wie wichtig war das für die Energie am Set?

Dass sie sich miteinander so wohlgefühlt haben, war extrem hilfreich dabei, den knappen Zeitplan von 22 Drehtagen einzuhalten. Und was großartig war: Sie nahmen auch Fra Fee, der den irischen Dichter Geoffrey Phibbs spielt, in ihren Kreis auf und unterstützten sich gegenseitig. Viele wissen nicht, dass aus dem Liebesdreieck ein Viereck wurde, weil mit Phibbs noch eine vierte Person hineingezogen wurde.

Filmbiografien sind immer ein Gleichgewichtsakt zwischen Fakten und Fiktion. Wie sieht diese Mischung bei „The Laureate“ aus?

Das Wichtigste ist, die Essenz der Person zu verstehen. „The Laureate“ zeigt meine Wahrnehmung von Robert, gewisse Dinge muss man außen vor lassen. Zum Beispiel korrespondierten er und Laura etwa ein Jahr lang miteinander. Das zu zeigen, würde ewig dauern und wäre sehr langweilig. Aber im Großen und Ganzen bleibe ich nah an dem, was wirklich geschah.

Haben Sie sich Rat und Unterstützung bei Robert Graves’ Sohn William geholt?

Ja, ich habe ihn schon vor vielen Jahren um die Rechte an den Gedichten gebeten und sie auch bekommen. Das war ganz entscheidend, denn man kann keine Geschichte über Robert Graves erzählen, ohne einige seiner wunderschönen Worte zu hören. Was ergäbe das für einen Sinn? William Graves hat mich sehr unterstützt. Tatsächlich gab er mir sogar Kopien von Roberts Tagebüchern zu lesen. Die entstanden zwar erst in Deià, also später, aber sie gaben mir wertvolle Einblicke in seine Gedanken und zeigten mir, wie groß Laura Ridings Einfluss auf ihn war. Denn sie las sein Tagebuch und ergänzte es. Deshalb musste er höllisch aufpassen, wenn er etwas Kritisches über sie schrieb.