Mallorca Zeitung

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Sant Antoni für Fortgeschrittene: Was macht die Essenz des Volksfestes aus?

Diese Frage stellte die MZ drei Protagonisten an drei Schauplätzen auf Mallorca: dem „Dimoni Gros“ aus Manacor, dem Darsteller des Sant Antoni aus Artà sowie dem mit Tiersegnungen betrauten Priester aus Muro.

Die Tiersegnungen in Muro sind das Higlight am 17. Januar B. Ramón

Wenn Antoni Puig zu tanzen beginnt, dann toben die Massen. Wenn er durch die Straßen zieht, dann folgen ihm Tausende. Erpicht darauf, einen Schnappschuss mit ihm zu erhaschen – oder einen angedeuteten Stoß des großen Stocks abzubekommen, den Puig durch die Luft schwingt. Zu den Sant-Antoni-Feierlichkeiten, die Mallorca Mitte Januar wie ein Fieber ergreifen, verwandelt sich der 60-Jährige seit nunmehr 39 Jahren in den „Dimoni Gros“, den „Großen Teufel“ und somit in die Figur der Fiesta in Manacor, um die sich alles dreht. Zwei Tage lang wird der Mallorquiner zum lokalen Superstar, auf den jeder wartet, den alle feiern. Dabei ist er für Außenstehende nicht mehr als ein Mann mit behörnter Maske. Der Hype um Sant Antoni – er erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Ein Erklärungsversuch anhand derer, die die Hauptrollen spielen.

Der Oberteufel

Seit fast 40 Jahren der Dimoni Gros in Manacor: Antoni Puig

Seit fast 40 Jahren der Dimoni Gros in Manacor: Antoni Puig Sophie Mono / Montage: Lola Humanes

Antoni Puig ist im wahren Leben nicht unbedingt das, was man als einen Bösewicht bezeichnen würde. Er ist gepflegt, kommunikativ, zuvorkommend. Und ohne die dunkle Teufelsmaske, die rote Schärpe und den beigen Ganzkörperanzug schürt er bei den Anwohnern auch nicht das Verlangen, ihm zuzujubeln wie einem Superhelden. Trotzdem: Auch in zivil und an einem normalen Tag kann Antoni Puig kaum 100 Meter durch Manacors Innenstadt gehen, ohne angesprochen zu werden. Er kennt fast jeden, und fast jeder kennt ihn. Weil seine Familie über Generationen hinweg in der Hauptstadt des Inselostens ansässig ist. Weil er eines der bekanntesten Hotels in der Region, das Biomar in Sa Coma, leitet, dessen Spa-Bereich auch von Einheimischen frequentiert wird. Aber eben auch, weil die meisten wissen, dass er es ist, der seit fast vier Jahrzehnten am 16. und 17. Januar die Stadt aufmischt.

„Nein, so ist es nicht, es geht ja nicht um mich persönlich“, wehrt Antoni Puig bescheiden ab. „Die Aufgabe des Dimoni Gros ist es, die Leute zum Feiern zu motivieren, die Stimmung anzuheizen, zu helfen, dass sie sich amüsieren. Solange man dem verantwortungsbewusst und mit Respekt nachkommt, ist es egal, wer unter der Maske steckt.“

Zumindest, so lange alles gut geht. Während sich die Massen ausgelassen und mit reichlich Alkohol im Blut treiben lassen, trinkt Puig nur Wasser. Ständig hat er die Uhr im Blick, bedenkt, in welchen Stadtvierteln und an welchen Freudenfeuern er noch vorbeischauen muss. Auch körperlich ist die Aufgabe anspruchsvoll.

Rennen, tanzen, erschrecken, jagen – und das über Stunden: Am 16. Januar dauert sein Auftritt von 14 Uhr am Mittag bis um 4.30 Uhr am nächsten Morgen. Am Folgetag ist der Dimoni Gros weitere elf Stunden unterwegs. „Man muss sich seine Kräfte gut einteilen, anders geht es nicht“, sagt Puig. Zumal das Rampenlicht auch immer ein Balanceakt ist. „Man steht ständig unter Beobachtung und erntet natürlich auch Kritik. Man will ja niemanden enttäuschen, allen Beachtung schenken und auf keinen Fall schlappmachen. Der Dimoni Gros ist den Leuten wichtig.“

Ende der 90er-Jahre bis etwa 2010 sei das noch anders gewesen, da hätten sich hauptsächlich die älteren Generationen eingebracht. Damals hätte auch niemand gerne die Teufelsrolle übernommen. „Ich sagte nur zu, weil es in der Familie lag und ich meinem Onkel einen Gefallen tun wollte“, sagt Antoni Puig.

Der Hype der vergangenen Jahre, der in Manacor wie auch in allen anderen Sant-Antoni-Hochburgen bis vor der Corona-Zwangspause zu beobachten war – immer größer, immer wilder, immer bunter und immer lauter wurde das Fest – sei durchweg erfreulich. „Es ist wie ein Fieber, ein Kult, und schön zu sehen, wie die alten Traditionen neu aufleben und alle Altersgruppen ansprechen“, findet er.

Natürlich spiele dabei auch Alkohol eine Rolle. „Aber die Leute trinken, um zu feiern und Spaß zu haben, nicht um Probleme zu machen. Und alle kümmern sich umeinander, falls doch mal einer zu tief ins Glas geblickt hat.“ Alle Anekdoten, die er im Laufe der Jahre erlebt habe, seien positiv, er erinnere sich an nichts Negatives, sagt Antoni Puig.

Es gehe bei Sant Antoni auch weniger um Teufel und Heilige, um Gut und Böse, sondern um Teilhabe. „Alle können Akteure sein, alle können sich auf ihre Art einbringen. Durch Musik, durch Essen, durch schöne Dekoration oder die Freudenfeuer. Das ist es, was das Fest wirklich ausmacht.“ Die Essenz von Sant Antoni, das sei die individuelle und geteilte Freude – und letztendlich am besten zu verstehen, wenn man auch selbst dabei ist.

Der Heilige

José Antonio Amer war spielte jahrelang den Sant Antoni in Artà.

José Antonio Amer war spielte jahrelang den Sant Antoni in Artà. Pere Joan Oliver

Ein bisschen Besinnung aufs Spirituelle, viel Wirbel um das „Böse“, das neben dem Guten irgendwie in uns allen steckt, und ganz viel Lust auf Gemeinschaft und Ausgelassenheit – auch in Artà scheint diese Mischung der Schlüssel zum Erfolg zu sein. „Die Stimmung zu Sant Antoni hat etwas Intimes, das die Einheimischen zusammenschweißt und an unsere Wurzeln erinnert. Dass wir es gleichzeitig auch schaffen, Leute aus Palma und anderen Regionen anzulocken und zu begeistern – umso besser. Jeder ist willkommen. Wer mitmachen möchte, kann es tun“, findet auch José Antonio Amer aus Artà. Von 1993 bis 2017 schlüpfte er Jahr für Jahr in seinem Heimatdorf in die Rolle des Heiligen Antonius, dem Gegenspieler der Teufel, der den Feierlichkeiten als Namensgeber dient.

Wie anstrengend das Fest für die Protagonisten ist, davon weiß auch José Antonio Amer zu berichten. Auch er nahm seine Aufgabe, die Fiesta voranzutreiben, stets ernst. Bis ihn eine Krankheit zwang aufzuhören. „Die Maske ist sehr eng, man kann darunter kaum atmen, muss sich sehr viel bewegen. Wenn man nicht richtig fit ist, kann man all dem, was von der Rolle erwartet wird, nicht gerecht werden“, berichtet er. Der heute 47-Jährige trat deswegen 2018 zurück. Seitdem schaut er als einer von vielen zu, wie sein jüngerer Bruder Toni am 17. Januar die braune Mönchskutte überwirft und sich mit den Teufeln inmitten der Menschenmassen einen Kampf liefert, den der Heilige traditionsgemäß letztlich immer gewinnt. „Jetzt kann ich die Stimmung wenigstens richtig erleben“, sagt José Antonio Amer.

Schon im Morgengrauen treffen sich vor allem junge Leute auch aus anderen Orten der Insel, der mitgebrachte Alkohol fließt in Strömen – und so mancher Halbstarker ist schon am Mittag vollkommen hinüber. „Alkohol hat auf jeden Fall zu viel Protagonismus an Sant Antoni. Aber das ist ja leider bei fast allen Feiern so“, bedauert Amer. Er befürchtet, dass dieses Jahr alles noch ausufernder werden könnte als sonst. „Nach der Corona-Zwangspause sind alle wie verrückt aufs Feiern. Es wird brutal“, prophezeit er. Im Guten wie im Schlechten.

Noch vertritt ihn sein Bruder nur. Im Laufe dieses Jahres werde er entscheiden, ob er die Rolle für immer abgeben muss. Es wäre das Ende einer Ära – gerade auf persönlicher Ebene. „Früher spielte mein Vater den Sant Antoni.“ Er starb 1992, da war José Antonio gerade einmal 16 Jahre alt. „Im Jahr darauf fragte mich unser Nachbar, der im Organisationsteam war, ob ich die Aufgabe meines Vaters übernehmen will.“ Natürlich wollte er. „Es ist eine Ehre, weiterzuführen, was mein Vater geliebt hat“, sagt José Antonio Amer, der bis zu seiner Erkrankung im Baugewerbe tätig war. Er ist ein einfacher Mann, handwerklich begabt, bodenständig, zuverlässig. Im Dorf verwurzelt, ohne viel Aufhebens darum zu machen. „Aber ein Heiliger bin ich nicht, deswegen haben sie mich nicht ausgewählt“, sagt er und lacht.

Der Pfarrer

Segnet seit sieben Jahren Tiere in Muro: Pfarrer Pere Gerard Bestard

Segnet seit sieben Jahren Tiere in Muro: Pfarrer Pere Gerard Bestard Sophie Mono / Montage: Lola Humanes

„Kein Kind will sich als Heiliger Antonius verkleiden, alle sind verrückt nach den Teufeln“, sagt Pere Gerard Bestard und wiegt nachdenklich den Kopf. Er ist einer der Pfarrer, die für die Pfarrgemeinde Sant Joan in Muro verantwortlich sind und auf die am 17. Januar die ganze Insel blickt. Seit sieben Jahren übernimmt Bestard die beneïdes in Muro, die Tiersegnungen, die in keinem anderen Ort der Insel so groß und beeindruckend ausfallen – und das am Tag nach den wilden Teufelsfeiern. Tausende Schafe werden dann durchs Dorf getrieben, um einen Spritzer des Weihwassers abzubekommen, das der Geistliche großzügig verteilt. Auch Pferde oder Schweine, aber natürlich auch Haustiere, die von ihren Besitzern zur Kirche gebracht werden, sollen von Bestard gesegnet werden. Schließlich ist der Heilige Antonius der Schutzpatron der Tiere.

Auch bei diesem zweifellos religiösen Aspekt der Fiesta nimmt der Erlebnischarakter zu: Längst sorgen nicht nur die vielen Tiere in Muro für Aufmerksamkeit, sondern auch die bunten und aufwendig gestalteten Wagen, die zu den beneïdes durchs Dorf fahren – und oft keinerlei religiösen Hintergrund haben. „Manchmal sage ich aus Spaß, mit Sant Antoni beginnt die Karnevalszeit“, sagt Bestard. Tausende Menschen kommen am Nachmittag des 17. Januar zu den Segnungen, die durch die Umzüge und Volkstänze weiter aufgepeppt werden. „Aber bei der Messe am Morgen schaffen wir es nicht, die Kirche gänzlich zu füllen“, bedauert Bestard, ohne Bitterkeit in der Stimme.

Sobald er ein wenig auftaut, entpuppt sich der 73-Jährige als durchaus freundlicher Mensch, der längst akzeptiert hat, dass die Kirche auch auf Mallorca nicht mehr denselben Stellenwert hat wie noch vor einigen Jahrzehnten. Er macht sich keine Illusionen: „Viele feiern Sant Antoni, ohne dass der Glauben für sie im Vordergrund steht.“ Aber ein bisschen hoffe er als Vertreter der Kirche natürlich dennoch, dass sich der eine oder andere durch die ursprünglich religiös geprägte Feier wieder auf den Glauben besinne.

Unter anderem deshalb will Bestard dafür kämpfen, dass die Tiersegnungen in Muro – ohne den bunten Zusatz drum herum – zum immateriellen Kulturgut erklärt werden. „Damit wir nicht das verlieren, worum es eigentlich geht. Schließlich war es im 19. Jahrhundert ein kirchlicher Verein, der die Sant-Antoni-Feiern in der Kirche in Muro, aber auch draußen veranstaltete. Und es geht bei alledem um den Kampf zwischen Gut und Böse – ein durch und durch religiöses Element.“

Doch auch Bestard, selbst Urmallorquiner, steht dem Spektakel letztlich wohlwollend gegenüber – obwohl die Kirche vom Protagonisten zum Nebendarsteller geworden ist. „Warten Sie, irgendwo habe ich doch ein Foto“, sagt er und sucht minutenlang eifrig in der Galerie seines Smartphones, bis er auf eine Aufnahme stößt, die einen der gestalteten Wagen zeigt. Zu sehen ist die Dorfkirche in einem metergroßen, liebevoll gestalteten Modell, wie sie beim beneïdes-Umzug 2018 auf einem Wagenanhänger am echten Gotteshaus vorbeigefahren wird. „Ist das nicht toll gemacht? Und das waren keine Kirchenleute, die das gestaltet haben, sondern Mitglieder einer kulturellen Vereinigung aus dem Ort“, sagt Bestard.

Auch über das Plakat, mit dem Muro dieses Jahr für die Sant-Antoni-Feierlichkeiten wirbt, kann er sich freuen wie ein Kind über Weihnachtsgeschenke: Zu sehen ist – anders als auf fast allen anderen Entwürfen, die beim Plakatwettbewerb eingereicht wurden – kein Teufel, sondern ein Schaf mit dem typischen Antoniuskreuz am Hals, das von einer angedeuteten Hand mit Weihwasser gesegnet wird. Genug religiöse Anspielungen, um den Geistlichen versöhnlich zu stimmen. „Jeder hat seine eigenen Gründe, Sant Antoni zu feiern. Aber letztlich ist es schön, dass so viele Menschen das Ereignis miteinander teilen.

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