Die Rampe im Eingangsbereich des am Paseo Mallorca in Palma gelegenen Wohnhauses ist schön lang und flach. Doch was ist mit dem dahinter liegenden, einzigen Aufzug des sechsstöckigen Gebäudes? Ist er breit und tief genug, damit Bastian Krösche mit seinem Rollstuhl hineinkommt? Die Maße, die die Maklerin während eines Video-Anrufs im Dezember live ausgemessen hat, sagen: 1,07 Meter Tiefe. Das ist eigentlich zu knapp. Für Bastian Krösche, der aufgrund einer fortschreitenden Muskelschwäche (Spinale Muskelatrophie Typ II) auf einen Elektrorollstuhl angewiesen ist, steht nun Zentimeter-Arbeit an. Wenn die Tür nicht schließen kann, gibt es für den angehenden Mallorca-Resident (MZ berichtete) keine Möglichkeit, die über 200 Quadratmeter große Wohnung im 5. Stock zu bekommen, die er am Montagabend (9.1.) besichtigt. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Besichtigung schon am Aufzug scheitert.

Knappe Kiste: Rückwärts passt Bastian Krösche zusammen mit Micha Weiße geradeso in den Aufzug. Bendgens

Bastian Krösche probiert es vorwärts. Mithilfe seines Assistenten, der ihn einweist, kommt er nach etwa zwei Minuten gerade so hinein. Doch hinten steht zu viel über. Die Tür geht nicht zu. Also noch einmal raus und rückwärts wieder hinein. Fünf Minuten später steht Krösche mit seinem Elektrorollstuhl leicht quer im Aufzug. Den Wärmesack und die Füße muss Assistent Micha Weiße noch etwas zurechtdrücken. Doch dann ist sogar für ihn noch etwas Platz im Aufzug. Gut, denn auch bei der Aufzugfahrt ist Bastian Krösche auf ihn angewiesen. „Nur fürs Sprechen und Denken brauche ich keine Hilfe“, stellt der stets optimistische 35-Jährige klar.

Aufzug-Knopf ist zu weit oben angebracht

Seine Hände sind aufgrund seiner Behinderung nahezu unbeweglich. Doch selbst wenn er sie bewegen könnte, wäre er wohl nicht an die Aufzug-Knöpfe gekommen. „Damit der Aufzug barrierefrei ist, müsste der Knopf viel tiefer angebracht sein“, kommentiert Bastian Krösche, bevor ihn der ascensor in den fünften Stock bringt.

Von wegen barrierefrei

Schon seit Juli 2022 sucht der Selbstständige mit Mediaagentur eine Bleibe auf Mallorca. Er will bald fest auf der Insel leben. Rund 2.000 Wohnungen hat er in den einschlägigen Portalen schon genauestens unter die Lupe genommen. „Es gibt zwar einen ‚Barrierefrei‘-Filter, doch den kann man sich eigentlich schenken. Ich habe einige Wohnungen angeschaut, die vermeintlich barrierefrei waren, und dann gab es eine Stufe vor der Duschkabine oder sogar lediglich eine Badewanne“, so Krösche, der sich vor allem die Bilder der Anzeigen akribisch genau angeschaut hat.

Böse Überraschungen bei Besichtigungen

Bei einem Inselbesuch im August besichtigte er erstmals vier Wohnungen und erlebte dabei auch live einige böse Überraschungen. „Oft war schon der Flur zu eng, sodass ich nicht zum Schlaftrakt oder am Ende um die Ecke gekommen wäre.“ In einer anderen Wohnung hätte der Besitzer eine Glaswand im Bad entfernen lassen müssen, damit Platz für seinen Lifter gewesen wäre. Mit ihm hieven ihn seine Assistenten vom Rollstuhl auf die Toilette oder in die Dusche. „Der Vermieter wollte die Wand nicht wegmachen“, sagt Bastian Krösche.

In der geräumigen Küche hat Bastian Krösche viel Platz. Nele Bendgens

Zweiter Anlauf

Nun kam Krösche erneut auf die Insel, um sich hier Wohnungen anzuschauen. Je mehr er im Laufe der Woche besichtigte, desto mehr zweifelte er daran, dass er am Ende doch noch eine passende finden könnte. In der ersten war die Rampe zu steil. Bei der zweiten kam er mit seinen Assistenten und dem Makler gerade einmal bis zum Aufzug. Der stellte sich dann aber als zu klein heraus. „Der Makler wollte mir eigentlich noch zwei weitere Wohnungen zeigen, doch daraus wurde nichts. Die Aufzüge hatten ebenso knappe Maße“, erinnert sich Krösche. Wieder zwei Wohnungen, die trotz Aufzug gar nicht erst für ihn infrage kamen.

Passt auch "Herrmann" gut hinein?

Die dritte besichtigte er zunächst ohne seinen sperrigen Patientenlifter, den er „Herrmann“ nennt. „Der Aufzug war zwar größer als bei den vorherigen, doch ebenfalls sehr schmal.“ Krösche aber blieb dran und kam am Folgetag mit „Herrmann“ wieder. Er wollte vor Ort ausprobieren, ob genügend Platz für die Umhebe-Aktionen im Bad ist. „Ich wurde dann sehr emotional. Wir standen zu dritt da und dachten ‚Das darf doch nicht wahr sein‘. Es hängt an ein paar Zentimetern“, erinnert sich der Auswanderer. Gemeinsam mit seinem Vater überlegte er, ob er die Toilette ausbauen und eine neue anbringen könnte. „Mein Vater kommt vom Bau, aber er sah keine Chance. Der Umbau wäre viel komplexer gewesen, als man sich das als Laie vorstellt.“

Immer noch keine passende Wohnung

Eine vierte Wohnung, die er, wenn auch als Zwischenlösung, weit im Vorfeld per Videocall quasi zugesagt hatte und die er nun besichtigen wollte, hatte der Besitzer spontan doch anderweitig vergeben. „Dabei haben wir echt lange mit Video telefoniert, der Makler hat mit einem Maßband alles ausgemessen. Mit meinem neuen Rollstuhl, mit dem ich nach Mallorca ziehen werde, hätte es theoretisch auch gepasst. Ich wollte es nur selbst vor Ort noch ausprobieren“, so Krösche, der dafür im Dezember schon angereist wäre. „Januar reicht auch“, versicherte ihm der Makler. Am Ende musste Krösche die Erfahrung machen, dass die Wohnungssuche in Spanien oft viel spontaner läuft als in Deutschland. Kündigungsfristen von drei Monaten wie in Deutschland kennt man hier kaum. Und eine vermeintliche Zusage bedeutet offenbar nicht, dass das Gegenüber sein Wort auch hält.

Bastian Krösche mit Micha Weiße in seinem zukünftigen Schlafzimmer. Nele Bendgens

Stufen zu überwinden

Bei Wohnung Nummer fünf in der Avenida Alemania gab es schon vor dem Hauseingang und auch im Flur Stufen zu überwinden. „Mein Assistent und der Makler haben mich zu zweit im Rollstuhl hochgehoben“, erzählt der 35-Jährige. Einmal in der Wohnung angekommen, stellte sich schnell heraus, dass auch dieses Objekt viel zu eng geschnitten war. „Eines der Schlafzimmer war zudem mit einem Mauervorsprung unterteilt“, so Krösche. Hier hätte im Zweifelsfall vielleicht noch einer seiner Assistenten unterkommen können. Aber zu welchem Preis? Die Laune war im Keller.

Die Wohnung in María Marescas Portfolio war Chance Nummer sechs und zugleich die letzte, bevor Krösche am Folgetag wieder zurück nach Deutschland reisen musste – hoffentlich nicht ohne Wohnung. Schließlich ist schon die Anreise für ihn deutlich abenteuerlicher und aufwendiger als für so manch anderen Wohnungsbesichtiger.

Letzte Chance

Als Krösche dann am Montagabend (9.1.) im Beisein der MZ im fünften Stock aus dem Aufzug rollt und die Türschwelle zu der geräumigen Wohnung quert, sagt er: „Ich will das jetzt. Ich will einfach, dass hier alles passt.“ Die Küche ist so geräumig, dass er dort Pirouetten drehen könnte. Auch im Flur merkt er schnell: „Cool, ich komme hier überall durch.“ Doch bei den Bädern wird es dann spannend. Das erste Bad en suite scheidet aus, da die Tür nicht breit genug und die Dusche nicht ebenerdig ist. „Klassiker“, sagt Krösche und rollt immer noch voller Hoffnung weg.

Kein Platz für "Herrmann"

Auch im zweiten Bad kann man den Lifter kaum installieren. „Es wird wirklich eng, aber es könnte möglich sein“, sagt Micha Weiße, der Assistent, und hantiert anschließend im dritten Bad mit „Herrmann“ herum. „Sei bitte ehrlich!“, bittet Krösche ihn mit einem Lächeln. Weiße ist es. Auch er hat das Wohnungsdrama der letzten Tage und Monate mitbekommen. Die beiden Männer kommen zu dem Schluss, dass das dritte Bad passt, wenn man „Herrmann“ minimal verändert und die Duschwand abmontiert werden darf. Doch was ist mit Krösches Schlafzimmer?

Ab durch den Flur!

Ab durch den Flur! Nele Bendgens

Eine Stunde später

Mittlerweile ist schon eine Stunde vergangen. Maklerin María Maresca zeigt sich aber bemerkenswert geduldig. Normalerweise ist sie rund 15 Minuten mit Interessenten in einer Wohnung. „Manchmal gibt es danach noch eine zweite Besichtigung“, so Maresca, die fast schon erleichtert scheint, dass Krösche noch in der Wohnung zugange ist. „Ich dachte, es scheitert tatsächlich schon am Aufzug“, gibt sie zu, während Krösche in sein potenzielles Schlafzimmer rollt. Hier muss vor allem sein höhenverstellbares Pflegebett hineinpassen. „Wie waren noch einmal die Maße?“, fragt Weiße. „Zwei Meter auf 1,50 Meter.“ Drum herum muss Platz sein, damit die Assistenten an Krösche herankommen. Zudem soll das Bett beim Verstellen nicht die Wand verschmutzen. Nach mehreren Minuten des Ausmessens und Inspizierens halten Krösche und Weiße das für machbar.

Und der Wohnbereich?

Ab in den Wohnbereich. Um vom Balkon aus den Ausblick auf die Kathedrale und den Paseo Mallorca genießen zu können, muss Krösche nur den Rahmen der Fenster am Boden überwinden. Beim Besuch bittet er uns, mit dem Handy ein Video von der Aussicht zu machen. Irgendwie schade, dass er sie noch gar nicht selbst genießen kann. Mit 1.700 Euro Kaltmiete hat die Wohnung schließlich auch ihren Preis. Doch in Krösches Kopf schwirren andere Fragen herum als der Zugang zum Balkon. „Das ist das geringste Problem. Dafür bringe ich eigene Plastik-Rampen mit.“

Er rollt noch ein letztes Mal durch die Wohnung, berät sich mit Weiße. Wenig später steht Bastian Krösche mit roten Backen im Wohnzimmer, ist völlig überwältigt und schnauft erleichtert: „Ich kann gar nicht glauben, dass ich tatsächlich eine passende Wohnung gefunden habe. Ich glaube, sie hat auf mich gewartet. Sie ist schon seit Ende November im Netz. Das ist für Spanien doch verdammt lange“, sagt Krösche.

Eine Stunde, 45 Minuten später

Nach einer Stunde, 45 Minuten ist die Besichtigung vorbei. Die Kaution hat der 35-Jährige, der noch Assistenten auf der Insel sucht, in bar dabei. Schließlich will er die Wohnung dieses Mal auf keinen Fall verlieren. „Erst müssen die Besitzer einverstanden sein“, bremst ihn Maresca, die verspricht, für ihn ein gutes Wort einzulegen: „Ich habe ja live mitbekommen, wie groß die Hürden für dich hier sind. Dafür haben andere potenzielle Kunden bestimmt auch Verständnis.“ Zu Redaktionsschluss steht fest: Der Vertrag ist unterschrieben, ab Februar steht der Auswanderung nichts mehr im Weg. Bastian Krösche hat endlich eine Wohnung.

Tipps für die Wohnungssuche

Anderen Menschen mit Bewegungseinschränkungen empfiehlt Krösche, mit Maklern stets offen über die eigenen besonderen Bedürfnisse, etwa Rahmenbreiten von Türen, zu sprechen. Zudem müsse man sich bewusst sein, dass „Barrierefreiheit“ in Spanien ein extrem schwammiger Begriff ist. „Jeder muss überlegen, was er tatsächlich braucht. Für den einen sind es Hilfsgriffe an der Toilette, für den anderen ein weiter unten angebrachter Knopf am Aufzug“, so Krösche. Zudem, empfiehlt er, sollte man den Makler vorwarnen, dass die Besichtigung wohl etwas längere dauern wird. Da der „Barrierefrei“-Filter nur bedingt funktioniert, lohne es sich häufig, weitere Fotos der Wohnung anzufordern.

Kontakt aufnehmen:

Bastian Krösche: 

IG: mallorca_mit_rollstuhl, Tel.: +49 176-23 45 18 89, E-Mail: bastian@kroesche.de 

Blog: lebenmitpeg.de