Albtraum Mietmarkt auf Mallorca: Wie Familien bei der Wohnungssuche in Cala Ratjada scheitern

Die dramatische Situation hält an. Betroffen sind vor allem junge Familien. Langfristig dürften auch Folgen für den Tourismus nicht ausbleiben

Sindy Casal Fischer und ihre Familie suchen vergeblich eine Drei-Zimmer-Wohnung.

Sindy Casal Fischer und ihre Familie suchen vergeblich eine Drei-Zimmer-Wohnung. / privat

Sophie Mono

Sophie Mono

Die Hiobsbotschaft kam im Oktober, bei einem eigentlich harmlosen Telefongespräch mit dem Vermieter: Ihr müsst raus, bis spätestens April, eröffnete der Spanier seiner Mieterin. Ein Schock für Karina Weiland (Name v. Red. geändert) – zumal die auf Mallorca lebende Deutsche erst wenige Wochen zuvor zum dritten Mal Mutter geworden war. Es war der Beginn einer schier unmöglich erscheinenden Wohnungssuche im hoffnungslos leer gefegten Mietmarkt von Cala Ratjada.

Mehr als zwei Monate sind seit dem Telefonat vergangen. Fast täglich durchforstet die 33-Jährige seitdem mit ihrem Partner Immobilien-Suchportale, spricht jeden an, den sie auf der Straße trifft, kontaktiert Bekannte von Bekannten, die angeblich bald umziehen wollen. Doch bis auf eine einzige Besichtigung in Capdepera in einem baufälligen Haus mit Außenküche im zugigen Innenhof sowie einer von Bekannten in Aussicht gestellten Wohnung, die dann doch an jemand anderen ging, ergab sich nichts.

„Online gebe ich nicht einmal Suchfilter ein, nur den Ort, und es wird einfach nichts angezeigt, oder wenn, dann viel zu teuer“, so Weiland. 700 Euro sind das Maximum, das die Familie an Kaltmiete aufbringen kann. Dabei hat sie keine besonderen Ansprüche. „Dass wir uns mit zwei statt drei Schlafzimmern begnügen müssen, damit haben wir uns schon abgefunden“, so die studierte Biologin, die in der Gastronomie tätig ist. Man merkt ihr an, wie sehr sie unter der Situation leidet. „Man hat es immer im Hinterkopf, je mehr Wochen verstreichen, desto schlimmer.“

Auf die Straße setzen könne sie ihr Vermieter allein wegen der Kinder zwar nicht. „Aber wir wollen doch auch nicht dort bleiben, wenn man uns nicht haben will.“ Der Eigentümer habe vor, die 100-Quadratmeter-Wohnung ab April an mehrere Saisonkräfte zu vermieten. Weil der Mietvertrag mit Weiland ohnehin auslief, ist das Recht auf seiner Seite. „Finanziell wird sich das für ihn vermutlich lohnen, das verstehe ich“, so die Deutsche. „Aber für uns ist es schlimm.“

Beengt bei der Mutter

Den Zeitdruck, etwas finden zu müssen, hat Sindy Casal Fischer nicht – die in Cala Ratjada geborene Deutsch-Spanierin wohnt mit ihrem Freund und zwei kleinen Kindern aktuell in der Zwei-Zimmer-Wohnung ihrer Mutter. Dennoch macht ihr der Mietmarkt im Küstenort zu schaffen. „Auf Dauer ist es sehr eng bei uns, wir hätten gerne ein Zimmer mehr, und ich dachte, im Winter sei die Suche einfacher“, berichtet sie. „Aber es scheint unmöglich zu sein, etwas zu finden.

Insgesamt knapp 2.000 Euro hat die Familie monatlich zur Verfügung. Abzüglich der Fixkosten für Kita, Lebensmittel, private Krankenversicherung, Sprit und Strom sowie all der kleineren Kosten, die mit Kindern eben anfallen, können sie sich eine Kaltmiete von mehr als 600 Euro kaum erlauben. „Dafür bekommt man aktuell aber höchstens eine Ein-Zimmer-Wohnung, und selbst die sind so gut wie gar nicht auf dem Markt“, sagt die 24-Jährige. Auch sie versuche es vor allem über Mundpropaganda. „Dann hört man mal hier was, mal da was, aber letztlich will kaum jemand noch aus seinen Wohnungen raus, weil alle wissen, wie schlimm die Situation ist.“

Und es sei nicht nur der Mangel an Wohnraum. Auch die Anforderungen an neue Mieter seien hoch: „Mit Haustieren hat man praktisch gar keine Chance. Und viele Eigentümer weigern sich sogar, Familien mit Kindern zu nehmen. Außerdem muss man fast immer vorweisen, ganzjährig und fest angestellt zu sein.“ Bedingungen, die in dem durch Tourismus und Saisonarbeit geprägten Ort kaum eine einheimische Familie erfüllt – auch Sindy Casal Fischer nicht. Sie arbeitet im Sommer als Verkäuferin in einem Bekleidungsgeschäft und verdient sich im Winter höchstens durch Aushilfsjobs etwas dazu. „Wenn wir nicht in der Wohnung meiner Mutter leben könnten, wüsste ich nicht, was aus uns werden sollte. So gesehen haben wir also noch Glück. Wer darauf angewiesen ist, etwas zu finden, tut mir richtig leid“, so die Deutsch-Spanierin.

Lange Wartelisten

„Das Problem ist nicht allein der Wohnraummangel, sondern vor allem die Entscheidung vieler Eigentümer, zu verkaufen statt zu vermieten“, sagt Toñi Ruiz von der gleichnamigen Immobilienagentur in Cala Ratjada. Viele Leute hätten Angst, dass die Mieter die Wohnung verkommen ließen oder die Mietkosten prellten. „Denn das kommt nicht selten vor.“ Auch die Ferienvermietung spiele eine Rolle, durch die neuen Regelungen jedoch nicht mehr so extrem wie vor einigen Jahren. Aktuell habe man keine einzige Wohnung mit zwei oder drei Schlafzimmern im Repertoire. „Manche Menschen kommen jeden Tag und fragen, aber es kommt einfach nichts rein. Das ist auch für den Tourismus problematisch. Die Leute finden in Cala Ratjada zwar Arbeit, aber keinen Platz zum Leben.“

„Einige Hoteliers oder Wirte kaufen Immobilien, um sie an ihre Sommerkräfte vom Festland zu vermieten. Dieser Wohnraum fehlt dann aber bei den einheimischen Arbeitern“, so Montse Guisado vom Immobilienbüro Dosagui. „Bei Wohnungen unter 800 Euro Kaltmiete haben wir Wartelisten von 100 Leuten.“ Vor wenigen Jahren sei es zu solchen Engpässen höchstens im Sommer gekommen, während über den Winter immer wieder Objekte frei wurden, die meist auch ganzjährig angemietet werden konnten. „So schwierig wie jetzt ist es erst seit etwa zwei Jahren.“

Anders in den höheren Preisklassen. Wer bereit sei, mehr als 1.000 Euro Kaltmiete auszugeben, dem stünden durchaus Mietobjekte zur Verfügung. Meist seien es Deutsche mit größeren finanziellen Mitteln. Zumal in der Regel neben den Maklerkosten auch Vorschüsse und Kaution hinterlegt werden müssen – Sofortzahlungen also, die viele Familien ohne Ersparnisse kaum stemmen können.

Kinder unerwünscht

Myriam García wohnt mit ihrem Sohn, ihrer Schwester und ihrer Mutter zusammen.  | F.: PRIVAT

Myriam García wohnt mit ihrem Sohn, ihrer Schwester und ihrer Mutter zusammen. / privat

Auch Myriam García (35) hat sich fast schon damit abgefunden, dass sie bei ihrer Immobiliensuche wohl bis auf Weiteres nicht fündig wird. Aktuell lebt die alleinerziehende Mutter mit ihrem dreijährigen Sohn, ihrer Mutter und ihrer Schwester in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung in Cala Mesquida. Im Sommer ist wenigstens ihre Arbeitsstelle nahe – sie ist als Saisonkraft in einem der Hotels in dem abgelegenen Ort angestellt. „Im Winter ist es hier wie ausgestorben, und wir müssen für alles das Auto nehmen.“

Überhaupt würden die Andalusierinnen, die erst vor einigen Jahren auf die Insel kamen, gern den beengten Wohnbedingungen entfliehen. „Wir hatten gedacht, es wäre möglich, zumal meine Schwester mittlerweile ganzjährig in einem Supermarkt unter Vertrag ist, aber wir merken, dass daraus wohl erst einmal nichts wird.“ Auch sie habe schon mehrmals zu hören bekommen, dass Mieter mit Kind unerwünscht seien. „Ich hoffe nur, dass unsere Vermieterin uns weiter hierbleiben lässt. Da können wir schon froh sein.“

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