Mallorca Zeitung

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Wie eine junge Philippinerin die Hölle in Katar erlebte – und im Nobelviertel Son Vida auf Mallorca ihr Zuhause fand

MZ-Serie „Die anderen Auswanderer“, Teil 5. Wie es Joy Macasambat von den Philippinen über Katar und Norwegen bis in das Nobelviertel von Palma verschlug

Joy Macasambat liebt es, in der Serra de Tramuntana zu wandern. Nele Bendgens

„Mein Name ist Girlie Joy Macasambat, aber bitte nenn mich Joy.“ Sie hasst den Namen Girlie, und er passt auch nicht zu ihr. Joy schon. Obwohl ihr Leben oftmals keine Freude war. „Ich bin durch so viele Ups and Downs gegangen, das glaubst du nicht“, sagt sie. Heute lebt die 32-jährige Philippinin im feinen Son Vida in Palma und sagt: „So gut wie hier auf Mallorca ging’s mir noch nie.“

Es war ein weiter Weg in immer wieder fremde Welten. Aus einem christlich geprägten asiatischen Land über die arabische Halbinsel in den hohen Norden nach Norwegen, um schließlich anzukommen auf den Balearen. Doch was klingt wie ein spannendes Abenteuer, war eine Zeit voller Zweifel und Kämpfe.

Joys Heimat ist Marugasan, eine kleine Stadt in einer ländlichen Gegend auf Mindanao, die zweitgrößte der 7.641 philippinischen Inseln. Tropisch, exotisch, die traumhaften Wasserfälle dort sind ein touristisches Highlight. Aber von ihnen hat sie in ihrer Kindheit und bis heute noch keinen gesehen. Ihre Eltern sind arm, arbeiten hart auf den Bananenplantagen und haben für so etwas keine Zeit.

l Als Hausangestellte in Katar: „Es war die Hölle, eine traumatische Erfahrung.“ FOTOS: PRIVAT nadia bassa

Kein Tag ohne Rosenkranz

Trotzdem darf Joy zur Schule und sogar studieren. Doch der Preis dafür ist hoch. Von Anfang an muss sie etwas zum Familieneinkommen beisteuern. Schon als Zehnjährige hilft sie den Eltern beim Gemüseverkauf auf den Märkten. Während die anderen Mädchen auf der High-school Party machen, hat sie auf den Bananenfeldern mitanzupacken. Dazu die streng katholische Erziehung. Kein Sonntag ohne die heilige Messe, kein Tag ohne Rosenkranz-Beten mit der Mutter. Ihre beiden älteren Brüder müssen nichts dergleichen tun. Nur Joy wird in allem kontrolliert, und nie scheint es genug zu sein.

Erst fernab in der Millionenstadt Davao City kann sie ein wenig aufatmen. „In meiner Zeit auf dem College hatte ich zum ersten Mal ein bisschen Spaß.“ Morgens arbeitet sie für ihren Onkel, bei dem sie wohnen kann, nachmittags studiert sie Hotel- und Restaurant-Management. Nach vier Jahren schließt sie erfolgreich mit dem Bachelor ab. Dann fährt sie nach Haus.

Es ist der 15. Mai 2013, der Tag, an dem sie die Entscheidung fällt, die ihr Leben vollständig verändern wird. „Ich weiß es noch genau, es war an San Isidro Labrador“, erinnert sich Joy. Am Morgen der Fiesta, die nicht nur in Spanien, sondern auch auf den Philippinen gefeiert wird, hört sie die Worte ihrer Mutter, die sie eigentlich nicht hören sollte. „Sie redete laut vor sich hin, dachte, ich schlafe noch … Sie sagte, ja, jetzt hast du deinen Bachelor, aber du wirst niemals eine Arbeit finden.“ In diesem Moment beschließt Joy ihre Familie und ihre Heimat zu verlassen.

Joy mit ihren Eltern bei ihrer Highschool-Abschlussfeier. nadia bassa

Zwei Jahre lauert sie auf eine Chance, aber wohin? Ohne Job, ohne Geld. Ihre Freundin Analou lässt sie ein paar Monate bei sich babysitten, immerhin. Plötzlich ein Anruf von ihrer Tante in Katar: ob sie bei einer arabischen Familie in Doha arbeiten wolle. Sie will. Bittet ihre Eltern um Erlaubnis. Was sie nicht ahnt: Es wird die schlimmste Zeit ihres Lebens. „Vier Jahre schuften von morgens um fünf bis um eins in der Nacht“, erzählt Joy, die noch heute Angst vor ihren ehemaligen Arbeitgebern hat. „Urlaub bekam ich nicht. Stattdessen haben sie mich ausgebeutet und gnadenlos gedemütigt. Es war die Hölle, eine traumatische Erfahrung.

Das Ende einer Fernbeziehung

Obendrein zerbricht ihre Liebe zu ihrem Freund Jocel, der all die Jahre auf Mindanao auf sie wartet: „So eine lange Fernbeziehung zehrt einen auf. Schon die Zeitverschiebung ist ein Problem. Das haben wir einfach nicht überstanden.“ Ihrer Familie war der einfache Junge, der auf einer Hühnerfarm arbeitet, ohnehin nie gut genug. Einmal geht ihr Bruder sogar auf ihn los und versucht ihn zusammenzuschlagen.

Joy ist verzweifelt, weiß nicht, wie es weitergehen soll. Und wieder ist es Analou, die ihr hilft. Ihre Freundin, die sie liebevoll „Ate“ nennt – auf Filipino „große Schwester“ – besorgt ihr eine Au-pair-Stelle in Norwegen. Von ihr fühlt sie sich beschützt, was sie von ihrer Familie nicht behaupten kann. „Analou war meine Rettung und Oslo war einfach wundervoll“, schwärmt Joy. „Zum ersten Mal sah und fühlte ich Schnee! Meine Au-pair-Familie war super freundlich. Ich hatte einen Tag in der Woche frei und jede Menge Freunde.“

Leider läuft nach zwei Jahren ihr Visum aus. „Nur zwei Optionen hätte ich gehabt, um zu bleiben: Theologie zu studieren oder einen norwegischen Mann zu heiraten. Allerdings wäre beides ohne Liebe gewesen und kam somit für mich nicht infrage.“ Eine Rückkehr nach Hause aber auch nicht.

Doch wieder hat Joy Glück. Eine Frau, die sie zu einer Bibel-Gruppe einladen will, gibt ihr die entscheidende Information. Sie erzählt von einer norwegischen Familie auf Mallorca, die ein Hausmädchen sucht. „Sie war mein Schicksalsengel“, erinnert sich Joy. „Als ob ich sie nur deshalb getroffen hätte. So bin ich im August 2021 hier auf der Insel gelandet.“ Es ist für sie wie nach Hause kommen. Nicht nur wegen des milderen Klimas. Das Essen, die Sprache, die Fiestas … vieles erinnere sie an die Philippinen, die durch die 333 Jahre andauernde Kolonialzeit von den Spaniern geprägt sind.

2019 in Oslo: „Zum ersten Mal sah und fühlte ich Schnee!“ nadia bassa

Putzen und bügeln in Son Vida

Und auch ihre Arbeitsstelle gefällt ihr gut. In der opulenten Villa in Son Vida, in der die wohlhabende Familie aus Oslo lebt, muss sie hauptsächlich putzen und bügeln. Zudem macht sie Frühstück und Mittagessen für die 15-jährige Tochter und kümmert sich um die drei Hunde, die ihr bereits ans Herz gewachsen sind. Ein winziges angebautes Häuschen, in das man durch den prächtigen Garten gelangt, ist jetzt ihr Zuhause. Die zwei kleinen Zimmer sind mit Laminat ausgelegt und stilvoll eingerichtet. Warme Farben, samtene Sessel. Kein Luxus, aber alles sauber und ordentlich. Zudem Heizung, Klimaanlage, Kühlschrank, Mikrowelle und ein perfekt ausgestattetes Bad. Im größeren der beiden Zimmer ein Doppelbett mit kuscheligen Decken, von dem aus sie auf einem riesigen Flachbildfernseher ihre geliebten koreanischen Serien schauen kann. „Die habe ich schon geguckt, als ich mit meinem gebrochenen Herzen in Katar saß“, sagt Joy. Korea begeistert sie. Die Popmusik, der Lifestyle, nebenbei lernt sie sogar Koreanisch. „Eines Tages möchte ich mal dorthin in den Urlaub“, sagt sie.

Aber jetzt will sie erst einmal vernünftig Spanisch lernen und hier weiter Fuß fassen. Denn auf Mallorca empfinde sie eine nie gekannte innere Ruhe. Besonders beim Wandern in der Tramuntana. „Dann bin ich ganz im Hier und Jetzt, kann endlich die Vergangenheit hinter mir lassen“, sagt Joy. „Ich habe tiefen Respekt vor meinen Eltern, bin ihnen sehr dankbar. Aber sie waren so streng! Ich hatte immer Angst vor ihnen. Mein ganzes Leben lang haben sie mich kontrolliert und gemaßregelt. Hier kann ich endlich meine Meinung frei äußern und selbst entschieden.“

Weit weg von der Familie

Ein wenig hat sie schon ein schlechtes Gewissen, denn ihre Mutter ist schwer krank. Aber seit Jahren unterstützt sie ihre Eltern finanziell. „Bei uns auf den Philippinen haben wir diese Payback-Kultur: Kinder müssen als Erwachsene zurückzahlen, was sie bekommen haben.“ Von ihren Einkünften in Oslo und Palma hat Joy in Marugasan ein Stück Land und ein kleines Haus gekauft; weiterhin zwei Schweine, die ihr älterer Bruder als Nutztiere hält. Zudem finanzierte sie das Studium ihrer Cousine und spart für die Operation ihres zweijährigen Neffen, der am Herzen erkrankt ist.

Viele Jahre schon hat sie ihre Familie nicht gesehen. Trotzdem will sie nicht zurück. „Mein Traum ist es, einmal auf einem Kreuzfahrtschiff zu arbeiten. Analou hat Kontakte, sie hat es mir sogar schon angeboten. Aber ich bin noch nicht so weit. Im Moment ist Mallorca das Paradies für mich, weil es mir hilft zu heilen.“

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