Mallorca Zeitung

Mallorca Zeitung

Eine Modedesignerin spürt den tanzenden Teufeln und den Cossiers in Alaró auf Mallorca nach

Joana Borràs beschreibt in einem Buch die Tanzgruppe und fand sogar die Vorlage zu einer Illustration in "Die Balearen", dem Werk von Erzherzog Ludwig Salvator

Ministranten tragen den Dorfheiligen, Tänzer und Tamburin begleiten die Dame, allen voran der "dimoni" mit Schweif und Hörnern. Grafik: Die Balearen

Als Joana Borràs das historische Foto mit dem tanzenden Teufel fand, grübelte sie eine Nacht lang. Denn er kam ihr bekannt vor. Tags darauf schickte sie eine Kopie an Joan Riera vom Kulturverein Al-Rum in Alaró. Er brachte sie darauf, dass der Teufel einer Illustration in „Die Balearen in Wort und Bild“ ähnelte, dem Werk von Erzherzog Ludwig Salvator (1847–1915).

Die Zeichnung im Buch stellt die Cossiers von Alaró dar. Im ausführlichen Text ist nachzulesen, dass zu den Teilnehmern sechs Tänzer gehören. Sie schützen die Dame, die von einem Mann dargestellt wird, vor dem Teufel. Sie alle folgen einer Choreografie mit festgelegten Schrittfolgen, die durch kleine Sprünge unterbrochen werden. „Als ich das Foto fand, konnte ich gar nicht anders, als mich auf die Suche nach seiner Entstehung zu machen. Und dann war ich überwältigt von der Arbeit des Universalgenies“, sagt Borras. Ein Teil ihres kürzlich erschienenen Buches „Vestes“ (Kleidung) schildert die Geschichte der Grafik.

Joana Borràs in ihrem Studio für Modedesign von Alaró. Catalina Amer

Vorlage für den Holzstich

„Schon die Tatsache, ein Foto aus meinem Dorf zu entdecken, das fast 150 Jahre alt ist, war aufregend“, sagt Borràs beim Interview in ihrem Atelier. Wahrscheinlich ist es sogar das erste Foto eines Bewohners von Alaró überhaupt. Sie fand es bei der Suche nach Modefotografien in einem Album mit Arbeiten des französischen Fotografen Jules Virenque. Auf den Rat Joan Rieras hin verglich sie das Foto mit der Grafik im Buch des Erzherzogs.

Das Originalfoto diente als Vorlage für den Holzstich in dem Werk des Erzherzogs.

Das Originalfoto diente als Vorlage für den Holzstich in dem Werk des Erzherzogs. Jules Virenque

Das Foto war also die Vorlage für den Holzstich im ersten von damals neun Bänden, der 1870 erschien und die erste Reise des Erzherzogs dokumentierte. Er zeichnete selbst, hatte aber auf der Insel einen Stab von Mitarbeitern. „Das Foto kann nicht die einzige Vorlage für die Illustration gewesen sein“, sagt Borràs. Sie werde nicht aufhören weiterzusuchen.

Die Druckgrafik zeigt die Gruppe am Tag von Sant Roque in Alaró am 16. August. Ministranten tragen den Dorfheiligen in der Kutte eines Franziskanermönchs. Vorne im Bild sind Tänzer mit reich geschmückten Kopfbedeckungen zu sehen. Die Dame mit Stoffstreifen am Hut und mit einem Strauß in der Hand wird von einem Tamburin begleitet. Im Text ist nachzulesen, dass auch Dudelsack und Flöte mit dabei waren.

Tänzer traten gegen Bezahlung auf

Die Gruppe folgt dem tanzenden Teufel an der Spitze. Er hat den Blütenschaft einer Agave in der Hand, der leicht zu schwingen war. „Die Figuren sind ähnlich, aber nicht identisch“, sagt Borràs. Das Foto sei im Atelier Virenques aufgenommen worden, und da die Belichtung zu jener Zeit eine ganze Weile dauerte, konnte das Fotomodell sicher nicht so lange stillhalten. Der Holzstecher auf Schloss Brandeis bei Prag ließ den Teufel für die Grafik also das Tanzbein schwingen und fügte auch die Hörner hinzu.

Der Erzherzog hat die Prozession in Alaró am 16. August wahrscheinlich nicht gesehen. Denn er kam erst am 7. September 1867 von Ibiza kommend im Hafen von Palma an. In der ersten Woche lernte er den Besitzer des Landguts Comasema zwischen Alaró und Orient kennen, dieser lieh ihm eine seiner zwei Kutschen und gab ihm Empfehlungsschreiben für weitere Landgüter. „Es sieht alles danach aus, dass der Archiduque die Cossiers in Comasema gesehen hat. Denn es gibt einen Beleg, dass er der Tanzgruppe 33 Libras bezahlt hat“, so Borràs. Damals seien die Tänzer auch gegen Bezahlung bei Festen aufgetreten.

Heidnische Wurzeln

Für den Erzherzog war das Thema nicht neu, wahrscheinlich ist er ähnlichen Tanzgruppen in Italien oder Kroatien begegnet, es gibt sie vielerorts. In England führen die Morris- Dancer mit blumengeschmückten Hüten Tanzschritte aus. Es sind allesamt keine folkloristischen Darbietungen, sondern heidnische Rituale aus vorchristlicher Zeit. Die tanzenden Figuren waren bei der Bevölkerung so beliebt, dass sich das frühe Christentum der heidnischen Festtermine und Rituale bedienen musste. Denn ohne diese wäre die Bevölkerung wohl nicht zu bekehren gewesen.

Die Morris-Dancer im englischen York. privat

Die Rituale veränderten sich, manche der archaischen Fruchtbarkeitstänze wurden zu liturgischen Festszenen kirchlicher Heiliger, wieder andere in Karnevalsbräuche integriert. Doch der Grundtenor blieb: der Sieg über den Winter, die Kälte und den Hunger, die Feier einer Ernte, einfach der Sieg des Guten über das Böse. Die ersten schriftlichen Quellen über die Cossiers stammen aus dem 17. Jahrhundert.

Kein Platz für Cossiers unter Franco

Während der Franco-Diktatur gab es keinen Platz mehr für den Tanz der Cossiers. Denn regionales Brauchtum passte nicht in das Bild von Spanien als Nation. Der einzig wichtige Tanz, der das Land nach außen repräsentieren sollte, war der Flamenco. Die Festgeschehen, die für die kulturelle Identität einer Region von Bedeutung waren, verschwanden, wie auch die Kostüme der Cossiers in Alaró. Sie sind bis heute nicht wieder aufgetaucht.

Doch Xisco Vallcaneras, der am Konservatorium von Palma Volkstänze in Europa unterrichtet, begann schon zu einem Zeitpunkt, als das Ende der Diktatur in Sicht war, mit Recherchen zu den Cossiers. Er führte Interviews mit Männern, die in ihrer Jugend Mitglieder der Tanzgruppen waren. Nach ihren Beschreibungen nähte man neue Kostüme und probte wieder die Folge der Tanzschritte. Seit 1992 gehören die Cossiers erneut zum Festprogramm Alarós. 2016 schlüpfte erstmals eine junge Frau in das weiße Gewand mit dem Reifrock.

Kostbares Tuch

Joana Borràs hat in ihrem Buch auch die Kostüme der Cossiers unter die Lupe genommen. „Die kostbaren Stoffe beweisen, dass Alaró kein Dorf der armen Bauern war“, sagt sie. Viele Bewohner seien wohlhabend gewesen. Bergbau, Seifen- und Kartonfabriken hätten Geld in die Kassen gespült. Bis 1915 habe es rund 50 Werkstätten im Dorf gegeben.

An den Kostümen der Cossiers sei nicht gespart worden. Reiche Bewohner kauften demnach in der Ferne Samt, Taft, Damast, Brokat, Organza, Tüll und Satin ein, später dann auch Seide. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts die Nähmaschinen auf die Insel kamen, sei manuell genäht worden. Die Frauen legten gemeinsam Hand an und verzierten die Kostüme mit Stickereien oder Klöppelarbeiten. Die Kostüme der Cossiers wurden über Jahrzehnte getragen, sorgfältig aufbewahrt und stets ausgebessert, bevor sie dann verschwinden sollten. Borràs hofft immer noch, dass die alten Kostüme wieder auftauchen. Denn sie kann nicht glauben, dass die Tänzer bei ihrem Auftritt im August immer schon so warm angezogen waren. Die Vorfahren hätten eigentlich praktisch gedacht.

Der Tanz der Cossiers an San Roque in Alaró. Erst seit 2016 wird die Dame von einer jungen Frau getanzt. Pohle

Denn da ist ja auch noch das Rennen. Zum Abschluss von Sant Roque mischen sich die Cossiers jedes Jahr unters Volk. Mit „Cos“ bezeichne man, so der Erzherzog, eine Rennstrecke. Und es ist weiter in seinem Buch zu lesen, dass für die Sieger des Rennens Hühner und Hähne an lange Schilfstangen festgebunden waren. Heute warten Cava- und Weinflaschen auf die völlig verschwitzten Cossiers in ihren dicken Klamotten. Sie rennen als Erstes auf der Hauptstraße leicht bergan. Nach ihnen sind die Kinder an der Reihe, die sich nach Altersgruppen aufstellen. Die schnellsten von ihnen gewinnen Spielzeug.

Gelebtes Brauchtum: „Vestes” dels Cossiers d’Alaró von Joana Borràs, 60 Seiten, Katalanisch, mit farbigen Abbildungen, 12 Euro, erhältlich bei Roella sowie beim Jahr- und Weihnachtsmarkt.

Artikel teilen

stats