Mallorca Zeitung

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Debatte auf Mallorca: Ist das Leben im Wohnwagen „menschenunwürdig“ oder „privilegiert“?

Palma geht gegen die Wohnwagen-Siedlungen vor. Manche der Bewohner leben dort aus Not – aber das trifft längst nicht auf alle zu

Pep de las Heras kämpft für sein Leben im Wohnmobil. Bendgens

„Hoy no me jodan“ (Geht mir heute nicht auf den Sack), steht unverblümt auf einem Schild über der Sitzecke im Wohnwagen von Pep de las Heras. Doch die Aufforderung zeigt derzeit wenig Wirkung: Der Mallorquiner fürchtet um sein Heim. „Der Bürgermeister will uns Camper auf die Straße setzen“, sagt Pep de las Heras, der deswegen am Samstag (11.5.) eine „Versammlung zum friedlichen Protest“ vor dem Rathaus abgehalten hat. An die 100 Menschen folgten seinem Aufruf. „Darunter auch der spanische Präsident des Wohnwagenverbands“, sagt der Rentner stolz. Ob seine Lebensweise in Palma eine Zukunft hat, bleibt dennoch abzuwarten. Immerhin scheinen die Politiker nach dem Protest umzudenken.

Bürgermeister Jaime Martínez stört sich an den Wohnwagen. „In Palma darf nicht im Wohnwagen gelebt werden. Das ist menschenunwürdig. Wir werden das Problem an der Wurzel anpacken“, sagte er in der vergangenen Woche gegenüber dem Radiosender „Cadena Ser“. Bereits im März stellte Martínez eine neue „Verordnung zum zivilisierten Zusammenleben“ vor, die in Kürze in Kraft treten soll. In einer Reihe mit Pinkeln in der Öffentlichkeit sollen auch Wohnmobile und Wohnwagen als Wohnsitze verboten werden.

Campingverbot auch für Urlauber in Palma

Der MZ liegt der Entwurf der Verordnung vor. Im Artikel 73 heißt es: „Wohnwagen und Wohnmobile dürfen in Palma nicht campen, außer an den dafür ausgewiesenen Zonen im Stadtgebiet.“ Campingplätze gibt es bislang in der Stadt allerdings nicht. Und weiter: „Unter Campen wird verstanden, wenn die Besitzer im Fahrzeug andere Dinge tun, die über das reine Parken hinausgehen. Zum Beispiel: schlafen, essen, trinken oder das Aufbewahren von Gegenständen.“ Das gleicht einem kompletten Verbot von Wohnwagen und -mobilen in Palma und dürfte auch für Urlauber gelten.

Nun wohnen viele Camper auf Mallorca nicht aus Spaß in ihren Fahrzeugen, sondern weil sie keine andere Wohnung finden. Seit Jahren gibt es regelrechte Wohnwagensiedlungen. Beispielsweise auf dem Parkplatz der Schwimmhalle Son Hugo, direkt am Meer in Ciudat Jardín oder seit zwei Jahren in dem noch nicht gänzlich erschlossenen Viertel Son Güells nahe Ikea.

Die Wohnwagensiedlung in Son Güells. Bendgens

Wie es dazu kommt, dass die Menschen in Palma im Wohnwagen schlafen

Seit gut einem Jahr schläft der Argentinier Mariano hier im Wohnwagen. „Die Pandemie hat mich erwischt“, erzählt der 30-Jährige, der selbstständig als Monteur von Klimaanlagen arbeitet. „Ich bekam keine Aufträge mehr und konnte mir die Miete nicht mehr leisten.“ Dabei war die Mietwohnung damals nur ein Zweitwohnsitz. Gemeinsam mit seiner Ex-Freundin gehört ihm eine kleine Finca, die er sich nun mit ihr teilt. „Wir haben einen fünfjährigen Sohn und geteiltes Sorgerecht. Eine Woche schlafe ich im Haus, eine im Wohnwagen.“ Eine eigene Wohnung bekomme er nicht mehr, da er als Selbstständiger keinen Arbeitsvertrag vorweisen kann. In ein WG-Zimmer möchte er nicht ziehen. „Das kostet 500 Euro im Monat. Da komme ich mit dem Wohnwagen günstiger weg und habe meine Ruhe“, sagt Mariano.

Es seien überwiegend Argentinier, die im Wohnwagen leben, sagt Pep de las Heras. 2018 eröffneten ihm die Ärzte, dass er wegen einer Krebserkrankung nur noch Monate zu leben habe. „Ich schenkte meinen beiden Söhnen Wohnungen und gab alles her“, sagt der Mallorquiner. Als er dann doch die Krankheit überlebte, war er obdachlos. „Meine Kinder haben mir ein Zimmer hergerichtet. Ich könnte dort schlafen. Der Wohnwagen ist mir aber lieber.“ Er schlafe „wie ein König“, fühle sich gar „privilegiert“. Als Rentner darf er kostenlos in die öffentlichen IME-Sporthallen. Dusche und Toilette nutzen die Camper in der Sportanlage Germans Escalas. „Wobei ich auch die Dusche in meinem Wohnmobil nutzen könnte.“ Stolz zeigt er seine Einrichtung: Mikrowelle, Fernseher, ein gasbetriebener Backofen. „Eine Solarzelle versorgt mich mit Strom. Selbst wenn es eine Woche lang regnet, habe ich genug Saft.“

Das Rathaus knickte nach dem Protest ein

Nicht alle, die neben ihm auf der Straße leben, werden so glücklich sein wie der 68-Jährige. Eine eigene Wohnung wäre schöner, meint Mariano, der Geld spart, um sich eine kaufen zu können. In einigen Wohnwagen leben auch ganze Familien. „Frauen alleine gibt es kaum. Da ist die Angst vor Übergriffen zu groß“, sagt Pep de las Heras. Dabei sei die Siedlung kein unsicheres Pflaster. „Die meisten Wohnwagen haben eine Überwachungskamera. Ich habe meist nichts zu tun und gehe mit meinem Hund auf und ab und schaue nach dem Rechten.“ Der Zusammenhalt sei groß in der Wohnwagensiedlung. „In ein paar Wochen kommt eine junge Argentinierin auf die Insel. Da sie keinen Schlafplatz hat, lasse ich sie bei mir im Wohnwagen übernachten und ziehe in meinen Lieferwagen.“

Das Rathaus Palma gab als Reaktion auf den Protest zunächst ein Statement ab: „Wir helfen allen Menschen, die im Wohnwagen leben, eine Sozialwohnung zu beantragen.“ Am Dienstag (14.5.) knickte die Behörde dann ein und verkündete, dass die Formulierung in der Verordnung unglücklich sei. Artikel 73 soll nun gänzlich gestrichen werden.

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