Mallorca Zeitung

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Jagd auf Algerier: Wo im Brennpunktviertel Son Gotleu die wahren Probleme liegen

In Son Gotleu und in Arenal gehen Gitanos auf junge Einwanderer los, die Diebstähle begangen haben sollen. Die Polizei warnt vor einem Pulverfass, doch das Problem geht weit über die Kriminalität hinaus

Mit Schlägern bewaffnet machen die Anwohner Jagd auf Algerier

Anmerkung: Dieser Text erschien am Donnerstag (6.6.) in der Printausgabe der MZ. Nach Redaktionsschluss kam es in der Nacht zu einer weiteren Attacke in Arenal.

Son Gotleu ist derzeit ein heißes Pflaster. In den vergangenen Tagen kam es vermehrt zu Ausschreitungen. Gitanos, wie die spanischen Roma genannt werden, die in dem Viertel in Palma leben, machten mit Schlägern bewaffnet Jagd auf algerische Einwanderer und verletzten am Montag vor einer Woche vier Personen. An den Tagen danach war die Polizei in Habachtstellung und erstickte erneute Auseinandersetzungen im Keim. 300 Personen gingen bei einer Kundgebung gegen die Algerier am Freitag auf die Straße, darunter auch einige Lateinamerikaner, Senegalesen und Marokkaner. Jeder Funke könne das Pulverfass Son Gotleu zur Explosion bringen, warnte ein Sprecher der Nationalpolizei.

Ausgangspunkt der Anfeindungen waren von jungen Algeriern mutmaßlich verübte Diebstähle. „Hier leben noch mehr Leute, die stehlen“, sagte Toni, ein Anwohner, der MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca“, „aber zumindest tun sie es außerhalb des Viertels. Die Algerier hingegen bestehlen ihre eigenen Nachbarn, und das werden wir nicht dulden.“

Es kommen immer mehr Algerier an

Die Straftaten durch algerische Bootsmigranten nehmen auf Mallorca tatsächlich seit einiger Zeit zu. „Jeden Monat kommen mehr Leute. Es gibt kein Abkommen zwischen Spanien und vielen afrikanischen Ländern. Eine Rückführung ist nicht möglich. Deshalb bleiben sie hier“, sagt der Marokkaner Said, der ebenfalls im Viertel lebt. Die Algerier stranden in Son Gotleu. „Es ist das ärmste Viertel mit der höchsten Zuwanderungsdichte. Die Chancen stehen gut, dass sie hier auf einen Landsmann treffen.“

Die meist jungen Männer – Minderjährige werden in Heimen aufgenommen – kommen in besetzten Wohnungen unter, die Geierfonds oder Banken gehören, oder schlafen auf Parkbänken. „Sie haben kein Dach über dem Kopf und nichts zu essen. Sie versuchen zu überleben. Einige nehmen Drogen und geraten auf die schiefe Bahn. Sie müssen ihre Familie in der Heimat versorgen“, so Said. „Sie haben aber keine Kinder, die von ihnen abhängig sind, und nichts zu verlieren. Dann fangen sie an, sich im System querzustellen.“

Viertel lange Zeit vernachlässigt

Aina Mascaró, Vermittlerin zwischen den Kulturen im Gesundheitszentrum von Son Gotleu, verweist auf die jahrzehntelange Vernachlässigung des Viertels. „Da müssen alle Parteien und Institutionen an einem Strang ziehen“, fordert sie. Nötig sei zudem eine Änderung des Einwanderungsgesetzes, damit der stete Zustrom an Menschen geregelt wird.

Son Gotleu erstreckt sich rund um die etwa 500 Meter lange Hauptstraße Indalecio Prieto vom Kreisverkehr Plaça Miquel Dolç bis hin zur Brücke über die Ringautobahn. Auf diesem kleinen Raum wurden bei der bislang letzten Datenerhebung im Januar 2022 10.107 Menschen, darunter 3.473 Ausländer. „Doch die offiziellen Zahlen hauen nicht hin“, meint Said. „In den besetzten Wohnungen leben zahlreiche Personen. Viele Anwohner sind zudem nicht beim Rathaus gemeldet.“

Auch er fordert eine friedliche Lösung. „Straßenkämpfe bringen nichts. Wo soll das denn noch hinführen? Zumal wir als Marokkaner doch Brüder im Geiste mit den Algeriern sind“, sagt er und fordert mehr Freizeiteinrichtungen, die die jungen Leute im Viertel beschäftigen können. Es gebe kaum Parks in Son Gotleu, die Bibliothek sei zu klein und habe zu wenige Angestellte. „Die Einwanderer brauchen Bildungsprogramme. Die Inselpolitiker werden sich wohl aber erst bewegen, wenn sich die Urlauber aufregen.“

Mascaró bemängelt, dass es in Son Gotleu weder Volkshochschulkurse noch Sommerschulen gibt, in denen die Leute anständig Spanisch lernen können. Es scheitere schon oft beim empadronamiento, dem Anmelden bei der Behörde. „Das ist ein Grundrecht der spanischen Verfassung“, sagt die Vermittlerin. Ohne die Anmeldung haben die Algerier kaum Chancen auf öffentliche Hilfen oder die Aufnahme in die Seguridad Social.

Jungen Leute ziehen weg

„Die Drogen sorgen für ein angespanntes Verhältnis im Viertel“, sagt die Schulleiterin Asun Gallardo. „Dabei ist Son Gotleu eigentlich ein sehr familiärer Ort. Die Familien haben viele Kinder, denen sie eine gute Bildung für eine erfolgreiche Zukunft ermöglichen wollen.“ Sie vergleicht ihren Job mit Sisyphos, der Figur aus der griechischen Mythologie, der endlos einen Felsen den Berg raufrollen muss. „Kaum haben wir die Jugendlichen ausgebildet, nehmen sie eine Stelle außerhalb des Viertels an. Dann müssen wir von vorne beginnen. Dabei sind es die jungen Leute, die hier etwas bewegen könnten. Aber es braucht schon eine hohe Frustrationstoleranz, um in Son Gotleu zu arbeiten.“

Gallardo hält ihren Job dennoch für den besten der Welt. Es seien die Erfolge, die ihn ausmachen. Wie die Geschichte eines nigerianischen Jugendlicher, dessen Eltern in einer Wäscherei arbeiten. „Er half ihnen aus, wollte aber eigentlich Arzt werden.“ So kam es auch. „Er hat mich zu seiner Abschlussfeier in zwei Wochen eingeladen.“

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