Stellen Sie sich vor, Sie beherrschen die spanische Sprache nicht und sind hier in Mallorca wegen eines Steuer­delikts angeklagt. Sie sitzen im spanischen Gerichtssaal und sind entsprechend nervös, da Sie wissen, dass diese Verhandlung darüber entscheidet, ob Sie die nächsten drei Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbringen müssen. Die Verhandlung wird auf Spanisch zwischen dem Staatsanwalt, dem Richter und ihrem Anwalt geführt. Sie wollen wissen, welche Punkte die einzelnen Parteien für und gegen Sie anführen und wenden sich deshalb regelmäßig an den anwesenden Gerichtsdolmetscher.

Flüsternd setzt er Sie über die einzelnen Aussagen in Kenntnis - bis der Richter Sie entschieden dazu auffordert, Stillschweigen zu bewahren und die Verhandlung nicht weiter durch Ihr Geflüster zu stören. Den Rest der vierstündigen Verhandlung, von der Sie kein Wort verstehen, müssen Sie in einem Gefühl des völligen Ausgeliefert­seins über sich ergehen lassen. Am Ende der Verhandlung wird Ihnen dann noch einmal die Möglichkeit eingeräumt, zu dem in der Verhandlung Gesagten selbst Stellung zu beziehen.

Dieses rechtsstaatliche Horror­szenario musste einer unserer Mandanten am eigenen Leib erfahren, und so wie ihm erging es schon vielen sprachunkundigen Angeklagten vor ihm. Da die aktive Teilhabe des Angeklagten in Spanien auf die bloße Beantwortung der Fragen des Richters beschränkt ist, umfasst die Dolmetscher­tätigkeit ebenfalls nur die entsprechenden Fragen und Antworten. Dass damit das Recht des letzten Wortes faktisch ausgehöhlt wird und diese Situation menschenunwürdig ist, scheint noch nicht in das allgemeine Bewusstsein der spanischen Justiz gelangt zu sein. Im Gegenteil hat sie ein Sonderverfahren geschaffen, dass die Stellung des sprachunkundigen Beschuldigten im Prozess ad absurdum führt. Die Rede ist vom sogenannten juicio de faltas, dem Bagatellstrafverfahren. Bei dieser Verfahrensform, die bei leichten strafrechtlichen Übertretungen Anwendung findet, gibt es keine Anwaltspflicht und somit ist es dem Angeklagten erlaubt, sich selbst zu verteidigen.

Für den mittellosen Angeklagten bedeutet dies aber auch, dass ihm von Seiten des Gerichts kein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt wird und er sich somit in der unmöglichen Situation befindet, seinen Fall in einer Sprache zu verhandeln, derer er nicht mächtig ist. Zwar steht ihm nach spanischem Gesetz ein Dolmetscher zu, in der Praxis in den spanischen Gerichtssälen aber schlägt sich das kaum nieder. Der Angeklagte kann sich daher kaum bis gar nicht verteidigen.

Mit der spanischen Verfassung und dem in Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgesetzten „Grundsatz des fairen Verfahrens“ ist das alles freilich nicht vereinbar. Hoffnung gibt die europäische „Richtlinie über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen im Strafverfahren“ (RL 2010/64/EU) aus dem Jahr 2010. Diese Richtlinie wurde unter anderem von Spanien auf den Weg gebracht und geht in den Vorschriften und sogenannten Erwägungsgründen von einer ­parallelen Übersetzung der Verhandlung aus. Da dies mit der spanischen Prozessrealität wenig zu tun hat, bleibt zu hoffen, dass Spanien mit der Richtlinie den Beginn des bitter nötigen Wandels in seinen Strafprozessen einläuten wollte. Zum jetzigen Zeitpunkt ist in den spanischen Gerichten hiervon jedoch noch wenig zu spüren.

Dem ausländischen Angeklagten kann man hier nur sein Mitleid aussprechen.

Bárbara Román Méndez ist Partnerin in der AnwaltssozietätRoman, Dr. Stiff & Vazquez (RSV)in Palma de Mallorca. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Internationalen Straf- und Strafprozessrecht. Frank A. Haberstroh ist Rechtsstudent an der Albert-­Ludwigs-Universität Freiburg und hat ein Praktikum in der Kanzlei RSV absolviert.Sollten Sie weitere Informationen zu dem Thema wünschen oder Ihre Erfahrungen mit den Autoren teilen wollen, ­schreiben Sie eine E-Mail an:

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