Für Andreu Gil ist das Meer wie eine Droge. Wenn der Fischer ein paar Tage nicht rausgefahren ist, fühlt er sich unwohl. Er braucht das Wasser, die Weite, die Stille. Andreu Gil macht es nichts aus, um fünf Uhr morgens im Hafen von Porto Cristo auf seine llaüt „El Jaume" zu steigen, an sechs Tagen die Woche zu arbeiten, dauerhaft mit fünf bis sechs Stunden Schlaf auszukommen. Auch die Gefahren auf stürmischer See und die unregelmäßigen Einnahmen nimmt der 35-Jährige in Kauf. Schließlich handelt es sich um seinen Traumberuf. „Das fühlt sich für mich fast gar nicht wie Arbeit an."

Andreu Gil ist Fischer aus Leidenschaft. Seit vier Jahren. Und das ist das Erstaunliche: Während die Branche allgemein auf dem Rückzug ist und auch viele Nachkommen traditioneller Fischerfamilien lieber im Tourismus als auf dem Meer arbeiten, geht Gils Geschichte anders herum. In seinem Stammbaum findet sich kein einziger Fischer, sein Vater war Bankkaufmann und er selbst Oberkellner im Sterne-Restaurant Es Molí d´en Bou.

Noch erstaunlicher ist, dass Gil mit seinem außergewöhnlichen Berufswechsel auf der Insel nicht der Einzige ist. 25 Kilometer weiter nördlich, in Cala Ratjada, fischt die frühere Barkeeperin Valeria Caponero (32). Anders als Gil, der bereits seit seiner Kindheit in seiner Freizeit am liebsten mit dem Boot rausfuhr, hatte die Argentinierin keine besondere Beziehung zum Meer. „Ich habe Tourismus studiert und ging nur gerne an den Strand." Dann aber kam sie im Jahr 2002 zum Jobben nach Cala Ratjada und lernte dort ihren heutigen Mann Jaume Cuart kennen, Fischer, seit er 15 Jahre alt ist.

Sie verliebten sich, heirateten im Jahr 2005 – aber bekamen sich kaum zu Gesicht. „Ich arbeitete damals in einer Disco und kam um vier Uhr morgens nach Hause, mein Mann stand zur gleichen Uhrzeit auf." Das sollte kein Dauerzustand werden. Caponero machte ihren Schein Competencia de Marinero und als eines Tages ein Seemann ausfiel, sprang sie zum ersten Mal auf der „Vima" ein. „Ich war schon immer ein unruhiger Geist, mache gerne Sport und habe keine Angst. Seekrank werde ich auch nicht."

Ihre einzige Befürchtung: Wie sollte sie Fische umbringen? „Ich dachte, sie tun mir leid. Aber es ging dann doch, es sind ja nur Fische." Caponero ist Tierliebhaberin. Auf ihrer Finca hat sie vier Hunde. Verletzte Schildkröten, die ihr ins Netz gehen, bringt sie in den Meereszoo Marineland. Ihre Schwärmereien über das Meer gleichen denen von Gil. „Man ist so frei auf dem Meer. Wir sehen Delfine, Möwen und eine herrliche Landschaft", sagt sie. Auch die Teamarbeit mit ihrem Mann mag sie. Bei den Aufgaben wechseln sie sich ab. „Oft steuert er das Boot und ich bereite die Netze vor." Gemeinsame romantische Momente gibt es höchstens auf der Rückfahrt. „Man muss konzentriert arbeiten, sonst passieren Fehler."

Andreu Gils Weg zum Berufsfischer vollzog sich eher schleichend. Zunächst wusste er nur, dass er den Stressjob in der Gastronomie nicht mehr machen wollte. „Ich war dort oft von elf Uhr vormittags bis ein Uhr in der Nacht im Einsatz." Gil kündigte und nahm sich eine Auszeit, um über sein Leben nachzudenken und zu reisen. Daraus wurde nicht viel, ein Freund fragte ihn, ob er den Sommer über mit ihm fischen gehen wolle. Gil wollte. Nach dem Sommer heuerte ihn gleich der nächste Fischer-Kumpel an. Und ein Jahr später der nächste.

Für Gil war das eine tolle Ausbildung. „Bei jedem lernte ich etwas anderes. Zum Beispiel wo die verschiedenen Fische sind, wie man GPS, Sonde und Plotter einsetzt und wie man gleichzeitig das Boot steuern und die Netze auswerfen kann." Nach zwei Jahren war die Entscheidung gefallen. Gil kaufte sich sein eigenes Boot: 36.000 Euro für die 40 Jahre alte llaüt. Die Investition hat sich gelohnt. Man könne durchaus vom Fischfang leben, sagt Gil. „An einem Tag verdienst du 100, an einem anderen 300 und am nächsten 20 Euro." Rentabel macht das Geschäft auch Gils Vorliebe, am liebsten alleine zu fischen. „Das ist zwar ziemlich kompliziert. Aber ich muss auch mit niemanden teilen." Und er hat das Meer ganz für sich.

Auch von den anderen Fischern werden die Newcomer sehr geschätzt. Gil wurde in Porto Cristo zum Vorsitzenden der dortigen Berufsvereinigung gemacht, Caponero ist in Cala Ratjada Vorstandsmitglied. „Von Anfang an haben sie mich hier mit offenen Armen empfangen und nie einen Unterschied gemacht, weil ich eine Frau bin."

Einen kleinen Unterschied macht es nun doch. Wenn dieser Artikel erscheint, ist vielleicht schon die kleine Zoe geboren. Valeria Caponero ist hochschwanger (Geburtstermin 3. Dezember), seit Juli verrichtet sie nur noch Arbeiten an Land. Auf dem Boot wurde es mit wachsender Leibesfülle zu schwierig. „Die Ärzte wussten auch nicht genau, was sie mir raten sollten. Es gibt ja keine schwangeren Seeleute", sagt Caponero. Doch klar war, dass die zum Teil ruckartigen Bewegungen und Stöße für einen Fötus nicht unbedingt empfehlenswert sind. Caponero will auch als Mutter weiter als Fischerin arbeiten. „Aber erst einmal kümmere ich mich um mein Baby. Später kommt es dann wahrscheinlich in eine Krippe."

Die beiden haben in der Fischerei ihr Glück gefunden. Ihr Weg könnte zukunftsweisend sein. „Mit der Zeit werden die Menschen zurück zur Landwirtschaft und zur Fischerei finden", glaubt Andreu Gil.