Jahrzehntelang auf Mallorca häusliche Gewalt erlebt: Wie diese Frau Betroffenen Mut machen will

Eine deutsche Mallorca-Residentin war fast 40 Jahre lang Opfer häuslicher Gewalt. Erst das Einschreiten einer Ärztin und der Guardia Civil konnte sie aus ihrer Abhängigkeit befreien

Der Ex-Mann von Anna-Lena rastete regelmäßig aus, warf Gegenstände auf sie.  Symbolfoto: DPA

Der Ex-Mann von Anna-Lena rastete regelmäßig aus, warf Gegenstände auf sie. Symbolfoto: DPA / Simone WErner

Simone Werner

Simone Werner

1986, mit nur 23 Jahren, verliebte sich Anna-Lena Schneider (Name von der Redaktion geändert) im Urlaub in einen drei Jahre jüngeren Mann. Schon ein Jahr später heirateten die beiden. Zu den Kindern, die Anna-Lena aus erster Ehe mitbrachte, bekamen sie weitere. Zuerst lebte die Familie in Deutschland, die vergangenen 25 Jahre dann auf Mallorca. Fast 40 Jahre lang war die heute 60-jährige Frau ein Opfer häuslicher Gewalt. Erst auf die dringliche Bitte einer Ärztin hin, die ihre Verletzungen behandelte, offenbarte sich Anna-Lena Anfang 2023 auf Mallorca der Guardia Civil. Mithilfe der Beamten schaffte sie es schließlich, sich in Sicherheit zu bringen.

Ein Tag, der unvergessen bleibt

Anna-Lena erinnert sich noch genau an den Tag, an dem ihr Mann sie in den 90er-Jahren erstmals schlug. Er prägt sie bis heute. Ihre Tante sollte die Schneiders in Deutschland besuchen. Ihr Ehemann, Hermann Schneider (Name von der Redaktion geändert), war gestresst – wegen der Vorbereitungen und weil es galt, drei kleine Kinder im Zaum zu halten. Dass er ein Choleriker ist, wusste Anna-Lena schon vorher. Immer wieder hatte sie mitbekommen, wie er aus Wut Gegenstände kaputt machte.

Oft warf er genau die nach Anna-Lena, die ihr besonders am Herzen lagen. Einmal habe es etwa ihren lilafarbene Buddha erwischt. „Ich habe später versucht, die Figur wiederzubekommen, leider vergeblich.“ An dem Tag, an dem Anna-Lenas Tante zu Besuch kommen sollte, aber blieb es nicht bei zertrümmerten Gegenständen. „Mein Mann kam in seiner Wut plötzlich auf mich zugelaufen und hat mir eine richtig feste Ohrfeige verpasst“, erinnert sich Anna-Lena.

Symbolbild: Wenn man sich vor dem eigenen Partner schützen muss.

Symbolbild: Wenn man sich vor dem eigenen Partner schützen muss. / DPA

Die Fassung bewahren

Sie sei daraufhin in eine Art Schockstarre verfallen. „In dem Moment habe ich genau gespürt, dass er eine Grenze überschritten hatte. Als meine Tante dann da war, habe ich versucht, irgendwie die Fassung zu bewahren und mir bloß nichts anmerken zu lassen.“ Am Abend versuchte sie dann, mit ihrem Mann zu reden. „Du hast mich provoziert“, entgegnete er ihr und entschuldigte sich eher halbherzig. „Wenn er älter und reifer wird, lernt er sicherlich, anders mit Stresssituationen umzugehen“, war der Gedanke, an dem sie sich lange festhielt.

Chronischer Lügner

Fürsorglich, liebevoll, charmant. So hatte Anna-Lena ihren Hermann ganz am Anfang wahrgenommen. „Er hatte sich total verstellt. Wie ich schon sehr bald feststellte, war er ein chronischer Lügner. Hätte er sein wahres Gesicht gezeigt, hätte ich mich niemals auf eine Beziehung mit ihm eingelassen“, sagt sie. Auch Freunde, die die Schneiders seit jeher kennen, meinen heute zu ihr: „Den Mann, den du geliebt hast, gibt es gar nicht.“ Doch manchmal macht das Herz eben Dinge, die der Kopf nicht versteht. Und die Patchwork-Familie verbrachte ja auch schöne Zeiten.

Schlag in den Nacken

Hermann jedoch tickte auch nach dem Besuch der Tante immer wieder aus. Einmal endete sein Zulangen für Anna-Lena im Krankenhaus. „Er hatte mich so fest in den Nacken geschlagen, dass ich mehrere Tage dort verbringen musste.“ Bis heute könne sie ihren Kopf wegen des Vorfalls nicht uneingeschränkt drehen. Noch Tage nach ihrer Entlassung musste sie eine Halskrause tragen. Als ihre Nachbarin bei ihr klingelte, fragte sie: „Oh Gott, was haben Sie denn?“ „Ich wollte ihr sagen, dass ich mich verletzt habe, doch mein Sohn kam mir zuvor.“ „Papa hat meine Mama geschlagen“, soll der damals Vierjährige gesagt haben. Die Nachbarin schaute Anna-Lena nur betroffen an, wünschte ihr „Alles Gute“ und ging. „Es war mir peinlich, und sie war völlig überfordert“, sagt Anna-Lena.

Symbolbild häusliche Gewalt.

Symbolbild häusliche Gewalt. / DPA

Den Kindern zuliebe

Sie dachte über Trennung nach. Doch den Kindern zuliebe wollte sie das Familienleben erhalten. Während sich im Freundeskreis ihres jüngsten Sohnes damals viele Eltern trennten, habe der Junge immer wieder zu ihr gesagt: „Mama, ich will kein Scheidungskind werden.“ „Wirst du nicht“, versprach sie ihm und nahm sich vor, durchzuhalten – bis die Kinder aus dem Haus waren.

Als es wieder einmal ganz schlimm war, sprach sie mit einem befreundeten Anwalt. Der schlug einen Aggressions-Kurs vor. Doch davon wollte Hermann nichts wissen. Auch vernünftige Gespräche mit ihm seien unmöglich gewesen. „Sobald ihm etwas nicht gefiel, fing er sofort an zu schreien oder verließ den Raum“, sagt Anna-Lena.

Auswanderung nach Mallorca

Als die Familie, mittlerweile auch mit zwei eigenen Kindern, Ende der 90er nach Mallorca auswanderte, erlebten auch die Kleinen zunehmend die Aggressionen ihres Vaters. Vom Fenster aus sah einer von Anna-Lenas Söhnen, damals zwölf Jahre, wie Hermann lauter wurde. „Mama, ich hab die ganze Zeit aufgepasst. Wenn er dich geschlagen hätte, wäre ich gekommen“, sagte er später zu ihr. „Es hat mich todtraurig gemacht, dass er das miterleben musste.“ Auch gegenüber den Kindern rutschte dem Vater immer wieder die Hand aus.

Seine Frau hatte Hermann finanziell unter Kontrolle. „Ich hatte keinen Zugang zu unseren Bankkonten. Wenn ich etwas kaufen wollte, musste ich ihn um Geld bitten.“ Nur manchmal rückte er welches heraus.

Bis hierhin und nicht weiter

Ende 2022 fand Anna-Lena heraus, dass ihr Mann etwas mit einer deutlich jüngeren Frau am Laufen hatte. Seine Gewalt hatte sie Jahre lang über sich ergehen lassen, doch jetzt war endgültig Schluss. Sie forderte ihn auf, auszuziehen. Damals schliefen beide schon in getrennten Schlafzimmern. „Ich wollte mich in meinem einsperren und habe ihm gesagt: ‚Bis morgen um 10 Uhr bist du weg.‘“ Doch Hermann hob die Tür ihres Schlafzimmers aus, um zu überwachen, was Anna-Lena dort machte. „Geistesgegenwärtig habe ich ein Video davon gemacht, um später Beweise für die Scheidung zu haben“, sagt sie.

Unterhaltszahlungen und Aufteilung des Mobiliars des Hauses: Alles sollten von nun an die Anwälte klären. „Jetzt ist der Moment, um endlich mein eigenes Leben anzufangen“, sagte sich Anna-Lena. Die Kinder waren aus dem Haus.

Hilfe in der Klinik

Als Hermann Anfang 2023 einen Fernseher aus dem einst gemeinsamen Haus holen wollte, versuchte Anna-Lena, ihn aufzuhalten. „Er hat mich so sehr verprügelt, dass mein Arm am nächsten Tag ganz blau war.“ Völlig aufgelöst und unter Tränen fuhr sie in die Clínica Rotger in Palma. Die Ärztin dort verstand schnell, was geschehen war. „Hier in Spanien lassen wir uns so etwas nicht gefallen. Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder ich hole die Guardia Civil in die Klinik oder du gehst sofort hin und erstattest Anzeige“, sagte sie Anna-Lena aufmunternd.

Sich der Guardia Civil anvertraut

Unter Schmerzen und Tränen ging die Deutsche auf die Wache. „Es war nicht einfach, den eigenen Ehemann und Vater meiner Kinder anzuzeigen und all die Vorfälle der letzten Jahre zu schildern.“ Die Beamten gaben ihr eine Nummer, bei der sie jederzeit anrufen konnte, brachten sie nach Hause. „Sie haben mir von der ersten Sekunde an das Gefühl gegeben, dass sie mich ernst nehmen und mich von nun an beschützen werden“, erinnert sich Anna-Lena, die ihre Geschichte auch deswegen der MZ erzählt, weil sie anderen Frauen in einer ähnlichen Lage Mut machen will, sich der Polizei anzuvertrauen.

Bei der Guardia Civil in besten Händen

In den Tagen nach der Anzeige fuhren die Beamten täglich vor ihrer Finca auf und ab, klingelten bei ihr oder riefen an. Ein Gericht verbot Hermann, sich Anna-Lena zu nähern. Doch jedes Mal, wenn sie in Palma – dort soll ihr Ex derzeit wohnen – einen Behördengang erledigen musste, habe sie zu zittern begonnen. Dabei begleiteten sie jedes Mal Freunde. Erst auf der Rückfahrt konnte sie aufatmen. „Mallorca ist zu klein, und meine Angst war einfach zu groß“, sagt Anna-Lena. Sie beschloss, die Insel zu verlassen.

Wo sie nun lebt, weiß kaum jemand. „Ich wünschte, es bleibt mir erspart, meinen Ex-Mann bald vor Gericht wieder zu treffen. Ich hoffe, dass wir noch in diesem Jahr geschieden werden“, sagt Anna-Lena.

So viele Frauen sind hierzulande betroffen: Laut Spaniens Statistikinstitut INE waren 2022 insgesamt 32.644 Frauen von geschlechts - spezifischer Gewalt betroffen. Der Großteil war zwischen 30 und 44 Jahren alt. Auf den Balearen waren von 1.000 Frauen ab 14 Jahren 2,3 Prozent betroffen. Mehr Fälle gab es einzig in Melilla und La Rioja. Statistiken hier.

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