Mobbing, Fettleibigkeit, häusliche Gewalt: Wie Mallorcas stärkste Frau alle Hürden meisterte

Shella Badaseraye ist Weltmeisterin im Gewichtheben. Ein steiniger Weg führte zum Erfolg

Früher wog Shella Badaseraye 100 Kilo. Dieses Gewicht kann sie heute stemmen.

Früher wog Shella Badaseraye 100 Kilo. Dieses Gewicht kann sie heute stemmen. / Nele Bendgens

Ralf Petzold

Ralf Petzold

Die spanische Sängerin Rosalía hat mit „Motomami“ einen neuen Begriff geschaffen. Über die Entstehungsgeschichte des Wortes brachte die 30-Jährige mehrere Versionen in Umlauf. Einerseits sei es eine Hommage an ihre Mutter, die immer mit dem Motorrad gefahren sei. Andererseits setze sich der Begriff aus dem japanischen Wort moto – es bedeutet „stark“– und dem sehr umgangssprachlichen spanischen Wort mami für „Frau“ zusammen. Eine starke Frau also. Auf Mallorca gibt es kein passenderes Beispiel für eine Motomami als Shella Badaseraye. Die 36-Jährige ist amtierende Weltmeisterin im Gewichtheben. Dabei wog sie früher selbst ungefähr so viel, wie sie heute in die Luft drücken kann.

Ihre Geschichte beginnt in Benin City im Süden von Nigeria. Ihr Vater Festus verließ die Familie, um in Spanien sein Glück zu suchen. Erst auf den Kanaren, später auf Mallorca. „Seine Erlebnisse hat er im Buch ‚De África llegué‘ (Ich komme aus Afrika) aufgeschrieben“, sagt die Tochter, die sechs Geschwister hat. Dann kam die Scheidung, und „in Nigeria gehen die Kinder dabei an den Vater“. So wuchs sie mit ihrer Familie väterlicherseits auf, ehe der Papa sie mit zwölf Jahren nach Sóller holte.

Die Leute hassten mich wegen meiner Hautfarbe, weil ich kein Spanisch sprach und einfach weil ich anders war.

Mobbing in Sóller

Es war keine schöne Kindheit, die die junge Nigerianerin dort erlebte. „Wir waren die ersten Schwarzen, die sich hier niederließen.“ Rassismus und Mobbing standen auf der Tagesordnung. „Ich hatte kaum Freunde. Die Leute hassten mich wegen meiner Hautfarbe, weil ich kein Spanisch sprach und einfach weil ich anders war“, sagt Badaseraye. Mithilfe einer Lehrerin lernte die Zwölfjährige nach der Schule Spanisch und Katalanisch. Das Mobbing hörte zwar nie auf, aber so war sie zumindest ein wenig integriert.

Wahrscheinlich waren es die Folgen dieser schwierigen Zeit, die sie mit 17 Jahren veranlassten, von zu Hause wegzulaufen. „Ich fand einfach nicht meinen Platz und fühlte mich nicht wohl“, sagt sie. Sie floh nach Sevilla. Wie sie sich dort drei Jahre über Wasser hielt, möchte sie lieber nicht erzählen. Manchmal sagt Schweigen mehr als tausend Worte. Die Zeit in Andalusien sei ein großer Einschnitt in ihrem Leben gewesen.

Ich versuchte sogenannte Wunderdiäten. Aß nur noch Artischocken oder Ananas.

Fettleibigkeit und Arztfehler

Badaseraye nahm damals extrem zu. „Ich war fett. Das kann man nicht anders sagen. Ich wog an die hundert Kilo.“ 2006, als sie 19 Jahre alt war, wurde ihre Tochter Anahí geboren. „Die Ärzte machten bei der Geburt einen fatalen Fehler. Was genau schieflief, weiß ich nicht. Meine Tochter hat Cerebralparese, sie ist zu 100 Prozent behindert und von mir abhängig.“ Als das Kind acht Monate alt war, erlitt es einen epileptischen Anfall. „Der Vater des Kindes saß unten in der Bar und betrank sich. Ich war alleine oben in der Wohnung“, erinnert sich die Nigerianerin. Einerseits das massive Übergewicht, andererseits Asthma, das sich in Stresssituationen verschlimmere – „ich war regungslos und konnte nur eine Nachbarin rufen“. Diese habe zum Glück den Notarzt alarmiert.

„Das war für mich ein Zeichen. Ich schwor mir, dass ich so etwas nicht noch einmal erleben möchte.“ Doch Abnehmen ist bekanntermaßen nicht einfach. „Ich versuchte sogenannte Wunderdiäten. Aß nur noch Artischocken oder Ananas. Natürlich brachte das nichts.“ Derweil verschlechterte sich die Beziehung zu ihrem Partner, der sie regelmäßig schlug. „Vor 15 Jahren war die Polizei noch nicht so sensibilisiert mit der geschlechtsspezifischen Gewalt. Eine schwarze Frau sagte gegen einen weißen Mann aus. Die Polizisten haben mich nicht ernst genommen und behauptet, ich sei nur wegen der Aufenthaltsgenehmigung mit ihm zusammen. Dabei hatte ich einen spanischen Pass.“

Zurück auf die Insel

Erneut ergriff sie die Flucht und kehrte 2008 auf die Insel zurück. In Manacor durfte sie mit ihrer Tochter in einem Wohnheim für Frauen leben, die Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt wurden. Badaseraye fing eine Ausbildung zur Pflegerin von Menschen mit Behinderung an. „Ich merkte aber nach einem Jahr, dass das nichts für mich ist, da ich es schon zur Genüge im Alltag habe.“

Im Frauenhaus wurde in der Gruppe gekocht. Das machte es der übergewichtigen Mutter schwer, selbst auf ihre Ernährung zu achten. Das gemeinsame Kochen gefiel ihr aber. Sie sattelte zur Küchengehilfin um und fand auf diese Weise schnell Arbeit.

Da es in Manacor keine Schule für die Tochter gab, folgte 2012 ein Umzug nach Palma. Badaseraye konnte sich endlich eine Personal Trainerin leisten und entdeckte Crossfit für sich. „Direkt vor meiner Haustür hatte ein neues Fitnessstudio aufgemacht.“ Die Pfunde purzelten schließlich im zweistelligen Bereich, allerdings stellten sich Schlafstörungen ein. „Nachts ratterte mein Kopf unentwegt und ich konnte nicht abschalten.“ Und das, obwohl ohnehin wenig Zeit zum Schlafen blieb. Um über die Runden zu kommen, hatte die Mutter zwei Vollzeitstellen, und zwischen beiden Jobs trainierte sie.

Ich habe in meinem Leben die Hürden genommen, die sich vor meinen Kunden aufbauen.

Vom Crossfit zum Gewichtheben

Mit nun reichlich der Hälfte ihres früheren Gewichts gewann Badaseraye die balearische Crossfit-Meisterschaft. Schon dabei merkte sie, dass sie ein Faible für das Stemmen von Gewichten hat. „Laufen war nie so mein Ding.“ Sie interessierte sich fürs Bodybuilding. „Meine Trainerin riet mir davon aber ab, da der Extrem-Kraftsport nicht natürlich sei.“

So landete sie schließlich beim Gewichtheben, wo sie auf Mallorca praktisch außer Konkurrenz ist. „Im Training messe ich mich meist mit den Männern.“ 2016 gewann sie ihr erstes Turnier auf der Insel. Im vergangenen Jahr holte die Sportlerin ihren ersten WM-Titel in ihrer Altersklasse (35 bis 39 Jahre), den sie nun Ende August verteidigte. Mit 179 Kilo stellte sie dabei einen Rekord auf. Die Masse wird dabei aus den zwei Disziplinen Stoßen und Reißen zusammengerechnet. 100 Kilo hebt Badaseraye in die Luft, das Gewicht, das sie zu ihren schwersten Zeiten selber wog.

Auch beruflich hat ihr der Sport neue Türen geöffnet. Als 2018 eine OP bei ihrer Tochter anstand und ihr Arbeitgeber ihr nicht freigeben wollte, kündigte die Gewichtheberin und eröffnete ihr eigenes Fitnessstudio in Palmas Stadtteil Rafal. „Ich habe mit vier Kunden in einem 50 Quadratmeter großem Raum angefangen.“ Nach drei Umzügen ist das Infinity Fitness nun doppelt so groß. 80 Kunden betreut Badaseraye in Privatstunden und Gruppenkursen. Individuelles Training ist in dem kleinen Fitnessstudio nicht möglich.

Und wie setzt man sich gegen die Konkurrenz durch, die größer und billiger ist? „Ich bin authentisch“, sagt Badaseraye. „Ich habe in meinem Leben die Hürden genommen, die sich vor meinen Kunden aufbauen.“

Abonnieren, um zu lesen