Debattieren mit Ohrstöpsel: Im spanischen Parlament sind nun auch die drei anderen offiziellen Sprachen erlaubt

Katalanisch, Galicisch und Baskisch – die Premiere der Vielsprachigkeit im spanischen Parlament verlief turbulent

Eine Parlamentarierin bringt bei einem Kollegen einen Ohrstöpsel an

Eine Parlamentarierin bringt bei einem Kollegen einen Ohrstöpsel an / Juan Carlos Hidalgo

Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

In Spanien gibt es vier offizielle Landessprachen. Im Unterhaus des spanischen Parlaments war bislang jedoch nur Kastilisch (castellano), das gemeinhin als Spanisch bezeichnet wird, zugelassen. Wer dennoch teilweise auf Katalanisch, Baskisch oder Galicisch auf der Rednerbühne sprach, war auf die Toleranz des jeweiligen Parlamentsvorsitzes angewiesen, der solche linguistischen Ausflüge unterbinden oder durchgehen lassen konnte.

Seit Dienstag (19.9.) ist der ehrwürdige Congreso de los Diputados in Madrid ganz offiziell mehrsprachig. Die Sozialisten von Ministerpräsident Pedro Sánchez, ihr Koalitionspartner Sumar und die nationalistischen Parteien verständigten sich auf eine Änderung des Regelwerks, das nun den Gebrauch aller vier Sprachen zulässt. Wie in der aufgeladenen Debatte um die verschiedenen Identitäten des Landes nicht anders zu erwarten, brach der Streit im Parlament in voller Wucht aus.

Rechtsextreme verlassen den Saal

Als ein Abgeordneter der Sozialisten seine Rede auf Galicisch begann, verließen die 33 Parlamentarier der rechtsextremen Vox den Saal und legten die neu eingeführten Hörgeräte für die Simultanübersetzung demonstrativ auf den leeren Sitz von Sánchez, der bei der Uno in New York weilte. Die Rechten führen einen Feldzug gegen die Minderheitssprachen, was sich bereits in konkreten Maßnahmen ausdrückt, dort, wo sie mittlerweile zusammen mit der konservativen Volkspartei (PP) regieren.

Auch die PP protestierte gegen die neue Vielsprachigkeit im Unterhaus. Die Abgeordneten der Konservativen verzichteten demonstrativ auf die Ohrstöpsel. Umso überraschender war dann für viele der Auftritt des PP-Abgeordneten Borja Sémper. Der Baske wechselte während seines Plädoyers gegen die Maßnahme mehrfach ins Euskera und übersetzte sich dann gleich selbst. „Keine Nation in Europa hat einen so großen Schutz, Respekt und eine solche Förderung der sprachlichen Realität erreicht wie Spanien“, versicherte er. Doch der Gebrauch der anderen Sprachen im Unterhaus sei nicht förderlich für die Kommunikation. Für den Auftritt mit den Sätzen auf Baskisch erntete Sémper reichlich Kritik aus den eigenen Reihen.

Kritik an Feijóo

Die übrigen Parteien bezichtigten die Konservativen eines übertriebenen Zentralismus und zogen Parallelen zur Franco-Diktatur, als der Gebrauch von catalán, galego oder euskera verfolgt wurde. Viele Redner und Rednerinnen zielten mit ihrer Kritik auf den PP-Vorsitzenden Alberto Núñez Feijóo. Der Oppositionsführer war zuvor 13 Jahre lang Ministerpräsident von Galicien, wo er regelmäßig auf Galicisch sprach. „Kennen Sie diese Wörter?“, fragte der Sprecher der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) Gabriel Rufián: „Check-in, Coaching, Co-Working, Briefing, Low Cost, Partner, Tracking, Running … Nutzen Sie die auch? Und dann behaupten Sie, dass Katalanisch, Aranesisch, Galicisch oder Baskisch die Sprache bedrohen.“

Die PP führt als Hauptargument die Art und Weise an, wie Parlamentspräsidentin Francina Armengol die Regeländerung eingeführt hat, nämlich ohne breite Debatte. Der eigentliche Grund der Abneigung gegen die Vielsprachigkeit im Parlament ist aber, dass dieser Schritt eine Zusage von Sánchez an die Nationalisten ist, vor allem die katalanischen Separatisten, um deren Stimmen für die Wiederwahl zum Premier zu bekommen. Denn es gilt als ausgemacht, dass Núñez Feijóo bei seiner Kandidatur nächste Woche nicht die erforderliche Mehrheit zusammenbekommt.

Und in der EU?

Ein weiteres Zugeständnis an die Katalanen ist der Versuch, die anderen Landessprachen auch in der Europäischen Union einzuführen. Außenminister José Manuel Albares verteidigte den Antrag persönlich im Rat für Allgemeine Angelegenheit in Brüssel am Dienstag. In der EU sind 24 Sprachen anerkannt, die in ihren Ländern landesweit gelten. Katalanisch etwa ist nur in Katalonien, Valencia und auf den Balearen Amtssprache. Albares unterstrich jedoch, dass es auch im Roussillon, dem französischen Teil Kataloniens, und einer Ecke Sardiniens zugelassen ist und insgesamt von zehn Millionen Menschen gesprochen wird, mehr als Maltesisch oder die baltischen Sprachen.

Die europäischen Partner sind nicht begeistert darüber, den Turm von Babel der EU auszuweiten. Doch erbaten sie zunächst Zeit, um den Antrag Madrids zu prüfen. Albares feierte die Tatsache, dass das Anliegen nicht gleich abgelehnt wurde, als Etappensieg. Denn eine Entscheidung über die Anerkennung des Katalanischen in Europa wird wahrscheinlich erst nach der Abstimmung über die Kandidatur von Sánchez im Unterhaus fallen.

Im spanischen Parlament hat der Regierungschef die Vielsprachigkeit möglich gemacht. In Europa liegt das nicht in seinen Händen.

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