Mallorca Zeitung

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Spanisch, Katalanisch, Deutsch: Was es mit Kindern macht, mit drei Sprachen auf Mallorca aufzuwachsen

Viele Kinder wachsen auf Mallorca mit mindestens drei Sprachen auf. Was das mit dem Gehirn macht und welche Sprachen wann den Kürzeren ziehen

Die Wissenschaft ist sich einig: Je mehr Sprachen Kinder lernen, desto besser. | ILLUSTRATION: ANDREA OBZEROVA

Wenn Ana und Josefine Kremp miteinander sprechen, dann tun sie das meist auf Deutsch. Die Sprache unterscheidet sich aber je nachdem, wer dabei ist. Wenn die Schwestern von Spaniern umgeben sind, bleiben sie beim Deutschen, wenn sie wiederum von Deutschen umgeben sind, wechseln sie ins Spanische. Mit ihrem Vater sprechen die Mädchen Spanisch, mit ihrer Mutter Deutsch.

In der Schule werden die zwölf und 14 Jahre alten Jugendlichen dann wiederum auf Katalanisch unterrichtet. Je nach Freundeskreis sprechen sie Spanisch oder Katalanisch. Es ist ein Leben im ständigen Wechsel von drei Sprachen. Und Englisch kommt als Fremdsprache natürlich auch noch hinzu.

Was viele Menschen bewundern, ist nicht nur für Josefine und Ana Alltag. Mallorca ist geradezu eine Insel der Mehrsprachigkeit. Neben den zumeist zweisprachigen Einwohnern lebt hier eine große Zahl an Zuwanderern aus den unterschiedlichsten Ecken. Deutsche, Briten und Schweden kommen oft auf der Suche nach Sonne, Marokkaner, Bulgaren und Senegalesen auf der Suche nach Arbeit. Die Kinder der Einwanderer wachsen dann wie die Kremp-Schwestern mit mindestens drei Sprachen auf.

Mehrsprachigkeit im Gehirn

Was machen die vielen Sprachen von klein auf mit den Kindern? Spanien gilt als ein ideales Land, um Mehrsprachigkeit zu erforschen. Es gibt drei zweisprachige Gebiete. Zwei davon haben mit Katalanisch und Galicisch Sprachen, die dem Spanischen ähneln, eine ganz andere Wurzel aber hat das Baskische. Dann gibt es noch weite Gebiete, die mit „nur“ einer Sprache aufwachsen. Und die ein- und zweisprachigen Gruppen sind direkt vergleichbar, weil sie sozial und wirtschaftlich in ähnlichen Verhältnissen leben.

So ist nicht verwunderlich, dass mit Brainglot eins der größten Netzwerke, die sich mit den Effekten von Mehrsprachigkeit beschäftigen, in Spanien beheimatet ist. Der Zusammenschluss von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus verschiedenen Universitäten erforscht unter anderem, wie sich die Gehirne von Kindern unterscheiden, die mit einer oder mehreren Sprachen aufwachsen. Bilinguale Kinder nutzen beim Reden mehr Gebiete des Gehirns, vor allem auf der linken Seite, die mit der Sprache verbunden ist.

Das hat positive Nebenwirkungen wie eine bessere Konzentrationsfähigkeit, besseres Multitasking und vermutlich eine erst später einsetzende Demenz im hohen Alter, wobei Letzteres laut den Wissenschaftlern statistisch noch nicht komplett nachgewiesen ist.

Kinder beginnen später mit dem Sprechen

Der Prozess des Sprechens ist aber dadurch, dass mehr Gebiete im Gehirn verwendet werden, auch langsamer. Zwei- oder mehrsprachig aufwachsende Kinder lernen die Sprachen daher zwar genauso gut wie andere, fangen aber teils etwas später mit dem Reden an. Bei älteren Menschen, die zweisprachig aufgewachsen sind, kann dieser langsamere Sprach-Prozess im Gehirn dazu führen, dass ihnen während des Redens einzelne Worte nicht einfallen. Allerdings ist das laut den Wissenschaftlern bei Erwachsenen kaum merklich.

Bei Kindern ist der Effekt auch ohne Gehirnuntersuchungen offensichtlich. Leila Pujol unterrichtet Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren an der Schule Pintor Joan Miró im Viertel Nou Llevant im Osten Palmas. Der Unterricht findet hier auf Katalanisch statt, die Kinder sprechen untereinander Spanisch. Und da gerade im Osten der Stadt viele Einwanderer leben, betreut Pujol auch jedes Jahr Kinder mit mindestens einer dritten Muttersprache. Aktuell sprechen von den 24 Kindern in ihrer Gruppe je zwei Deutsch, Englisch und Arabisch zu Hause und je eines Serbisch, Russisch und Französisch.

Bei Dreijährigen merkt Pujol oft, dass die Kinder mit mehr Sprachen etwas länger brauchen, um zu reden. „Manchmal kommen sie auch noch durcheinander und sprechen mit der falschen Person in einer Sprache oder verwenden Wörter aus ihrer Muttersprache im Spanischen“, sagt sie. Das sei aber bereits bei den Vierjährigen nicht mehr der Fall.

Mehrsprachigkeit im Kindergarten

Pujol und ihre Kolleginnen versuchen, die Kinder mit zusätzlicher Sprache zu motivieren. „Wenn ein Kind Geburtstag hat, bitten wir es zum Beispiel, in seiner eigenen Sprache zu singen“, erzählt sie. „Aber die meisten Kinder wollen das gar nicht unbedingt.“ Außerdem ermuntert Pujol die Eltern häufig dazu, ihre Muttersprache weiterzugeben. „Manche Eltern wollen mit ihren Kindern auf Spanisch sprechen, damit sie es später leichter haben, dabei ist jede zusätzliche Sprache ein Schatz“, sagt Pujol. Spanisch würden die Kinder so oder so lernen. Auch die beiden Kinder, die Deutsch zu Hause sprechen, kommunizierten unter sich auf Spanisch, sagt Leila Pujol.

Laut den Forschungen von Brainglot gibt es bei mehrsprachig aufgewachsenen Menschen immer eine dominante Sprache, die sie am besten beherrschen. Dies ist meist die Sprache, die das Kind am meisten umgibt. Die Bevorzugung kann allerdings so gering sein, dass der Sprechende selbst nicht bemerkt, welche Sprache bei ihm das stärkere Gewicht hat.

Kleinerer Wortschatz

Ana und Josefine zum Beispiel sehen Spanisch und Deutsch als gleichberechtigt an. „Allerdings fällt es mir leichter, auf Spanisch zu schreiben und zu lesen“, lenkt Ana ein. Schließlich lernen sie in der Schule auf Spanisch und Katalanisch. Die deutsche Rechtschreibung bringt ihnen ihre Mutter zu Hause bei. Bei ihrer dritten Sprache, dem Katalanischen, fehlt den Mädchen manchmal der Wortschatz. „Neulich im Unterricht wussten nur fünf Schüler aus meiner Klasse, was Nudelholz auf Katalanisch heißt“, erzählt Josefine. „Es gibt einfach Worte, die man nicht kennt, wenn man eine Sprache nicht zu Hause spricht.“

Wortschatz ist ein Punkt, bei dem zwei- oder mehrsprachig aufgewachsene Kinder bei den Untersuchungen von Brainglot schlechter abschnitten. Sie kannten zwar insgesamt mehr Worte, aber in den einzelnen Sprachen weniger als Kinder, die mit nur einer Muttersprache aufgewachsen waren.

Spanisch und Katalanisch

Auf Mallorca kommt hinzu, dass Katalanisch im Gegensatz zu Spanisch bei der Jugend generell benachteiligt ist. „Aus dem einen oder anderen Grund hinkt das Katalanische immer etwas hinterher“, sagt Ariadna Benet von der Balearen-Universität (UIB). Benet ist katalanische Sprachwissenschaftlerin und Linguistin. Sie untersucht mit der Gruppe „Recerca Sociolingüística de les Illes Balears“ das Zusammenspiel zwischen Katalanisch und Spanisch auf der Insel. „Gerade in Palma, aber auch außerhalb sprechen immer mehr Jugendliche untereinander Spanisch“, sagt Benet.

Spanisch sei cooler, weil es in den sozialen Medien mehr verwendet werde. Außerdem habe es in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine Zuwanderungswelle aus dem spanischen Festland und Lateinamerika gegeben. Die Kinder dieser Einwanderer seien spanischsprachig aufgezogen worden und sprächen mit ihren Freunden eher spanisch. „Sobald in einer Gruppe ein Jugendlicher dabei ist, der lieber Spanisch spricht, sprechen alle Spanisch“, sagt Benet. Inzwischen sei die katalanische Aussprache bei jungen Muttersprachlern bereits schlechter als in vergangenen Generationen.

„Außerdem gibt es viele Lehramtsstudenten und -studentinnen, die eher Spanisch bevorzugen“, sagt Benet. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis auch an Schulen mehr Spanisch als Katalanisch gesprochen werde. „Insgesamt sehen wir das Katalanische in Gefahr“, stellt Benet fest. Die schwächere Sprache müsse politisch weiterhin bevorzugt werden. Benet lobt beispielsweise, wenn für Jobs Katalanisch-Kenntnisse verlangt werden. „Wenn eine Sprache nicht notwendig ist, wird sie nicht mehr verwendet“, sagt sie. „Und es wäre doch schade, wenn unsere eigene Sprache nur noch in den eigenen vier Wänden gesprochen wird.“

Von Generation zu Generation

Wenn es schon schwer ist, das Katalanische zu erhalten, das auf der Insel gerade deswegen stark gefördert wird, ist es umso komplizierter, eine weitere Sprache weiterzugeben. Pedro Guijarro von der UIB erforscht Sprachkenntnisse von Einwanderern auf Mallorca in erster und zweiter Generation. Dabei untersucht er zum einen Sprachen, die dem Spanischen ähneln wie etwa Italienisch oder Portugiesisch und zum anderen Sprachen mit anderen Wurzeln wie Deutsch und Englisch. Bei der deutschen Testgruppe hatten einige Einwanderer, die seit etwa 20 Jahren auf der Insel leben, Spanischkenntnisse im muttersprachlichen Niveau. „Allerdings wiesen diese Teilnehmer auch Verluste in ihrer eigenen Muttersprache auf“, sagt Guijarro.

Dementsprechend seien auch die Deutschkenntnisse der zweiten Generation nicht direkt vergleichbar mit denen von Muttersprachlern, die in Deutschland aufwachsen. „Was die erste Generation an Fehlern macht, geben sie an ihre Kinder weiter“, fasst Guijarro zusammen. Teilweise fügen die Kinder ihre eigenen grammatikalischen Eigenheiten hinzu. „Beispielsweise stellen sie dann Adjektive wie im Spanischen hinter das Substantiv, statt davor, wie es im Deutschen üblich wäre.“

Um Eltern die Weitergabe ihrer Sprache zu erleichtern wünscht sich der Sprachwissenschaftler einen wöchentlichen Unterricht, bei dem beispielsweise Rechtschreibung geübt werden kann. „Außerdem ist es gut, wenn die Kinder möglichst viel von der Sprache umgeben sind“, fügt er hinzu. Als Beispiel nennt er Kinderfilme. Ana und Josefine Kremp zum Beispiel lieben deutsche Hörbücher wie „Die drei !!!“ (Ausrufezeichen). „Am wichtigsten ist aber, dass die Eltern konsequent bei ihrer Sprache bleiben“, mahnt Guijarro. Sie sollen in der Sprache sprechen, darin vorlesen, darin schreiben. Nur so könne die Sprache wirklich weitergegeben werden. „Und jede Sprache, die man schon als Kind lernt, ist ein unglaublicher Reichtum für den Menschen.“

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