Martina Voss-Tecklenburg über den WM-Titel, die verpatzte Generalprobe und die versprochene Mallorca-Finca

Das deutsche Nationalteam spielt bei der Fußball-WM in Australien und Neuseeland. Die MZ hat vorab mit der Bundestrainerin gesprochen

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg gestikuliert vor der Abreise des Teams nach Australien.

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg gestikuliert vor der Abreise des Teams nach Australien. / Dedert/dpa

Ralf Petzold

Ralf Petzold

Am Donnerstag, dem 20. Juli, startet die Fußball-WM der Frauen in Australien und Neuseeland. Die Deutschen steigen am 24. Juli (Montag, 10.30 Uhr, ZDF) gegen Marokko in das Turnier ein. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg wartet seit ihrem Amtsantritt 2018 auf ihren ersten Titel. Im vergangenen Jahr scheiterte die 55-Jährige mit ihrer Mannschaft denkbar knapp im EM-Finale gegen England. Das ist doppelt ärgerlich, da ihr Mann Hermann Tecklenburg ihr beim Sieg eine Mallorca-Finca versprochen hatte. Die MZ telefonierte mit der Duisburgerin am Samstag (8.7.) – nach der 2:3-Testspielpleite am Tag zuvor gegen Sambia.

Die Generalprobe muss scheitern, damit die Show gut wird. Macht Ihnen das alte Sprichwort Hoffnung?

Wir haben Carolin Simon mit einer schweren Kreuzbandverletzung verloren. Das hat uns mitgenommen. Sie fehlt uns nicht nur als Spielerin, sondern auch als Mensch. Lena Oberdorf und Marina Hegering sind zudem angeschlagen. Da müssen wir schauen, ob es für den Auftakt reicht. Wir nehmen für den Notfall eine weitere Spielerin mit. Diese Sorgen beschäftigen mich mehr als die Leistung im Testspiel. Wir haben viele Dinge gut gemacht, leisten uns aber noch zu viele Fehler. Der Frauenfußball ist mittlerweile so weit, dass alle Teams gut genug sind, diese Patzer auszunutzen. Wir waren im vergangenen Halbjahr nicht stabil genug. Das müssen wir ändern. Ich verlasse mich da weniger auf Sprichwörter, sondern mehr auf Tugenden wie Arbeit und Fleiß.

In dem Punkt waren wir gegen Sambia noch nicht bei 100 Prozent. Das können und wollen wir zu dem Zeitpunkt aber auch nicht.

Viel Zeit bis zum WM-Start bleibt nicht. An welchen Schrauben können Sie in knapp zwei Wochen noch drehen?

Die Zeit ist nicht knapp. Wir liegen im Plan, zumindest was die Physis angeht. In dem Punkt waren wir gegen Sambia noch nicht bei 100 Prozent. Das können und wollen wir zu dem Zeitpunkt aber auch nicht. Die Spielerinnen kommen aus einer langen Saison und hatten eine Pause. Wir befinden uns erst in der zweiten Vorbereitungswoche. Da mangelt es an der Frische, was naturgemäß die Fehlerquote erhöht. Das darf aber keine Ausrede sein. Uns sind die Themen bewusst, die wir nun angehen müssen: die Absicherung in der Verteidigung, die Präzision im Angriff vor allem im letzten Drittel des Feldes und noch etwas Zweikampfhärte. Gegen Sambia haben wir gesehen, dass uns ein wenig die Torgefahr fehlt. Das ist ärgerlich, wenn der letzte Pass nicht ankommt und man dem Ball hinterherrennen muss. Wir haben aber mentale Stärke bewiesen, als wir trotz Müdigkeit ein 0:2 aufholen konnten und die bessere Mannschaft waren. Der Schlüssel zum Erfolg wird es aber letztlich sein, die Fehler zu minimieren.

Manche werfen Ihnen vor, zu offensiv und risikoreich zu spielen. Wie sehen Sie das?

Wir wollen nicht risikoreich spielen. Der Plan sah vor, in der Abwehr in der Überzahl zu sein und im Mittelfeld den starken Fuß der Gegnerin zu blockieren, um den Pass in die Spitze zu verhindern. Wir hatten auf jeden Fall nicht vor, uns drei Mal einen Konter zu fangen. Wir müssen uns künftig noch besser auf die Stärken des Gegners einstellen.

Sie sagen, dass auch die vermeintlich kleinen Teams solche Fehler bestrafen. Wird es die stärkste WM aller Zeiten?

Was die Spitzenteams angeht sowieso. Aber die kleinen Mannschaften haben sich eben auch stark verbessert. Es wird kein Spiel mehr geben, dass wir mit 70 bis 80 Prozent unserer Leistung gewinnen werden. Das war früher anders. Da hat man mal einen schwachen Tag erwischt, aber dennoch die Partie mit 1:0 gewonnen. Das ist heute nicht mehr möglich. Jeder Gegner kann heute verteidigen und hat seine Qualitäten. Alle Fußballerinnen wollen sich auf der Weltbühne präsentieren. Wir müssen immer an unsere 100 Prozent herankommen, um da bestehen zu können.

Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir um den Titel mitspielen wollen.

Werden Sie dieses Jahr Weltmeister?

Die Frage kann ich schlecht mit Ja oder Nein beantworten. Da fehlt mir die Glaskugel. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir um den Titel mitspielen wollen. Das wollen und können aber auch neun bis zehn andere Mannschaften. Wir fahren am besten, wenn wir auf uns schauen und eine Aufgabe nach der anderen abarbeiten. In der K.-o.-Phase wird es nur noch Spiele auf Augenhöhe geben.

Bei den Spanierinnen hat es im Vorfeld einen Spielerinnen-Aufstand gegeben. Wie sehen Sie dieses Team?

Ich kann nicht bewerten, was da vorgefallen ist, da ich die Infos auch nur aus den Medien erhalte. Im Endeffekt fehlen einige erfahrene Spielerinnen. Ich weiß nicht, ob Spanien das auffangen kann, aber es gibt dort so viele interessante Fußballerinnen, dass sie immer noch eine brutale Qualität haben. Sie gehören weiter zu den Favoriten. Denen könnten Sie auch die Frage stellen, ob sie Weltmeister werden.

Ihr Team hatte während der EM einen Frauenfußball-Hype in Deutschland entfacht. Konnten Sie das Interesse im Alltag nach dem großen Turnier aufrechthalten?

Absolut. Die Fans in Fürth haben uns gegen Sambia zugejubelt und auch in den schwierigen Phasen unterstützt. Selbst nach der überraschenden Niederlage haben sie uns nicht zerrissen, sondern lange auf uns vor dem Stadion gewartet und für die WM Glück gewünscht. Wir freuen uns, dass die Fans nicht sofort alles infrage stellen, sondern den Einsatz des Teams anerkennen.

Das WM-Fieber ist also da?

Bei uns ist das WM-Fieber da. Medial wird auch mal kritisch mit uns umgegangen, das ist aber o.k. Die Fans, die ganz nah am Team dran sind, unterstützen uns bedingungslos. Die wissen, dass es ein Privileg ist, eine WM zu spielen. Einige Leute aus meinem Bekanntenkreis haben mir zugesichert, dass sie die Spiele schauen, auch wenn die Anstoßzeiten am Vormittag sind. In vielen Bundesländern sind Ferien. Da hoffe ich, dass der ein oder andere vor dem Bildschirm sitzt. Manche Firmen, darunter die DFB-Sponsoren, bieten ihren Angestellten eine lange Frühstücks- oder Mittagspause an, um die Spiele gemeinsam schauen zu können. Danach muss sich das ein Stück weit entwickeln und ist von unseren Ergebnissen abhängig.

Die Leute können sich auf eine attraktive WM mit tollen Spielen freuen.

Ist es schade, dass bei all dem Hype in Europa die WM nun so weit weg ist?

Jein, die anderen Kontinente haben die WM auch verdient. Der Hype in Australien und Neuseeland ist ähnlich groß. Die investieren seit Jahren sehr viel in den Frauenfußball. Wir haben keinen Anspruch darauf, die WM ständig in Europa austragen zu dürfen. Da müssen wir zwar Abstriche bei den Fernsehzeiten machen, das machen andere Länder aber viel häufiger. Die Leute können sich auf eine attraktive WM mit tollen Spielen freuen.

Die DFB-Männer sind in einem historischen Tief. Das Interesse an der Flick-Elf dürfte niedrig sein. Ist das Fluch oder Segen für die Frauen?

Wir sprechen von einem Fußball und wollen, dass die Fans alle Spiele schauen. Unabhängig vom Geschlecht oder Alter. Wenn man Fußballfan ist, schaut man die Spiele, weil man den Sport liebt. In dem Sinn hat die Leistung der Männer keine Auswirkung auf uns. Wir versuchen, die Jungs und Mädchen vom Fußball zu begeistern. Natürlich wünschen wir uns bessere Ergebnisse, bewerten die Partien aber differenzierter. Die Presse sieht das aus meiner Sicht oftmals zu sehr schwarz-weiß. Dass die U17 Europameister geworden ist, ist komplett untergegangen. Bei der U21 hat niemand angemerkt, dass denen zig Stammspieler weggefallen sind. Sei es durch Verletzungen oder weil sie für die A-Nationalmannschaft nominiert wurden. Wenn wir verlieren, sind wir die Ersten, die alles hinterfragen.

Haben Sie denn schon den Mallorca-Urlaub gebucht?

Ich war bereits mit meinem Mann vor der Vorbereitungsphase für acht Tage dort. Eine Woche nach dem WM-Finale kommen wir noch einmal für acht Tage.

Wir kommen trotzdem nach Mallorca. Auch wenn wir keine eigene Finca haben.

Nach dem verpassten EM-Titel hatte Ihr Mann die Mallorca-Finca als WM-Prämie ausgegeben. Steht das Angebot noch?

Mein Mann steht in der Regel zu seinem Wort. Er hatte mir die Finca angeboten, wenn ich einen Titel hole. Welcher, war da gar nicht genau abgemacht. An den Satz erinnere ich ihn, wenn wir Weltmeister werden. Das ist aber nicht wirklich relevant, denn wir kommen trotzdem nach Mallorca. Auch wenn wir keine eigene Finca haben.

Zwischen sechs und neun Stunden sind Australien und Neuseeland der mitteleuropäischen Sommerzeit voraus. Das führt dazu, dass die WM-Spiele in Deutschland und auf Mallorca im besten Fall am Vormittag starten. Manche Spiele werden aber auch schon um 3 Uhr nachts angepfiffen. Deutschland spielt in der Gruppe H und bekommt es mit Kolumbien, Marokko und Südkorea zu tun. Spanien trifft in der Gruppe C auf Japan, Costa Rica und Sambia. ARD und ZDF übertragen alle Spiele in Deutschland. In Spanien hat der Sender RTVE die Rechte für alle Spiele. Manche Partien sind nur auf den Websites der Sender zu sehen.

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